Pro Israel? Pro Palästina? Manche Menschen machen es sich leicht und pflegen ein einseitiges Feindbild. Besser ist es, beide Seiten anzuhören.

Es wäre einfach, wenn sich die Welt in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse einteilen ließe. Wir wüssten, wer der Feind ist und wer der Freund, wir könnten uns eindeutig auf eine Seite schlagen. Aber in den Konflikten auf der Welt zeigt sich: So einfach ist es nie. Gerade im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gab es in den vergangenen 75 Jahren seit der Staatsgründung Israels so viele unfassbar schlimme Taten, dass es Tage bräuchte, sich umfassend in die lange Geschichte einzulesen.

Viele Menschen machen es sich trotzdem einfach. Die einen sagen: Der Staat Israel unterdrückt die Palästinenser, er ist ein Apartheidsregime. Sie kritisieren die Besatzungs- und Siedlungspolitik, die das Völkerrecht verletzt, manche boykottieren sogar alle Waren, die aus Israel kommen.

Die anderen sagen: Nach den Erfahrungen des Holocausts hat Israel ein Recht auf einen eigenen, sicheren Staat. Gegen Angriffe von Gegnern, die den Staat Israel vernichten wollen, darf sich das Land mit aller Härte verteidigen.

Keine Seite hat zu 100 Prozent recht

Beide Seiten haben ihre Argumente. Gute Argumente. Man muss sie so annehmen. Psychologen nennen das, was bei einer Beurteilung des Israel-Palästina-Konflikts so wichtig ist, Ambiguitätstoleranz. Es ist kein Alltagswort, aber es trifft die Sache auf den Punkt. Es geht darum, die Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit eines Themas einfach mal auszuhalten. Zu akzeptieren, dass keine Seite zu 100 Prozent recht hat mit ihrer Version der Geschichte. Es geht darum, beiden Seiten zuzuhören und sich eine differenzierte Meinung zu bilden, statt ein einseitiges Feindbild zu pflegen.

Es ist tragisch, dass alle Friedensbemühungen im Nahost-Konflikt bislang gescheitert sind. Nun hat Israel erlebt, welcher Hass und welche Gewalt sich dadurch entladen kann. Dass sich aber in diesen Tagen weltweit mehr Menschen auf die Seite der Palästinenser stellen als sich nach den barbarischen Taten der Hamas mit Israel solidarisieren, ist verstörend. Immer wenn Israel Gaza angreift, löst das reflexhafte Proteste aus.

Mitleid mit den Opfern auf beiden Seiten

Ja, wir sollten Mitleid haben mit den Zivilisten im Gazastreifen, die jetzt vertrieben werden und den israelischen Angriffen ungeschützt ausgesetzt sind. Wir sollten auch den Palästinensern das Recht auf ein würdiges Leben zugestehen. Aber vor allem sollten wir jetzt mit den Israelis um ihre vielen sinnlos ermordeten Kinder, Frauen und Männer trauern und – wie Olaf Scholz, der ungewohnt schnell zur Stelle war – unsere Solidarität zeigen.

Und, so widersprüchlich es auch ist: Wir dürfen alles gleichzeitig tun.

Diese Widersprüchlichkeit müssen wir aushalten und gleichzeitig erkennen, dass nur ein dauerhafter Frieden zwischen Israelis und Palästinensern dem ganzen Leid ein Ende setzen kann. Doch der scheint so weit entfernt wie nie.