Düsseldorf. Lebensgefühl und Freizeitwert - so versuchen Rechtsextreme Jugendliche anzulocken. Dabei werde die Propaganda immer professioneller und damit gefährlicher. Es entstehe eine "Erlebniswelt Rechtsextremismus", so ein Mitarbeiter des Verfassungsschutz NRW im Gespräch mit DerWesten.
Sie locken mit Wochenendausflügen, Konzerten und einer vermeintlich festen Gemeinschaft – „seit Jahren beobachten wir, dass Rechtsextremisten ihre Propaganda für bestimmte Zielgruppen professionalisieren“, erklärt Dr. Thomas Pfeiffer, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes NRW, im Gespräch mit DerWesten. Durch die Verbindung von Lebensgefühl, Freizeitwert und politischen Botschaften werde eine „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ kreiert, die rechtsextremistische Gruppen vor allem für Jugendliche attraktiv machen soll. „Die Versprechen von Gemeinschaft beziehungsweise Kameradschaft, Zugehörigkeit, Halt in der Gruppe und Orientierung sind die stärksten Reize der Szene“, beschreibt Pfeiffer die verführerischen Mittel.
Moderne Optik im Internet
In der letzten Zeit haben Rechtsextremisten eine breite Palette an Freizeitangeboten und Unterhaltungsmöglichkeiten entwickelt. „Sie haben erkannt, dass sie Inhalte nie langweilig vermitteln dürfen, sondern so, dass sie Jugendlichen vordergründig Spaß machen.“ Dazu gehören Konzerte, CDs, Demonstrationen, Feste der NPD oder der Jungen Nationaldemokraten und vor allem zahlreiche Internet-Angebote in moderner Optik. Laut Innenministerium NRW gebe es rund 1000 deutschsprachige Seiten von Rechtsextremisten. Diese locken mit Diskussionsforen, Musik und anderen interaktiven Elementen. Mythen und Legenden forcieren die Erlebniswelt: „Sie laden Aktivitäten symbolisch auf und verwandeln bestimmte Unternehmungen in starke emotionale Erlebnisse“, erzählt Pfeiffer.
Zu den wichtigen Symbolen der Szene zählt die „Schwarze Sonne“. Zu sehen ist das Zeichen auch als Bodenornament im ehemaligen Obergruppenführersaal der Wewelsburg (nahe Paderborn). Die SS hatte weitreichende Pläne, die Burg zu Schulungs- und Repräsentationszwecken umzubauen. Heute zählt sie zum Kreismuseum Wewelsburg, das die Ausstellung „Kult- und Terrorstätte der SS“ umfasst. In der rechtsextremistischen Szene hat die „Schwarze Sonne“ Kultstatus erlangt, die Wewelsburg wird als angeblich mythischer und symbolträchtiger Ort instrumentalisiert – ein Ausflug kann für Rechtsextremisten eine Art Pilgertour mit Erlebnischaraktersein.. „Zeichen wie die Schwarze Sonne sind quasi Ersatzsymbole für das Hakenkreuz“, erklärt Pfeiffer, „solche Symbole schweißen die Szene zusätzlich zusammen.“
Szene als "Ersatzfamilie"
Ein Aussteiger habe die rechtsextremistische Szene mal als „Ersatzfamilie“ bezeichnet. Die Suche nach Gemeinschaft ist in allen Gesellschaftsgruppen ein Bedürfnis. Deshalb sei die Bildung kein hinreichender Indikator für die Anfälligkeit für rechtsextremistische Tendenzen: „Mangelnde Intelligenz ist bei einigen nicht das Problem“, betont Pfeiffer.
Ein wichtiger Eckpfeiler für rechtsextremistische Gruppen seien regelmäßige Demonstrationen „Sie tragen für den engeren Kreis der Szene zur rechtsextremistischen Erlebniswelt bei“, sagt Pfeiffer, „man trifft ‚Kameraden’ und stellt sich gegen Feinde – etwa die Polizei oder/und linke Gruppen.“ Gruppenzugehörigkeit als Lebensgefühl, Unterhaltungsangebote und Wertvorstellungen, die von der Erwachsenenwelt abgrenzen, sind Elemente, die in praktisch allen Jugendkulturen präsent seien. „In der Erlebniswelt Rechtsextremismus sind sie an menschenverachtende politische Botschaften gebunden, die mal offen, mal verdeckt aus Symbolen, Bildern und Texten sprechen.“
Verpackt in Stammtischparolen
Oft spielt die rechtsextremistische Ideologie erst einmal eine untergeordnete Rolle. „Bestimmte Themen werden in der Musik oder anderen Jugendmedien der Szene nicht offen angesprochen, sondern über Andeutungen oder Stammtischparolen vermittelt“, so Pfeiffer, „in dem Maße, in dem Jugendliche tiefer in die Szene einsteigen, verinnerlichen sie die Ideologie, stellen sie zumindest nicht in Frage.“ Schrittweise komme der Kern der Hetze wie etwa Antisemitismus, Fremdenhass und die Verehrung von Rudolf Heß als Idol zum Vorschein.
Das steigende Geschick der Rechtsextremisten, Inhalte zu tarnen und in nicht strafbare Formulierungen zu hüllen, mache es für den Rechtsstaat häufig schwierig, wenn nicht unmöglich, rechtsextremistische CDs oder Websites zu verbieten. „Gerade diese Entwicklung fordert die Aufklärungsarbeit heraus“, betont Pfeiffer. Teile der Internet-Community haben bereits diese Herausforderung angenommen und bieten zahlreiche Infos über die rechtsextremistische Szene.
Aktuelle Themen werden angesprochen
Gleichwohl beobachtet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz die Entwicklung des Rechtsextremismus mit Argusaugen. „Die Gefahr wächst, da sich die Szene gewandelt und modernisiert hat. Sie spricht aktuelle Themen wie Globalisierung, Perspektivlosigkeit und Hartz IV an, macht Migranten oder Juden für gesellschaftliche Probleme verantwortlich und schürt auf diese Weise feindselige Haltungen“, warnt der Verfassungsschutz-Experte.
Deshalb müsse man Aufklärung bei Jugendlichen dagegensetzen, damit sie die Propaganda erkennen und entlarven können. „Wenn Jugendliche die Manipulation durchschauen, sind sie für Rechtsextremisten kaum erreichbar“, so Pfeiffer. Der Verfassungsschutz-Experte hat positive Erfahrungen in der Aufklärungsarbeit mit Jugendlichen gemacht. „Viele sind sehr interessiert – sie reagieren sensibel und geradezu erschreckt auf Inhalte und Tarnungstricks der rechtsextremistischen Szene.“ Aufklärung in der Schule und an anderen Stellen der Jugendbildung sei ein wichtiger Schritt, um dem Rechtsextremismus vorzubeugen. „Die Stärke des Rechtsextremismus wird immer auch von der Stärke demokratischer Positionen und der Kreativität demokratischer Gegenaktivitäten abhängen.“