Essen. Weniger arbeiten ist wegen des Fachkräftemangels keine Option für die Gesamtwirtschaft. Die Stahlindustrie kennt 32-Stunden-Wochen aber längst.

Jeder einzelne soll weniger arbeiten, damit mehr Menschen Arbeit haben. Diese alte Gewerkschaftsidee hatte ihre Hochphase in den 80ern, dem Jahrzehnt der Massenarbeitslosigkeit. Heute hat sich der Arbeitsmarkt gedreht, es sind die Unternehmen, die händeringend Mitarbeiter suchen und nicht mehr wissen, wie sie ihre Aufträge abarbeiten sollen. Die aktuelle Forderung der IG Metall nach einer Vier-Tage-Woche in der Stahlindustrie wirkt da wie aus der Zeit gefallen. Wenn zu wenige Menschen arbeiten, müssten sie eher mehr arbeiten als weniger. Diese Logik der Arbeitgeber ist für sich schlüssig.

Doch im konkreten Streitfall, in der Stahlindustrie, verfängt sie nicht annähernd so wie für die Gesamtwirtschaft. Der Stahl hat in den vergangenen Jahrzehnten Zehntausende Arbeitsplätze verloren, es ging jedes Jahr ein Stück mehr bergab. Jetzt steht mit dem Umbau zur grünen Stahlproduktion eine Übergangsphase an, in der erstmals wieder mehr Beschäftigte gebraucht werden – danach geht es absehbar aber wieder in die andere Richtung. Dass die IG Metall Vorsorge treffen will, erwarten die Stahlkocher von ihr.

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Hinzu kommt: Die Stahlkonzerne haben schon bisher mögliche Arbeitszeitverkürzungen oft und gern genutzt, um Auftragsdellen zu überbrücken. Sie jetzt zu verteufeln, ist daher weniger glaubwürdig als in anderen Branchen. Genau diese Trennlinie zu ziehen, ist in der Diskussion um die Vier-Tage-Woche das Gebot der Stunde: In der Stahlindustrie geht es in einer Ausnahmelage um wenige Wochenstunden mit mehr oder weniger Lohnausgleich und die Tarifparteien werden am Ende wie immer einen für alle erträglichen Kompromiss finden. Als Vorbild für andere Branchen oder gar die gesamte Wirtschaft taugt das nicht.

Davon abgesehen kann für die einzelne Branche oder den einzelnen Betrieb gut sein, was der Gesamtwirtschaft schadet. Im Kampf um die zu wenigen Fachkräfte können attraktivere Konditionen ein Vorteil sein, auch die Vier-Tage-Woche. Gerade eher unbeliebte Branchen müssen umso mehr Extras bieten, je größer ihre Personalnot ist. Einzelne Betriebe tun das längst – mit Dienstwagen für Azubis, Hilfe bei den Wohnkosten oder auch einer Vier-Tage-Woche. Die Macht der Beschäftigten wächst mit dem Nachwuchsmangel. Am Ende werden sie darüber entscheiden, ob sie mehr oder weniger arbeiten. Die Wirtschaft sollte alles daran setzen, sie zu mehr Arbeit zu bewegen – im Zweifel mit höheren Löhnen.