Essen. Der Kölner Handelsriese lässt den DFB-Werbevertrag ruhen. Das ist ein bisschen wohlfeil und doch enorm wichtig – auch für uns als Gesellschaft.
Zu einer Erpressung gehören immer zwei: einer, der erpresst (die Fifa), und einer, der sich erpressen lässt (der DFB). Wenn der Kölner Handelsriese Rewe nun also wegen der Fifa-Entscheidung zur „One-Love“-Armbinde von sofort an die Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund beendet, dann ist das auch ein Seitenhieb gegen die deutschen Funktionäre, auch wenn Rewe in seinen Stellungnahmen bislang jede offene Kritik am DFB vermeidet.
„Die Mannschaft“ als Marke leidet, sollte sie immer nur dann für Menschenrechte eintreten, wenn es nicht wehtut. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, was echtes Engagement aus Überzeugung ist und wann es nur um wohlfeile Stellungnahmen geht. Was wäre schon eine gelbe Karte für Manuel Neuer gewesen im Vergleich zu den Konsequenzen, die der iranischen Nationalmannschaft drohen, weil sie beim Abspielen der Nationalhymne aus Protest gegen das heimische Mullah-Regime stumm geblieben ist? Man hätte es auch darauf ankommen lassen können, ja müssen, dass Deutschland mit Punktabzug bestraft wird. Das hätte die Nation stolz gemacht – stolzer jedenfalls als jeder denkbare sportliche Erfolg bei dieser WM der Schande.
Nun kann man auch der Reaktion von Rewe nicht absprechen, dass sie in gewisser Weise wohlfeil ist. Der Werbevertrag mit dem DFB wäre ohnehin ausgelaufen. Und genau jetzt auf alle Rechte aus diesem Vertrag zu verzichten, wo die Mannschaft als Marke versagt, und zudem das bislang bei Rewe erhältliche Sammelalbum von sofort an kostenfrei abzugeben, dürfte selbst eine Werbewirkung entfachen, deren Wert kaum zu überschätzen ist.
Bekenntnis zur Diversität
Trotzdem ist das politische Signal, das von Rewe ausgeht, ein richtiges und starkes. Hier bekennt sich ein deutsches Unternehmen mit Gewicht unzweideutig zur Diversität unserer bunten und immer bunter werdenden Gesellschaft. Wäre das vor 20 oder 30 Jahren auch nur im Ansatz denkbar gewesen?
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten einen bemerkenswerten Weg zurückgelegt. Zur Erinnerung: Erst 1994 verschwand der Paragraph 175 aus dem Strafgesetzbuch, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte. Homosexuellen Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft war es bis 2017 nicht erlaubt, gemeinsam Kinder zu adoptieren.
Nein, auf den DFB und die Nationalmannschaft können wir derzeit nicht besonders stolz sein. Man kann nur hoffen, dass sich Neuer und Co. zum Spiel gegen Japan am Mittwoch trotzdem eine sichtbare Aktion ausgedacht haben. Worauf wir aber sehr wohl stolz sein können, ist der inzwischen klare moralische Kompass unserer Gesellschaft, ist die Einmütigkeit, mit der wir den Skandal um die Armbinde und die Vorgänge in Katar und rund um die korrupte Fifa bewerten.
Wir leben das One-Love-Prinzip bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein, ganz gleich, welches Stück Stoff um den Arm eines Fußball-Millionärs gewickelt ist. Und das ist auch gut so.