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Der Textilhändler Gerry Weber wird als erstes deutsches Unternehmen alle Kleidungsstücke mit RFID-Chips ausstatten. Diese Funkchips sollen besser vor Diebstahl schützen und die Inventur erleichtern. Verbraucherschützer sind alarmiert. Sie befürchten, dass Kunden durch RFID ahnungslos ausspioniert werden könnten.

Beim Textilhändler Gerry Weber im westfälischen Halle spricht man dieser Tage gern in Superlativen. Von neuen Branchenstandards, echten Meilensteinen ist die Rede – von Entwicklungen, die den Textileinzelhandel in den nächsten Jahren revolutionieren könnten.

Bis Sommer dieses Jahres wird das Das Unternehmen seine 150 Shops flächendeckend mit RFID-Technik ausstatten. Das heißt: Jedes Kleidungsstück bekommt schon bei der Herstellung einen Funkchip eingenäht, auf dem eine Produktnummer gespeichert ist. So lässt sich die Kleidung später im Laden schnell wiederfinden.

Technik soll Strichcode ablösen

RFID - auf deutsch Radio-Frequenz-Identifikation - gilt als wichtiger Technologietrend der Zukunft. Die Technik könnte im Einzelhandel einst den Strichcode ablösen. RFIDs sind kleine Datenspeicher mit Antenne, sogenannte Transponder. Spezielle Lesegeräte, RFID-Scanner, funken ein Erkennungssignal an diese Transponder. Diese geben daraufhin ihre Daten preis, ebenfalls per Funk. Der Scanner leitet die empfangenen Informationen weiter - zum Beispiel an eine Datenbank.

Die kleinen RFID-Transponder sind in das Pflegeetikett intergriert. Foto: Gerry Weber
Die kleinen RFID-Transponder sind in das Pflegeetikett intergriert. Foto: Gerry Weber

Bei Gerry Weber laufen Verkäuferinnen künftig nur noch mit einem Scanner durch den Laden und haben in kurzer Zeit den Überblick, welche Klamotten in welcher Größe und Farbe noch im Laden hängen und was nachbestellt werden muss. Aufwendige Inventuren, falsch einsortierte Kleidungsstücke oder gar ausverkaufte Waren sollen der Vergangenheit angehören.

Außerdem nutzt das Unternehmen die im Pflegeetikett eingenähten RFID-Chips zur Diebstahlssicherung. Jeder Pullover, jede Hose – alles, was den Laden unbezahlt verlässt, meldet den Diebstahl per Funk an die Kasse. Scanner am Ausgang kontrollieren, ob das Kleidungsstück bezahlt ist oder nicht. Dafür wird die Information auf dem Chip mit der Datenbank abgeglichen.

Die Funkschips sollen, so sagt das Unternehmen, Diebstähle besser kontrollieren können, als die bisherigen Magnetnadeln. Deren Erfolgsquote liegt den Angaben zufolge bei 70 Prozent, die der RFID-Chips bei 99 Prozent. Experten jedoch sagen: Auch die RFID-Technik ist leicht manipulierbar.

Wie Gerry Weber wird auch der Düsseldorfer Metro-Konzern (Kaufhof) RFID zur Warensicherung einführen. „Wir haben die Technologie mit entwickelt, testen sie und werden sie dann einsetzen“, sagte ein Sprecher gegenüber DerWesten. Der Einsatz der RFID-Technik erreicht damit eine neue Qualität im Einzelhandel. Bislang wurden RFID-Chips in Deutschland nur testweise in den Läden beziehungsweise an einzelnen Produkten eingesetzt.

Beispiel IBM-Patent

Verbraucher- und Datenschützer sind alarmiert. Sie befürchten, dass Menschen mit Hilfe solcher Chips ahnungslos ausspioniert werden könnten und so zum gläsernen Kunden werden.

Was damit in Zukunft möglich wäre, zeigt eine Patentanmeldung des IBM-Konzerns in den USA. Überschrieben ist die Erfindung: „Identifizierung und Verfolgung von Personen mit RFID ausgestatteten Artikeln“. Das ganze funktioniert so: Betritt ein Kunde mit RFID-Tags in Kleidung oder Einkaufstaschen den Laden, lesen Scanner die Informationen auf den Chips aus und übertragen sie an eine Datenbank. Die Daten können zum Kundenprofil hinzugefügt werden. Der Händler erfährt so, was seine Kunden tragen, wo sie einkaufen, was sie ausgeben usw.

