Guter Rat allein bringt nichts. Wir werden nur dann Gas sparen, wenn wir die hohen Kosten spüren. Wie also kommt unser Land gut durch den Winter?

Ich bin, offen gesagt, ein Warmduscher. Genau genommen kann es mir gar nicht heiß genug sein. Nach einem anstrengenden Tag, wenn der Rücken schmerzt, tut das einfach gut. Trotzdem habe ich vor einigen Wochen die Gasheizung komplett ausgestellt, auch die Warmwasserversorgung. Das ging, weil wir auf dem Dach eine alte Solaranlage haben, die das Wasser erhitzt. Das funktionierte super, bis der erste Wetterumschwung kam. Wolken hatten sich beharrlich vor die Sonne geschoben, und ich befürchtete Schlimmes, als ich am Abend in die Duschkabine stieg. Ich schrie kurz auf, zitterte und bebte, biss die Zähne eiskalt zusammen und brüstete mich anschließend vor meinen Kindern beim Abendbrot, was für ein harter Kerl ich sei. Am nächsten Morgen, die Familie war schon aus dem Haus, habe ich die ergänzende Gas-Warmwasserversorgung dann klammheimlich wieder angestellt.

Abstrakte Gefahren nimmt kaum jemand ernst

Nun, wir sind (fast) alle keine Helden, und der Mensch ist ein merkwürdiges Wesen. Selbst wenn er eine Gefahr rational begriffen hat, reagiert er meist erst dann, wenn es ihn unmittelbar und spürbar betrifft – und dann kann es schon zu spät sein. Die Fichte in meinem Garten ist tot, weil sie die Dürre nicht überlebt hat? Jetzt müssen wir aber endlich etwas gegen den Klimawandel unternehmen! Mein Schwager hat sich erneut mit Corona infiziert und leidet wie ein Hund unter den angeblich „milden Symptomen“? Jetzt sollten wir vielleicht doch wieder Masken in Innenräumen tragen.

Zu oft haben wir allesamt leider nicht alle Tassen im Schrank.

Nicht anders verhält es sich mit der Gaskrise. Warnungen, die Preise könnten auf das Zwei- bis Dreifache steigen, klingen abstrakt, solange sich der monatliche Abschlag nicht konkret verändert. Damit die Menschen jetzt mit dem Gas-Sparen anfangen, und zwar konsequent und nachhaltig, ist ein klares und hartes Preissignal erforderlich, das sofort spürbar wird und nicht erst in einigen Monaten. Manch einem, der jetzt die Dusch-Tipps von Robert Habeck („Fünf Minuten sind zu viel“) verhöhnt, wird das Lachen womöglich im Halse steckenbleiben, wenn mit einer vierstelligen Nachzahlung irgendwann zwangsläufig die kalte Dusche folgt. Die von der Bundesregierung angekündigte Gasumlage ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Doch sie wirkt frühestens im September.

Putin sorgt für Unsicherheit und Angst

Wie ist die Ausgangslage? Dass Putin mit Hilfe seines Gases einen Wirtschaftskrieg gegen uns führt, liegt auf der Hand. Seine wohlkalkulierten Auf- und Zudreh-Spielchen sollen uns maximal verunsichern. Leider hat er damit einigen Erfolg. Die Angst frisst sich durch Wirtschaft und Gesellschaft und schadet uns erheblich. Gleichzeitig erzielt der skrupellose Diktator im Kreml maximale Gewinne aus den steil steigenden Gaspreisen, mit denen er sein Morden finanziert. Wer mit 20 Prozent Gas das Fünffache verdient, für den geht die Rechnung zu 100 Prozent auf.

Die Gretchenfrage ist, ob uns im Winter unter diesen Bedingungen eine Versorgungslücke droht oder nicht. Reicht das Gas aus den Speichern und den alternativen Bezugsquellen nicht aus, müssten wir unter Umständen wichtige Bereiche unserer Industrie abschalten, und zwar über einen langen Zeitraum. Die Folgen einer solchen in Teilen irreversiblen Deindustrialisierung dürften verheerend sein.

