Essen. Nachhaltigkeit ist eines der großen Schlagwörter unserer Zeit. Dabei ist der Begriff schon über 300 Jahre alt. Warum die Idee so wichtig ist.
Schon lange bevor auf diesem Planeten die Ressourcen immer schneller zur Neige gingen, gab es Menschen, die sich Gedanken über die Endlichkeit von Rohstoffen machten. Es war der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz, der im 18. Jahrhundert erstmals den Gedanken der Nachhaltigkeit formulierte. Er stellte eine simple Regel auf: Man sollte niemals mehr Bäume fällen als im gleichen Zeitraum nachwachsen können.
Nachhaltig: Nicht mehr verbrauchen, als nachwachsen kann
In seiner Schrift „Sylvicultura Oeconomica“ stellte er anno 1713 eine einfache Nachhaltigkeitsregel auf: Immer nur so viel Holz schlagen, wie nachwachsen kann. Damit schuf er die Blaupause für ein sich selbst erhaltendes Wirtschaftssystem nach der Maxime, das Naturkapital zu nutzen und zugleich zu erhalten. Der Oberberghauptmann sorgte sich um ausreichend Nachschub für Grubenholz.
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Was in der Forstwirtschaft seinen Anfang nahm, gilt seither als Maxime in vielen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen. Die Grundidee: Ein System ist dann nachhaltig, wenn es langfristig überlebt, ohne sich selbst zu schaden oder gar zu zerstören. Der Begriff machte Karriere, wurde zum Megathema in der Wissenschaft, gehört heute in jede Rede über die Zukunft unserer Gesellschaft und in jedes Vorstandsmeeting. Er dient Politikern als Schlagwort und hilft Herstellern bei der Vermarktung ihrer Produkte – von Strom über Mode bis zum Shampoo. Wie kam es dazu?
Club of Rome und die Grenzen des Wachstums
Nach dem Zweiten Weltkrieg wich die Freude über Wirtschaftswunder und wachsenden Wohlstand nach und nach der Ernüchterung über die massiven Umweltzerstörungen, die diese Entwicklung mit sich brachte. Waldsterben, Wasserverschmutzung, saurer Regen und Smog ließen die Erkenntnis wachsen, dass der Ressourcenverbrauch ganz und gar nicht nachhaltig war. Das System war dabei, sich selbst aufzufressen. Die UN-Umweltschutzkonferenz von Stockholm im Jahr 1972 weckte die Hoffnung, dass die internationale Politik das Problem in den Blick nahm. Es war die erste weltweite Umweltkonferenz und gilt heute als Beginn einer internationalen Umweltschutzpolitik.
Vielleicht war es kein Zufall, dass im gleichen Jahr ein junger Wissenschaftler im Auftrag des „Club of Rome“ ein Buch veröffentlichte, das gewaltige Aufregung auslösen sollte. Titel: Die Grenzen des Wachstums. Wenn die Menschheit so weiter wächst wie bisher, so die These von Dennis Meadows, wird sie innerhalb weniger Jahrzehnte an ihre Grenzen stoßen. Meadows und seine Kollegen haben nach damals bekannten Daten die Rohstoff-Vorräte der Erde mit dem Wirtschaftswachstum und den Geburtenraten in Formeln gefasst und ihre Computer mit der Frage gefüttert, wie es um die Erde als Wachstumsraum bis zum Jahre 2100 bestellt sein würde.
Ölpreis-Schock verdrängt Umweltgedanken
Das Resultat der Simulationen war erschütternd: Die Äcker würden schon bald nicht mehr alle Menschen ernähren können, die Rohstoffe werden knapp und das Wachstum kommt zum Erliegen. Der Zusammenbruch sei in diesem Szenario kaum abzuwenden. Schon bald habe die Menschheit so viele Reserven verbraucht, dass nicht mehr alle überleben könnten.