Aber selbst Menschen, die in der Kundendatenbank nicht erfasst sind, können für die IBM-Erfindung nützlich sein. Die RFID-Chips, die sie mit sich herumtragen, verraten dem Händler, wie sie sich im Laden bewegen – wo sie länger stehen bleiben, auf welche Werbung sie reagieren.

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Von DerWesten

Für den Handel und die Industrie sind solche Informationen goldwert. Sie können gezielter werben oder ihren Ladenaufbau optimieren. Cornelia Tausch von der Verbraucherzentrale Bundesverband dagegen spricht von einem „Horrorszenario“.

Wie Verbraucher geschützt werden sollen

Gerry Weber beteuert, keine personenbezogenen Daten über seine Kunden zu speichern. Die Verkäufe seien den Kunden nicht zuzuordnen. Außerdem zerstöre sich der Chip in der Kleidung nach drei Wäschen oder einer chemischen Reinigung von selbst. Er werde aber auch auf Wunsch im Laden entfernt. Verbraucherschützerin Tausch genügt das nicht. Sie fordert, dass solche Chips generell noch im Laden entfernt werden – ohne, dass der Kunde das erst ausdrücklich verlangen muss.

Verbraucherschützer und Wirtschaft führen darüber schon seit Jahren eine Grundsatzdebatte. Der Handel will die Chips nur auf Verlangen entfernen. Das Motiv ist klar: Würde er die Chips entfernen müssen, wäre jede mögliche RFID-Nutzung nach dem Verkauf hinfällig.

Eine gesetzliche Regelung in Deutschland gibt es noch nicht. Die EU-Kommission hat dazu aber eine Empfehlung ausgesprochen: „Den Verbrauchern sollte bekannt sein, welche Artikel in den Geschäften mit RFID-Chips ausgestattet sind. Beim Kauf solcher Artikel sollten die Chips noch im Geschäft automatisch, umgehend und kostenfrei deaktiviert werden, es sei denn, sie sollen auf ausdrücklichen Wunsch des Käufers funktionsfähig bleiben. Ausnahmen sind zulässig, etwa um unnötige Belastungen der Einzelhändler zu vermeiden, wenngleich zuvor mögliche Beeinträchtigungen der Privatsphäre zu untersuchen sind.“

Technologie hat längst unseren Alltag erreicht

Nach Angaben der Verbraucherzentrale sind die Unternehmen nun aufgefordert, bis Mai 2010 eine Datenschutz-Verträglichkeitsprüfung für jede RFID-Anwendung zu erarbeiten. „Der Verbraucher braucht RFID bislang nicht. Deshalb muss die Wirtschaft nun klar machen, warum diese Technologie nützlich ist und wie sie im Interesse der Verbraucher und mit deren Kontrolle eingesetzt werden kann“, sagt Cornelia Tausch.

Dabei ist RFID gar nicht neu. Die Technologie ist schon Jahrzehnte alt. Die Automobilindustrie nutzt RFID zur Produktionssteuerung, die Logistik zur Warenlenkung und -kontrolle. Bei der Metro beispielsweise sind alle 400 Lager mit RFID ausgestattet. So kann das Unternehmen seine Produkte, die rund um den Erdball reisen, lückenlos verfolgen.

Aber auch im Alltag hat RFID längst Einzug gehalten. RFID-Technik steckt beispielsweise im Autoschlüssel, in Skipässen, seit 2005 auch im Reisepass. Der Verkehrsverbund Rhein Ruhr nutzt die Technik in seinen Dauerfahrkarten. Und zur Fußball-WM gab es Tickets mit RFID-Chips.

Der Metro-Konzern spielt in Testmärkten und im Labor noch ganz andere Anwendungsbeispiele durch: Im Kaufhof testete Metro 2007/2008 beispielsweise einen intelligenten Spiegel. Probierte ein Kunde eine Hose, sendete ein an der Hose befestigter RFID-Chip Informationen an den Spiegel. Dieser empfahl dem Kunden nun einen passenden Pullover oder ein passendes Hemd oder informierte, in welchen Größen es die Hose noch zu kaufen gibt. Der Test ist seit einem Jahr eingestellt. Die Auswertungen laufen noch.