Brüssel. Die Europäische Union versteht sich als Hüterin der Menschenrechte, dennoch müssen Schwule und Lesben in einigen Mitgliedstaaten sogar um ihr Leben fürchten – besonders in Osteuropa.

Zuerst fliegen ein paar Eier, dann legen die Angreifer richtig los. Sie ziehen Stöcke aus ihren Jacken und Taschen, rennen in die Menge und prügeln wahllos auf die Demonstranten ein. Rund 500 Schwulen und Lesben haben sich zur dritten „Gay Pride Parade“ in der estnischen Hauptstadt Tallinn versammelt, es soll ein buntes Fest, ein fröhlicher Marsch für die Gleichberechtigung werden. Stattdessen fließt jede Menge Blut. Ein Franzose wird schwer am Kopf verletzt, sechs Teilnehmer müssen sofort von Rettungskräften versorgt werden. Dutzende ziehen sich leichte Verletzungen zu.

Zwei Jahre später, 2008, gehen Rechtsradikale im tschechischen Brno (Brünn) mit Tränengas und Feuerwerkskörpern auf feiernde Schwule und Lesben los – mindestens 20 Menschen werden verletzt. In Bulgarien nimmt die Polizei 60 Extremisten fest, die die erste Homosexuellen-Parade in Sofia zu stören versuchen. Die Chefin der Schwulen und Lesbenorganisation Gemini, Aksinija Gentschewa, klagt, sie habe Morddrohungen erhalten. Der Austragungsort wurde gleich zweimal binnen 24 Stunden verlegt - aus Gründen der Sicherheit und Moral, wie es offiziell hieß. Die Zeitungen zitieren Regierungschef Sergej Stanischew mit der Aussage, er sei tolerant gegenüber Menschen, die in religiöser, sozialer oder anderer Hinsicht anders seien, doch die „Demonstration dieser Ausrichtungen“ gefalle ihm nicht.

Polizei schaut allzu oft weg

Die EU versteht sich gerne als Hüterin der Menschenrechte, dennoch müssen Homosexuelle in einigen Mitgliedsstaaten sogar um ihr Leben fürchten. Besonders in Osteuropa kommt es immer wieder zu gewaltsamen Attacken. Schwule und Lesben werden im Alltag bedroht, verunglimpft und offen ausgegrenzt. „In einer EU, die sich ihrer Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung rühmt, sind dies alarmierende Signale“, kritisiert Morten Kjaerum, Direktor der Europäischen Grundrechteagentur in Wien.

In ihrem jüngst veröffentlichen Bericht listet die Agentur Angriffe auf Schwulen- und Lesbenparade in mehreren EU-Ländern auf; sie kritisiert, dass Politiker und Polizei allzu oft wegschauen, anstatt Übergriffe zu verhindern. In Bulgarien, Estland, Lettland, Polen und Rumänien seien die Paraden zum Teil verboten oder an die Stadtränder verbannt worden. In einigen Ländern wurden Räume von Homosexuellen-Verbänden beschädigt oder niedergebrannt.

Im Sozialismus galt Homosexualität als Krankheit

Trotz zunehmender Annäherung an den Westen sitzen in den neuen Mitgliedsstaaten die Vorurteile gegenüber Schwulen und Lesben offenbar immer noch tief. Im Sozialismus wurde Homosexualität als Krankheit oder gar als Verbrechen gesehen oder einfach totgeschwiegen. Aber auch heute noch äußern Kirchen und konservative Kräfte in vielen Ländern starke Vorbehalte. In Polen erreichte die Homophobie in den Augen vieler Beobachter einen absurden Höhepunkt, als die Kinderbeauftragte der damaligen Regierung, Ewa Sowinska, ernsthafte Bedenken gegen die Kindersendung „Teletubbies“ anmeldete: Die rote Handtasche des violetten Jungen Tinky-Winky könne ein Zeichen dafür sein, dass die Fernsehserie „unzulässige sexuelle Inhalte" propagiere.

Auf der anderen Seite sieht die Grundrechteagentur aber auch ermutigende Zeichen. So hat das tschechische Parlament mittlerweile ein Gesetz über eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften verabschiedet. In Ungarn outete sich mit Staatssekretär Gábor Szetey zum ersten Mal ein hochrangiger Politiker. Minister nahmen an Schwulen- und Lesbenparaden teil, um Zeichen zu setzen.

Es bleibe aber noch viel zu tun, mahnt Kjaerum. „Wir wissen, dass nur die wenigsten Vorfälle der Polizei oder anderen Behörden gemeldet werden.“ Die Regierungen in der EU müssten die Erfassung von Hassdelikten verbessern und ihre Polizeibeamten entsprechend schulen. Außerdem müsste das Diskriminierungsverbot auch außerhalb des Berufes gelten, im Wohnungswesen, in der Bildung und bei den Gesundheitsdiensten. Sonst bleibe der gesetzliche Schutz vor Benachteiligungen lückenhaft.

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