Forschungsergebnisse beruhigen zunächst

Immerhin haben vier führende deutsche Wirtschaftsinstitute, darunter das RWI Essen, eine vor Wochen schon einmal ausgesprochene vorsichtige Entwarnung nun noch einmal bekräftigt. Bliebe es dabei, dass Moskau nur noch 20 Prozent des Gases durch die Leitungen nach Deutschland schickt, würde das Gas wegen der gefüllten Speicher und der alternativen Quellen wahrscheinlich sowohl in diesem wie auch im nächsten Winter reichen.

Es gibt den Forschern zufolge jedoch ein Restrisiko, dessen Eintritts-Wahrscheinlichkeit auch davon abhängt, ob es uns gelingt, nennenswerte Mengen an Gas einzusparen. Und natürlich könnte Putin den Gashahn auch ganz zudrehen, was allerdings ihm selbst maximal schaden würde, da er von den hohen Gasmarktpreisen dann nicht mehr profitieren könnte.

Sozial Schwache müssen unterstützt werden

Mit anderen Worten: Langes heißes Duschen ist keine gute Idee. Und damit das jeder versteht und ernst nimmt, müssen die Gaspreise für die Verbraucher rauf, jetzt, und zwar kräftig! Am besten wäre, die Unternehmen könnten ihre höheren Einkaufspreise jetzt schon komplett an die Verbraucher weitergeben. Gleichzeitig sollte die Regierung rasch ein Programm auflegen, das sozial Schwache davor bewahrt, in die private Insolvenz zu rutschen. Niemand soll frieren müssen. Dazu müsste die FDP, so bitter das auch ist, runter von der Schuldenbremse.

Das ist Klartext

Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.

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Die Bezieher mittlerer und hoher Einkommen allerdings werden nach den Preissteigerungen im Supermarkt und an der Tankstelle weitere herbe Wohlstandsverluste hinnehmen müssen, Wohlstandsverluste, auf die der Bundeswirtschaftsminister ehrlicherweise schon zu Beginn des russischen Angriffskrieges hingewiesen hatte. Nun sollte auch die ganze Wahrheit auf den Tisch. Wer noch behauptet, auf die vierköpfige Durchschnittsfamilie in Deutschland kämen Nachzahlungen von „mehreren hundert Euro“ zu, der verharmlost die Situation. Dies dürfte, wenn überhaupt, nur für die Umlage gelten, und die ist nur ein erster Schritt. Wer für 15.000 kWh Gas vor zwei Jahren noch gut 1000 Euro zahlen musste, dürfte bald bei 3000 Euro und mehr landen. Da verbrennt gerade ein Sommer-Jahresurlaub lautlos in der Gastherme im Keller.

Hohe Preise senken den Verbrauch

Vertrauen wir also dem Marktmechanismus. Hohe Preise senken den Verbrauch, nicht gute Ratschläge. Allerdings müssen die Preise rechtzeitig erkenn- und spürbar sein, damit wir das Worst-Case-Szenario einer Gaslücke vermeiden können, die uns noch viel mehr schaden würde.

Ich habe unsere Gasheizung vor einigen Tagen wieder komplett abgestellt, und das bleibt sie auch, bis der Herbst mit deutlich kühleren Temperaturen einzieht. Zudem habe ich den Installateur unseres Vertrauens gebeten, unsere Heizungsanlage einmal zu optimieren, „bei Gelegenheit“, wie ich hinzufügte, was bei ihm einen kleinen hysterischen Aufschrei verursachte. „Wenn Sie mein Auftragsbuch kennen würden, Herr Marinos ... (Durchschnaufen) Aber ich komme vorbei, sobald es geht, versprochen!“

Na dann, auf bald.