Köln/Bern. Mehr als 57 Prozent der Schweizer haben am Sonntag für ein Minarett-Verbot gestimmt. In Deutschland hat das Ergebnis der Volksabstimmung teils Empörung ausgelöst. Die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur fürchtet gar um die Zukunft der Muslime in ganz Europa.

Das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten kommt in Deutschland unterschiedlich an. Während sich die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur schockiert zeigte, äußerte der Zentralrat der Ex-Muslime Verständnis. «Wenn diese Initiative eine Dynamik in anderen europäischen Ländern auslösen sollte - und die Gefahr besteht -, dann werden die Muslime am Ende in Europa keinen Platz mehr haben», sagte Amirpur dem «Kölner Stadt-Anzeiger». Sie sei entsetzt und habe jetzt Angst.

Der Architekt der umstrittenen Kölner Moschee, Paul Böhm, nannte ein Minarettverbot «undemokratisch». Das Schweizer Ergebnis sei «vor allem eine unintelligente Entscheidung, die mich erschreckt und die ich so nicht erwartet hätte», sagte Böhm der in Berlin erscheinenden Tageszeitung «Die Welt». Er hoffe, hier nicht das letzte Wort gefallen sei. «Das wäre ein Fehler.»

Ex-Muslime begrüßen Entscheidung

Demgegenüber warnte der Zentralrat der Ex-Muslime vor einer Überbewertung. »Das Nein zu Minaretten ist eigentlich ein Signal gegen Islamismus, Scharia und Kopftuchzwang. Das Minarett steht da nur als Symbol für eine begründete Furcht vor dem politischen Islam«, sagte Zentralratsvorsitzende Mina Ahadi der "Leipziger Volkszeitung". Es sei gut, dass die Schweizer Bürger in diese Entwicklung eingegriffen haben und deutlich Nein gesagt hätten.

Die Schweizer hatten am Sonntag überraschend für ein Bauverbot von Minaretten in ihrem Land gestimmt. Die Initiative von zwei rechtspopulistischen Parteien wurde laut dem Endergebnis des Referendums mit mehr als 57 Prozent der Ja-Stimmen angenommen. Neben der Mehrheit der rund fünf Millionen Stimmberechtigten votierte auch die erforderliche Mehrheit der 26 Kantone dafür.

Intitiative zweier rechtspopulistischer Parteien

Hinter der Initiative stehen die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU), die ein Verbot zur Errichtung von Moscheen mit Gebetstürmen in der Schweizer Verfassung verankern wollen. Nur in vier Kantonen fand sich eine Mehrheit gegen das geplante Bauverbot für Minarette.

Damit ist der Weg geebnet für eine Änderung des Artikels 72 der Schweizer Verfassung, der das Verhältnis zwischen Religion und Staat regelt. Das Bauverbot für Minarette soll darin als «geeignete Maßnahme zur Wahrung des Friedens zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften» festgeschrieben werden.

Imageschaden befürchtet

Beobachter bezeichneten das Votum für das Bauverbot als überraschend, weil Umfragen bis zuletzt eine Ablehnung der Initiative vorausgesagt hatten. Der Politikwissenschaftler Claude Longchamp nannte im Radiosender DRS in erster Linie die Entscheidung parteiunabhängiger Wähler als ausschlaggebend für den Ausgang des Referendums.

Der in Genf lebende Islamwissenschaftler Tariq Ramadan bezeichnete das Votum als «katastrophal». Die Schweizer Grünen kündigten an, eine Anrufung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg zu prüfen. Sie sehen durch das Votum die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Religionsfreiheit verletzt.

Die Regierung in Bern hatte den Stimmberechtigten empfohlen, mit Nein zu votieren. Sie befürchtet, ein Minarett-Verbot werde «im Ausland auf Unverständnis stoßen und dem Ansehen der Schweiz schaden». Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, bis zum Sommer 2008 selbst noch SVP-Mitglied, hatte gesagt, ein Minarett-Verbot stehe im Widerspruch zu den Menschenrechten und gefährde den religiösen Frieden.

Provokative Plakate

Die Initiatoren hatten in anderthalb Jahren mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt und so die Volksabstimmung durchgesetzt. Sie betonen, dass sich das Referendum nicht gegen den Islam als Religion wende. Der SVP-Politiker Ulrich Schlüer, einer der Wortführer der Initiative, kritisierte die Minarette als ein «politisches Symbol eines Machtanspruchs».

Für landesweite Aufregung sorgten vor allem die provokativen Plakate der Anti-Minarett-Initiative, die in mehreren Städten verboten wurden. Auf dem Poster ist eine Frau im schwarzen Tschador vor einer Schweizer Fahne mit raketenähnlichen Minaretten zu sehen. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) wertete das Plakat als eine Bedrohung des öffentlichen Friedens, auch Menschenrechtsexperten der UNO zeigten sich besorgt.

Von den 7,5 Millionen Einwohnern der Schweiz sind 400.000 muslimischen Glaubens, rund 50.000 bezeichnen sich als praktizierende Muslime. Bislang gibt es im ganzen Land lediglich vier Moscheen mit Minaretten.

Die Schweizer stimmten am Sonntag auch über die Initiative «Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten» ab, die Waffenexporte vollständig verbieten will. Laut der Schweizer Nachrichtenagentur SDA sprachen sich 68,2 Prozent gegen diese Initiative aus. Auch die Regierung hatte sich klar gegen den Vorstoß ausgesprochen. (afp)