Ruhrgebiet. Die UN-Kinderrechts-Konvention wird 20 Jahre alt – und gilt in Deutschland noch immer nicht für junge Migranten wie Said. Von einem, der im Irak alles zurück lassen musste und der noch immer Alpträume hat.

Neulich hat Said wieder geträumt. Sonst liegt Said oft wach, aber diesmal muss er geschlafen haben: Er träumte, seine Mama wäre da. Sie hat ihn umarmt, er schreckte hoch, und sofort war die Angst wieder da. Eigentlich hat Said immer Angst, sie ist das einzige, das er mitgebracht hat aus dem Irak, wo er alles zurück ließ. Auch seine Eltern: „Ich weiß nicht einmal, ob sie noch leben.”

Said Haumand, wie sie seinen Namen hier schreiben, war 15, als er nach Deutschland kam. Er kam allein, von Kirkuk nach Köln, ohne Familie, ohne Papiere, er hat keine Grenze gesehen und auch sonst nichts, es war dunkel hinten im Anhänger des Lkws. Said ahnte nicht, „wo ich fahre”, Italien, Holland, „egal, nur weg aus dem Irak”. Er wusste ja nicht einmal, „ob ich noch weiter lebe” und auch nicht, dass sie in Deutschland Ausländer ohne Papiere festnehmen. „Es war nicht in meinem Kopf, wie es hier ist.” Said dachte, es geht in die Freiheit.

Einen Monat muss die Reise gedauert haben, im Juli 2008 kam der Junge über die Türkei und Belgien nach Köln und von dort zu einem Cousin nach Essen; „es geht ihm noch gut”, sagt Schermin Shewan, die sich um ihn kümmert, „andere kennen niemanden”. Die Anderen, das sind nach Schätzungen des Bundesfachverbands Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) 5- bis 10 000 Kinder in Deutschland, die allein aufgebrochen sind oder ihre Eltern unterwegs verloren haben. Geflohen aus Afghanistan, Afrika und dem Irak.

In der Stadt der Bomben

Manche aber, sagt UMF-Referent Thomas Berthold, werden auch geschickt: „Damit es wenigstens einem Kind gut geht.” Wie Said. „Mein Vater liebt mich sehr”, sagt er leise, er war der jüngste zuhause, in dieser Stadt, „wo immer Bomben sind” und wo, wer vor die Tür geht, „nie wissen kann, ob er wieder zurückkommt”. Es gibt keine Sicherheit in Kirkuk, sagt Said, nur Terrorismus, und als jemand auf seinen Bruder schoss und ein anderer versuchte, den kleinen zu entführen, da hat „mein Vater alles organisiert”.

Said sollte zu Schule gehen können, er wollte es, „ich will lernen, damit ich in der Zukunft einen Beruf haben kann”. Wer einen Beruf hat, glaubt Said, „kriegt Arbeit”. Deshalb auch hat er sich angestrengt an der Essener Hauptschule, kam aus der Förderklasse schon nach einem Jahr in die neunte und kriegt nicht mal einen Blauen Brief: Natürlich hat er eine Fünf in Deutsch, er ist erst ein gutes Jahr da, aber mündlich hat er Punkte gesammelt. Am besten kann Said Wörter, die er oft braucht: „Antrag”, „Vormundschaft” oder „Sachbearbeiter”.

Seinen ersten Asylantrag haben sie nach einem Jahr abgelehnt, es gibt auch ein Gerichtsurteil, und ein Berufungs-Antrag läuft. Das Problem ist, sagt Thomas Berthold, dass Minderjährige ab 16 nach dem Ausländerrecht als Erwachsene behandelt würden, „die Fluchtgründe im deutschen Asylverfahren sind erwachsen”, es sei deshalb schwierig, eine Anerkennung zu erreichen. In Deutschland gilt das Ausländerrecht mehr als das Kinderrecht, so steht es in der „Vorbehaltserklärung”, die man der UN-Kinderrechts-Konvention unterschob.

Deshalb, so Berthold, sei auch die Unterbringung der Flüchtlingskinder oft „nicht altersgerecht”. Said lebte eine Weile bei seinem Cousin, er durfte bei ihm auf dem Sofa schlafen, aber erst, wenn die fünfköpfige Familie im Bett war. Weil er mehr Ruhe wollte, auch wegen der Schule, brachten sie ihn ins Flüchtlingsheim. Ein Zimmer hat er dort, Klo, Dusche, Küche auf dem Gang, er sagt, es sei laut, es gebe Diebe und außer ihm „nur Große”. Said ist auf sich selbst gestellt, dabei hat er daheim noch nicht einmal gelernt, wie man Tee kocht.

Das Telefon ist tot

Er kommt jetzt oft zu Schermin, er traut sich sonst nirgends hin. Essen darf er nicht verlassen, er hat Angst, etwas falsch zu machen, und Schermin hat immer ein Ohr für ihn. Obwohl sie ihn kaum trösten kann: „Es tut mir leid, dass ich das so sagen muss. Aber ich sehe für Said überhaupt keine Chance.” Sein Ausweis läuft im März ab, er weiß nicht, was er machen soll, „was soll ich versuchen – und für was”? Daheim in Kirkuk ist das Telefon tot, niemand will etwas von seiner Familie wissen, „es ist sehr schwer für mich”.

Wenn er wach ist, träumt der Junge Said, „dass ich bin wie andere deutsche Leute”.