Essen. NRW-Staatskanzlei-Chef Liminski zählt die Ditib an. Sie soll sich von der Hamas und von Erdogan distanzieren. Diesmal immerhin ist das nicht naiv.

„Unfassbar“ sei das, wetterte Grünen-Politiker Cem Özdemir. Er könne „vor Wut explodieren“. Rund zweieinhalb Jahre ist dieser Ausbruch des türkischstämmigen heutigen Bundeslandwirtschaftsministers her. Damals ging es nicht darum, dass er Nematoden im Fisch entdeckt hatte oder Maden im Fleisch. Özdemir wurmte etwas ganz anderes: die Naivität der damaligen schwarz-gelben NRW-Landesregierung. Die hatte nämlich die Kooperation mit der Islam-Organisation Ditib wieder aufgenommen, die seitdem ein gewichtiges Wort bei der Gestaltung des islamischen Religionsunterricht in deutschen Schulen mitzureden hat – bis hin zu der Besetzung von Lehrerstellen. Damit bekam der türkische Diktator Recep Tayyip Erdogan faktisch Zugang zu 260 Schulen in NRW und rund 22.000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens.

Unfassbar, in der Tat!

Wessen Geistes Kind dieser Erdogan ist, wissen wir nun schon seit vielen Jahren. Gerade jetzt, ausgerechnet kurz vor seinem Staatsbesuch an diesem Freitag in Berlin, hat der Mann mal wieder seine hässlichste Fratze gezeigt. Israel sei ein „Terrorstaat“, wetterte er, verstoße gegen das Völkerrecht und begehe „Kriegsverbrechen“. Die Hamas dagegen sei eine „Befreiungsorganisation“. Das sagte nicht irgendwer, sondern der Präsident eines Nato-Vollmitglieds und EU-Beitrittskandidaten.

Schöne Grüße aus Düsseldorf

Noch einmal zum Mitschreiben: 1. Der Terror ging und geht von der Hamas aus. 2. Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen: Das ist das eigentliche, das ursprüngliche Kriegsverbrechen. Bundeskanzler Olaf Scholz wird seinem despotischen Gast die Fakten sicher in aller Ruhe erläutern. Bringen wird es indes nichts. Aber vielleicht wird Erdogan auf das aufmerksam, was rund 600 Kilometer westsüdwestlich von Berlin passiert: in der Landeshauptstadt Düsseldorf.

Dort nämlich hat jetzt endlich auch die CDU begriffen, dass mit Erdogans Ditib kein Staat zu machen ist, jedenfalls kein demokratischer Staat auf der Grundlage westlicher Werte. Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski, Vordenker von NRW-Ministerpräsident und CDU-Landeschef Hendrik Wüst, hat die Ditib darum deutlich angezählt. Wenn sie Partnerin des Landes für den islamischen Religionsunterricht bleiben wolle, müsse sie sich unmissverständlich von den antisemitischen und israelfeindlichen Aussagen von Erdogan und der türkischen Religionsbehörde Diyanet, der sie unterstellt ist, distanzieren, sagte Liminski unserem Landtagskorrespondenten Tobias Blasius. Schöne Grüße via WAZ nach Berlin und Ankara!

Landesregierung hat sich täuschen lassen

Der Schritt ist richtig, aber allzu sehr loben mag ich Liminski und Co. dafür trotzdem nicht. Denn man hätte es wissen können. Man hätte wissen können, dass die Ditib ihre Nähe zum Staat und zur Regierung der Türkei niemals aufgeben würde, auch wenn sie das auf Druck der damaligen NRW-Landesregierung so in ihrer Satzung verankert hat. Papier ist nun mal geduldig. Das gilt auch für die gemeinsame Erklärung der heutigen schwarz-grünen Landesregierung und muslimischen Verbänden, darunter der Ditib, nach dem Massaker der Hamas in Israel.

Brav verurteilte man darin den Terror der Islamisten und besuchte als Geste des friedlichen Miteinanders sogar eine Synagoge in Köln. Initiator war: Nathanael Liminski. Doch schon bald folgte die Enttäuschung. Die gemeinsame Erklärung richtete die Ditib offenbar nur an die deutsche Medienöffentlichkeit, nicht aber an die muslimische Gemeinschaft. Nicht einmal auf der eigenen Internetseite wollte sie den Text veröffentlichen. Seitdem brodelt es in Liminski. Einem solchen eigentlich mit allen Wassern gewaschenen Polit-Stragegen macht es sicher wenig Freude, sich derart vorführen zu lassen.

Denn Enttäuschungen setzen immer jemanden voraus, der sich täuschen lässt. Und da kommt einem wieder das böse Wort in den Sinn, das Özdemir damals benutzt hat: Naivität.

Die Naivität von CDU und FDP

Diyanet-Chef Ali Erbas hat neulich gepredigt, Israel sei „wie ein rostiger Dolch im Herzen der islamischen Geografie“. Dieser Mann entscheidet, wer im Ditib-Vorstand sitzt und wer hierzulande was in den Moscheen sagen darf und was nicht. Wie kann man auch nur annehmen, ausgerechnet diese Leute würden sich authentisch von der Hamas distanzieren? Wie naiv muss man sein?

Die damalige Schulministerin, die die Ditib wieder an den Tisch holte, hieß übrigens Yvonne Gebauer von der FDP. Die damalige und heutige Antisemitismus-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen ist Gebauers Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Diese sagte damals allen Ernstes, sie erwarte, „dass sowohl Kenntnisse über das Judentum als auch die Aufklärung über antisemitische Stereotype“ in den von der Ditib mit beeinflussten Religionsunterricht einfließen würden. Sie erwarte „Fakten“, nicht „Verschwörungstheorien“.

Entschuldigung: Wer den Bock derart zum Gärtner macht, hat offenbar nicht mehr alle Gießkannen im Schuppen.

Ditib wird Forderung nicht erfüllen

Nur als Fußnote gedacht sei der Hinweis, dass es nun wiederum die religionspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sandra Bubendorfer-Licht, ist, der nun eben jenes aufgeht (Sorry, no jokes with names!): Sie fordert nun, eine Zusammenarbeit im schulischen Religionsunterricht mit der Ditib müssten die Bundesländer „sofort unterbinden“. So rund geht es bei den Liberalen ...

Zur teilweisen Ehrenrettung von CDU und FDP hier noch eine vorletzte Anmerkung: Die NRW-Landesverfassung sieht eine Mitwirkung von Religionsgemeinschaften an der Gestaltung des Schulunterrichts vor. Und für den Islam gibt es als Ansprechpartner für den Staat bislang keine vergleichbare Vertretung wie die christlichen Kirchen. Das macht die Sache nicht einfach. Dennoch ist es alternativlos, die Zusammenarbeit mit der Ditib jetzt zu beenden. Liminski rechnet sicher damit, dass er die von ihm geforderte Distanzierung nicht bekommen wird. Damit ist der weitere Lauf der Dinge ziemlich klar.

Roter Teppich für Erdogan

Und Erdogan? Er wird es trotzdem genießen, dass Deutschland ihm den roten Teppich ausrollt. Mit ihm zu sprechen, der im Russland-Ukraine-Krieg ein wichtiger Mittler ist und der dabei helfen kann, die Migration nach Deutschland und Europa einzudämmen, nennt man wohl – Realpolitik!

Das ist Klartext

Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.

Auf bald.