Berlin. Der Solidaritätsausgleich ist nicht verfassungsgemäß, urteilt das niedersächsische Finanzgericht - und erntet dafür Kritik von prominenter Seite. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sagte: "Wenn Richter gegen Solidarität urteilen, dann wird es in Deutschland ungemütlich und gefährlich."

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kritisiert die Entscheidung des niedersächsischen Finanzgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags. «Es befremdet mich sehr, dass 18 Jahre nach Einführung des Solidaritätszuschlages eine kleine Gruppe von Richtern befindet, dass der Soli von Beginn an verfassungswidrig gewesen sei», sagte Thierse dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Donnerstagausgabe). Über die Notwendigkeit des Solidaritätszuschlags habe von Beginn an über die Parteigrenzen hinweg Konsens bestanden.

"Es wird sehr ungemütlich und gefährlich"

Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Gericht im Nachhinein die breite gesellschaftliche und politische Übereinkunft in Frage stelle. «Wenn Richter gegen gesamtdeutsche Solidarität urteilen, dann wird es in Deutschland sehr ungemütlich, dann wird es auch gefährlich», warnte der SPD-Politiker. Nun müsse man abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht urteile "und ob es auch Solidarität für verfassungswidrig erklärt».

Das Bundesverfassungsgericht sieht nun auch Monika Zimmermann, Regierungssprecherin Sachsen-Anhalts, in der Verantwortung. «Es ist nicht Aufgabe eines Finanzgerichts, über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages zu entscheiden», sagte Zimmermann am Mittwoch in Magdeburg. Deshalb sei die Klage auch an das Bundesverfassungsgericht verwiesen worden.

"Der Soli ist keine Aufbau-Ost-Steuer"

Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, betonte: «Der Soli ist keine Aufbau-Ost-Steuer», er gehe vielmehr in den allgemeinen Steuertopf. Sollte das Bundesverfassungsgericht der Auffassung des Finanzgerichtes folgen, hätten sich alle Steuersenkungspläne der Bundesregierung mit einem Schlag erledigt, prognostizierte Bartsch. Die Bundesregierung müsse umgehend darüber nachdenken, wie diese Steuerausfälle kompensiert werden könnten. Das dürfe nicht zulasten der strukturschwachen Regionen gehen oder zu Leistungskürzungen des Sozialstaates führen. «Die Bundesregierung ist gut beraten, über Möglichkeiten zur Einnahmeerhöhung wie eine Millionärssteuer, Börsenumsatzsteuer oder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes nachzudenken», sagte Bartsch.

FDP-Politiker stellten die Sonderabgabe zur Einkommensteuer grundsätzlich in Frage. Der finanzpolitische Sprecher der FDP- Bundestagsfraktion, Carl-Ludwig Thiele, erklärte am Mittwoch in Berlin: «Im Rahmen einer umfassenden Steuerreform sollte der Solidaritätszuschlag schrittweise abgebaut werden und spätestens mit dem Ende des Solidarpaktes II im Jahre 2019 auslaufen.»

Der Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses, Volker Wissing (FDP), sagte der «B.Z.», aus einer Sonderabgabe dürfe keine Dauerabgabe werden. «Da ist der Soli im Grenzbereich. Deshalb stehen wir einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit offen gegenüber.»

NRW-FDP-Fraktionschef Papke: "Der Soli hat sich überlebt."

Der Fraktionschef der FDP in Nordrhein-Westfalen, Gerhard Papke, sagte dem «Handelsblatt»: «Der Solidaritätszuschlag hat sich überlebt. Wenn die Politik bisher nicht die Kraft hat, dem Soli den Garaus zu machen, dann hilft vielleicht jetzt ein höchstrichterlicher Impuls.»

Der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Leo Dautzenberg, erklärte hingegen, die Union stehe fest zum Aufbau Ost. «Dazu leistet der Solidaritätszuschlag einen unverzichtbaren Beitrag. Gerade in Anbetracht der durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise bedingten haushalterischen Rahmenbedingungen werden wir auch in den nächsten Jahren nicht auf den Solidaritätszuschlag verzichten können.»

Bund der Steuerzahler fordert schnelle Reaktion der Bundesregierung

Die Frage, ob der Solidaritätszuschlag verfassungsmäßig ist, könne allein das Bundesverfassungsgericht abschließend entscheiden. «Diese Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes sollten wir nun zunächst einmal mit dem gebotenen Respekt abwarten.»

Der Bund der Steuerzahler forderte die Politik hingegen auf, zu reagieren bevor eine Entscheidung des Verfassungsgerichts gefallen ist. «Da die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag allein dem Bund zufließen, kann dieser auch schnell und ohne Zustimmung der Länder abgeschafft werden», sagte Verbandsgeschäftsführer Reiner Holznagel «Handelsblatt Online».

«Überraschende Meinung eines einzelnen Landesgerichts»

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) hat gelassen auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts reagiert, wonach der Solidaritätszuschlag verfassungswidrig sei. «Das ist zunächst einmal die überraschende Meinung eines einzelnen Landesgerichts», sagte Sellering dem «Hamburger Abendblatt» (Donnerstagausgabe). «Wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet, bleibt abzuwarten. Für uns ist entscheidend, dass der Aufbau Ost fortgeführt wird und der Solidarpakt II weiter gilt.»

Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, erklärte: «Sollte das Bundesverfassungsgericht der Auffassung des Finanzgerichtes folgen, dann haben sich alle Steuersenkungspläne der Bundesregierung mit einem Schlag erledigt. Sie sei nun gut beraten, über Möglichkeiten zur Einnahmeerhöhung wie etwa eine Millionärssteuer, eine Börsenumsatzsteuer oder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes nachzudenken. (ddp)