Berlin. Die Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten hat in der Türkei für Aufregung gesorgt. Der türkische Kulturminister bezeichnete das Schweizer Nein zu Minaretten als Zeichen für religiöse Intoleranz. Auch die EU übte scharfe Kritik an dem Abstimmungsergebnis.
Der türkische Kulturminister Ertugrul Günay hat das Schweizer Minarett-Verbot als Zeichen religiöser Intoleranz kritisiert. Das Referendum über den Neubau von Minaretten in der Schweiz sei unzeitgemäß und uneuropäisch, sagte Günay am Montag vor Journalisten. «Die Schweiz ist ein Land, das zwar in Europa liegt, das aber Europa nicht verinnerlicht hat», fügte der Minister hinzu. Günay rechnet nach eigenen Worten mit Protestaktionen der islamischen Welt, die auch wirtschaftliche Formen annehmen könnten.
Jedes Gotteshaus habe seine eigenen Symbole, sagte Günay. «Ein Minarett oder ein Glockenturm ist ein untrennbarer Teil dieses Bauwerks.» Volksabstimmungen über die Religionsfreiheit lehne er ohnehin ab, sagte der Minister. Er hätte sich von der Schweiz eine tolerantere Haltung erhofft. Günay war der erste Vertreter der türkischen Regierung, der sich öffentlich zum Ausgang des Minarett-Referendums äußerte.
EU äußert sich kritisch
Das Nein der Schweizer stieß auch in der Europäischen Union auf scharfe Kritik. Der schwedische Außenminister Carl Bildt, dessen Land die EU-Ratspräsidentschaft innehat, nannte das Votum vom Sonntag in Stockholm ein «negatives Signal». Bildt sagte am Montag im Hörfunk: «Das ist ein Ausdruck von ziemlich vielen Vorurteilen und vielleicht sogar Angst.»
Die Schweizer Volksabstimmung löste in Deutschland eine Grundsatzdebatte aus. So warnten Vertreter der türkischen Gemeinde, Religionswissenschaftler und Politiker vor solchen Schritten oder negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern.
Zugleich kam auch Zustimmung wie vom Zentralrat der Ex-Muslime, der im Nein zu Minaretten ein Signal gegen Islamismus, Scharia und Kopftuchzwang sah. Am Sonntag hatten sich bei einem Referendum in der Schweiz überraschend 57,5 Prozent gegen den Bau von Minaretten in ihrem Land ausgesprochen.
Bosbach: Mancherorts Zeichen, wie stark der Islam geworden ist
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), rief dazu auf, die Schweizer Entscheidung ernst zu nehmen. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei Ausdruck einer auch in Deutschland weit verbreiteten Angst vor der Islamisierung der Gesellschaft. Im übrigen biete das deutsche Baurecht genügend Möglichkeiten, zu einem vernünftigen Interessenausgleich zu kommen. Volksabstimmungen über Moscheebauten seien in Deutschland weder möglich noch nötig.
Minarette in Deutschland
In Deutschland gibt es laut der Stiftung Islam-Archiv nach einer Zählung aus dem vergangenen Jahr 206 Moscheen mit Minaretten und Kuppeln. 120 weitere sind in Bau oder in Planung. Darunter ist eine Großmoschee in Köln-Ehrenfeld mit 55 Meter hohen Minaretten, deren Bau 2008 ungeachtet heftiger Proteste genehmigt wurde. Insgesamt stehen den rund drei Millionen Muslimen in Deutschland 2.600 Gebetsräume zur Verfügung.
In den letzten Jahren seien in den allermeisten Fällen konfliktfrei Moscheen in Deutschland gebaut worden. «Aber es gibt spektakuläre Großbauvorhaben, wie in Köln-Ehrenfeld oder Duisburg-Marxloh, gegen die es allein schon wegen der Dimension des Projektes viele Widerstände gibt«, sagte Bosbach. Er hält es für «durchaus möglich, dass einige Großbauvorhaben geplant werden, um zu zeigen, wie stark der Islam in Deutschland inzwischen geworden ist».
"Ein Minarett gehört zu einer Moschee"
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, nannte das Ergebnis «sehr bedauerlich». Über ein Grundrecht wie die Religionsfreiheit sollte man nicht abstimmen dürfen. «Ein Minarett gehört zu einer Moschee», betonte Kolat. Ähnlich äußerte sich die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, die sich schockiert vom Ausgang des Referendums zeigte.
Für den SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy ist die Minarett-Entscheidung der Schweizer «sehr problematisch». Wer Religionsfreiheit garantiere, müsse den Anhängern verschiedener Religionen auch die Möglichkeit geben, Gotteshäuser zu bauen. Eine Entscheidung wie in der Schweiz wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, sagte Edathy. Er glaube aber nicht, dass das Ergebnis negativen Einfluss auf die Integrationsdebatte in Deutschland haben werde. «Wenn diese Initiative eine Dynamik in anderen europäischen Ländern auslösen sollte - und die Gefahr besteht -, dann werden die Muslime am Ende in Europa keinen Platz mehr haben», sagte Amirpur. Sie sei entsetzt und habe jetzt Angst.
Der Architekt der umstrittenen Kölner Moschee, Paul Böhm, nannte ein Minarettverbot «undemokratisch». Das Schweizer Ergebnis sei «vor allem eine unintelligente Entscheidung, die mich erschreckt und die ich so nicht erwartet hätte», sagte er. Das letzte Wort dürfe nicht gefallen sein.
Ex-Muslime begrüßen Minarett-Verbot
Demgegenüber warnte der Zentralrat der Ex-Muslime vor einer Überbewertung. »Das Nein zu Minaretten ist eigentlich ein Signal gegen Islamismus, Scharia und Kopftuchzwang. Das Minarett steht da nur als Symbol für eine begründete Furcht vor dem politischen Islam«, sagte Zentralratsvorsitzende Mina Ahadi. Es sei gut, dass die Schweizer Bürger in diese Entwicklung eingegriffen haben und deutlich Nein gesagt hätten.
In der Schweiz leben etwa 400 000 Muslime. Die Beteiligung an der Volksabstimmung lag überdurchschnittlich hoch bei 54 Prozent. (ddp)