In der Ölkrise 1973 aber hatte die Welt für solche Mahnungen kein Ohr. Der Preisschock hätte zu einer wachstumspolitischen Wende mahnen können, doch als der Treibstoff des Wachstums plötzlich teuer wurde, traten die Sorgen um Wirtschaft und Arbeitsplätze in den Vordergrund. Seine Analyse habe trotz damals beschränkter Mittel bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren, sagte Meadows 40 Jahre nach der Veröffentlichung seiner Untersuchung am Rande einer Konferenz dieser Redaktion: „Wir leben zigfach über der Nachhaltigkeitsgrenze. Es gibt wieder einen immensen Wachstumsdruck. Doch zugleich wächst der Druck auf die Gesellschaft durch Energieknappheit und Klimawandel.“
Brundtland-Bericht und der Erdgipfel von Rio
Aus seiner Sicht zäumt die Menschheit das Pferd von hinten auf: Nicht der Klimawandel sei das Problem, das ungebremste Wachstum sei es. Die Menschheit plündere den Planeten aus, auf dem sie lebt. Nachhaltigkeit? „Wir steuern auf den Kollaps zu.“ Doch statt sich dieser Einsicht zu stellen und entsprechende Entscheidungen zu treffen, „tun unsere politischen Führer alles, um den Status Quo zu bewahren“, sagte Meadows damals. Damit setzten sie die Zukunft des Planeten aufs Spiel.
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Das Werk, das neuneinhalb Millionen Mal verkauft wurde, gilt bis heute als eine der einflussreichsten Studien überhaupt. Es markiert den Startpunkt der modernen Öko-Bewegung und war Geburtshilfe für die Grünen. Der Gedanke des „Club of Rome“ wurde aufgegriffen, etwa im Brundlandt-Bericht der Vereinten Nationen 1987 „Unsere gemeinsame Zukunft“, der die nachhaltige Entwicklung ins Zentrum stellte.
Erfolglose UN-Klimagipfel: Greta Thunbergs Schulstreik
Ebenso beim „Erdgipfel von Rio“ im Juni 1992, bei dem 178 Staaten den Grundstein für eine gemeinsame „Erdpolitik“ zur Erhaltung der Lebensgrundlagen legten. „Rio steht für eine weltweite Anerkennung des Leitbildes der Nachhaltigkeit“, hieß es anschließend. Der Bundestag erweiterte 1998 den Begriff und stellte ihn auf drei Säulen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Nachhaltig ist demnach eine Lebensweise, die Ressourcen schont und Chancengleichheit gewährleistet.
Doch etliche Weltklimakonferenzen und -abkommen später verliert die Jugend der Welt die Geduld. Am 20. August 2018 begann die damals 15-jährige Schülerin Greta Thunberg mit dem ersten „Skolstrejk för klimatet“, dem Schulstreik für das Klima. Drei Wochen lang ging sie freitags nicht zur Schule, sondern protestierte vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm. Allein, nur mit ihrem selbst gemachten Plakat, saß sie dort.
Umsetzung des Pariser Klimaabkommens ist fraglich
Aus der einsamen „Fridays for Future“-Aktion wurde rasch eine weltweite Bewegung. „Hört auf die Wissenschaft“, „Wir haben keinen Planeten B“ oder „Handelt endlich, damit wir eine Zukunft haben“ sind ihre Slogans. Auf dem UN-Klimagipfel 2019 schleuderte die Schülerin den versammelten Staatenlenkern der Erde ein empörtes „How dare you?“ entgegen – „wie könnt ihr es wagen?“
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Die Jugend ist wütend. Aus ihrer Sicht scheitert die Politik immer noch an der Umsetzung der über 300 Jahre alten Idee der Nachhaltigkeit und verpasst das 2015 im Pariser Klimaabkommen verabredete 2-Grad-Ziel. Wer weiß, vielleicht hätte sich der sächsische Nachhaltigkeits-Pionier Hans Carl von Carlowitz unter die Aktivisten und Baumschützer gemischt, die am Rande der Braunkohlegrube den Hambacher Forst gegen die Bagger verteidigten.
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