Berlin. Bundeswirtschaftsminister Brüderle widerspricht seinem Kabinettskollegen Ramsauer: Investitions-Bedarf für Infrastruktur darf nicht bei Ausgaben in den neuen Bundesländern abgezogen werden. Fachleute fordern eine streng bedarfsorientierte Planung.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat vor Neiddebatten und wechselseitigen Verteilungskämpfen zwischen Ost und West gewarnt. Man gerate auf eine schiefe Argumentationsschiene, wenn man sage, "der Osten kriegt zuviel, jetzt ist der Westen dran". Damit, so Brüderle, "machen wir die Stimmung im Land insgesamt kaputt."

Der Kuchen muss größer werden

Brüderle betonte, es gebe klare Vereinbarungen, wie der Aufbau Ost weiterläuft. Diese seien alle einvernehmlich getroffen worden. Jetzt müssten zusätzliche Mittel mobilisiert werden. Im Westen gibt es dem FDP-Politiker zufolge in der Tat Defizite. «Aber ich würde mich hüten zu sagen, der Osten hat zu viel und wir nehmen es jetzt weg», sagte er. Vielmehr müsse man «den Kuchen größer machen, damit alle ein Stück mehr haben.» Da gebe es andere Finanzierungsmöglichkeiten, beispielsweise Privatfinanzierungen. «Da braucht man Fantasie und nicht eine wechselseitige Neiddebatte».

Zuvor hatte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) für Empörung gesorgt, weil er betont hatte, im Westen gebe es nach 20 Jahren Aufbau Ost erheblichen Nachholbedarf. Dort müsse nun verstärkt investiert werden.

"Wir haben im Koalitionsvertrag keinen Aufbau West beschlossen», sagte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU). «Das ist die eigene Interpretation von Herrn Ramsauer, die so nicht notwendig gewesen wäre. Wir wollen vielmehr in ganz Deutschland regionalisiert und projektbezogen arbeiten.» Es werde keine Mittel mehr geben, «die ausschließlich in den Osten fließen», so Haseloff. Allerdings gebe es in den neuen Ländern «noch eine ganz klare Infrastrukturlücke. Die wird geschlossen.»

Der Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann sagte zu Ramsauers Äußerungen : «Natürlich ist das die Neidperspektive, die man immer wieder an Stammtischen hören kann.» Er räumte zugleich ein, «dass tatsächlich sehr viel Geld in den Osten in die Infrastruktur gesteckt wurde, und das viele Projekte überdimensioniert sind oder waren.» Bei den anstehenden Bauprojekten müssten nunmehr klare Prioritätren gesetzt werden. Mit Blick auf die angekündigten Projekte bei Straße und Schiene sagte er: «Das alles zusammen geht nicht.»

Fachleute stützen Ramsauers These

Fachleute wie der stellvertretende Leiter der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz, fordern zunächst eine sachliche Analyse: «Eine Ost-West-Debatte hilft niemandem. Man muss nüchtern betrachten: Wie ist der Stand der Infrastruktur in Deutschland, und wie sieht die voraussichtliche Nutzung in Zukunft aus.» Dabei kommt Ragnitz zu dem Ergebnis, dass Ramsauer im Kern richtig liegt. «Im Westen gibt es viel zu tun», sagt Ragnitz. Aber auch im Osten gebe es noch einige Baustellen.

Hinweise auf den künftigen Infrastrukturbedarf ergeben sich beispielsweise aus dem derzeit gültigen Raumordnungsbericht 2005. Dort weist eine Grafik zur Bevölkerungsentwicklung bis 2020 in fast allen Teilen Ostdeutschland auf einen starken Bevölkerungsrückgang hin. Ausnahmen sind vor allem Dresden, Erfurt und Berlin samt Umland. Große Gebiete West-, Nord- und Süddeutschlands dagegen bleiben danach stabil oder legen - teilweise kräftig - zu. Entsprechend sieht die Prognose der erwarteten Verkehrszuwächse aus: Während sie im Osten sehr gering bis gering ausfallen, soll sich die Entwicklung im restlichen Bundesgebiet stabil bis stark wachsend bewegen.

Ragnitz verweist für den Osten vor allem auf drei wichtige und noch ausstehende Projekte: «Die A14 von Dresden über Magdeburg nach Hamburg ist ein wichtiger Lückenschluss. Die Autobahn 13 von Berlin nach Dresden muss verbessert werden. Und im Schienenbereich ist die Strecke von der Ostsee über Berlin Richtung Prag noch zu langsam.»

Staus als Investitionshinweise

Wie stark gleichzeitig der Bedarf in anderen Teilen Deutschlands ist, zeigt die Staustatistik des ADAC. Auf einer Liste mit den 20 «stauaufälligsten Autobahn-Streckenabschnitten» aus dem Jahr 2008 liegt nicht ein einziger in Ostdeutschland. Bei den Staumeldungen lagen Nordrhein-Westfalen (39 Prozent) und Bayern (20 Prozent) mit weitem Abstand vor Hessen und Baden-Württemberg (jeweils acht), Berlin (sieben) und Niedersachsen (sechs).

Autobahnstrecken, die ausgebaut werden müssen, um den künftigen Verkehr bewältigen zu können, haben die ADAC-Fachleute vor allem im Westen Deutschlands, im Münchner Raum und bei Hamburg ausgemacht. In östlichen Deutschland markierten sie lediglich die Strecke von Berlin nach Hamburg.

Auch im Schienenverkehr liegen die meisten drängenden Aufgaben im Westen. Im Hamburger Hafenhinterland sind für den Abtransport wachsender Containermengen dringend neue Kapazitäten nötig. Die wichtige Strecke von Karlsruhe nach Basel muss ausgebaut werden. Die Nord-Süd-Achse muss dringend entlastet werden. Hier allerdings könnte auch Ostdeutschland profitieren, da eine Umgehungsstrecke über Magdeburg, Hof und Reichenbach im Gespräch ist. (ddp)