Essen. Dass die Busse in Teilen des Reviers nicht fahren, ist nur ein Vorgeschmack. Verdis überzogene Forderungen werden uns noch lange beschäftigen.

Die Sonne lachte vom Himmel, auch in Mülheim, Essen, Herne, Bochum, Gelsenkirchen und Oberhausen. Man konnte sich freuen über einen kleinen Extra-Spaziergang in den vom Warnstreik betroffenen Städten. Doch die Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst, die am Dienstag den Nahverkehr in weiten Teilen des Ruhrgebiets lahmgelegt hat, dürfte bei den meisten Berufspendlern kaum zu vorzeitigen Frühlingsgefühlen geführt haben.

Im Gegenteil: Die Volksseele kocht angesichts überzogener Lohnforderungen und der ungewöhnlich frühzeitigen und unnötigen Eskalation durch Verdi. Wenn dann auch noch Kitas bestreikt werden – am Montag etwa in Witten, Dienstag in Herne und Mittwoch in Bochum –, dann triggert die Gewerkschaft ein Corona-Trauma und bringt erst recht Arbeitnehmer gegen Arbeitnehmer auf.

Das ist auch deshalb schade, weil die grundsätzliche Forderung nach kräftig steigenden Löhnen und Gehältern erst einmal nachvollziehbar ist. Um satte 4,1 Prozent sind die Reallöhne im Durchschnitt des vergangenen Jahres gesunken. Der Hauptgrund war die Inflation. Besonders bitter ist das für Geringverdiener. Denn sie geben einen verhältnismäßig großen Teil ihres Einkommens für Energie und Lebensmittel aus, für jene Bereiche also, die besonders teuer geworden sind.

Wenn Verdi und der Beamtenbund nun 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro für jeden Beschäftigten fordern, dann haben sie genau diese unteren Lohngruppen im Blick. Letztere würden auf einem Schlag 20 Prozent und mehr einstreichen. Was zunächst sympathisch wirkt, ist in Wirklichkeit völlig unrealistisch und kontraproduktiv. Der Warnstreik jetzt zeigt, dass die Gewerkschaften das ganz genau wissen; ihre monströsen Forderungen führen erst zu übersteigerten Vorstellungen ihrer Mitglieder und dann unweigerlich zum großen Knall.

Was also steht uns ins Haus? Ein heißes Frühjahr mit wochenlangen Streiks und am Ende ein Tarifabschluss, der die öffentlichen Kassen weiter massiv belastet und seine Signalwirkung auf die folgenden Tarifverhandlungen in der Industrie nicht verfehlen wird. Die Lohn-Preis-Spirale – sie dreht sich. Sie wird die Inflation weiter antreiben und damit die künftigen Tarifforderungen. Ein Teufelskreis!

300 Milliarden Euro schwer sind die Entlastungspakete des Staates, um die Bürger vor den Preissteigerungen zu schützen. Es wäre schön gewesen, wenn die Gewerkschaftsbosse berücksichtigt hätten, dass auch ihre Mitglieder davon profitieren. Mit Umsicht und Rücksicht konnte in der Chemie im Herbst ein ansehnlicher Abschluss ganz ohne Streiks erzielt werden. Umsicht und Rücksicht? Die Menschen an den Bushaltestellen im Revier warteten darauf am Dienstag vergeblich.