Essen. Nach dem langen Hin und Her um das dritte Entlastungspaket könnte NRW es nun im Bundesrat verzögern. Der Schaden für alle wäre erheblich.

Friede? Freude? Pustekuchen! Lange hat es gedauert, bis sich die Ampelkoalition auf das dritte Entlastungspaket verständigen konnte. Nach einem erst positiven Echo aus den Bundesländern schalten einige Landesfürsten nun in den Krawallmodus, allen voran NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Seine Drohung, das notwendige Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat zumindest zu verzögern, schlug heute wie eine Bombe ein. NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty zeigte sich prompt „ziemlich schockiert über so viel Verantwortungslosigkeit“.

Das ist einerseits nachvollziehbar. Denn was wir in einer der größten Nachkriegskrisen nun sicher nicht brauchen, sind politische Spielchen, die notwendige Hilfen behindern, auf die so viele in Deutschland – gerade auch in NRW und besonders im Ruhrgebiet – angewiesen sind. Andererseits hat die Ampelkoalition mit dem Bundeskanzler an der Spitze bislang wenig getan, um eine solche Konfrontation zu verhindern.

Bis zu fünf Milliarden Euro an Mehrbelastungen für NRW

Denn auch das ist ja wahr: Ein 65-Milliarden-Euro-Paket zu beschließen, das man trotz vieler kritikwürdiger Details durchaus als „wuchtig“ bezeichnen darf, ohne rechtzeitig die Länder einzubeziehen, das ist eine politische Frechheit. Finanzexperten gehen davon aus, dass bis zu 19 Milliarden Euro aus Mitteln der 16 Bundesländer aufgebracht werden müssen. Allein auf NRW dürften Mehrbelastungen von geschätzt bis zu fünf Milliarden Euro zukommen. Das ist nun wirklich keine Kleinigkeit. CDU und CSU, die im Bund die Opposition anführen, können es sich nicht gefallen lassen, das ungefragt hinzunehmen.

Auch interessant

Für Wüst geht es freilich um noch mehr. Er muss und will sich als junger Ministerpräsident weiter profilieren und Scholz von Düsseldorf aus Paroli bieten. Dass der Kanzler ihn einst als „Amateur im Ministerpräsidentenkostüm“ verspottete, hat Wüst sicher nicht vergessen. Zudem bietet sich ihm jetzt die Gelegenheit, von eigenen Versäumnissen abzulenken.

Wenig eigene Initiativen von Hendrik Wüst

Denn die NRW-Landesregierung hat sich bislang vornehm zurückgehalten mit eigenen Vorschlägen und Initiativen zur Bewältigung der Wirtschafts- und Energiekrise. Statt ein von der SPD gefordertes kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen auf den Weg zu bringen oder, wie in Niedersachsen, einen Härtefallfonds für Menschen in besonderer Not, hat Wüst immer nur mit dem nackten Finger auf Berlin gezeigt. Das war zu wenig. Jetzt immerhin kann er sagen, dass das teure Entlastungspaket NRW jeden weiteren finanziellen Spielraum nimmt. Ein gutes Argument.

Der grüne Koalitionspartner dürfte Wüsts Treiben mit Argwohn begleiten, denn die Grünen sind ja auch Teil der Berliner Ampelkoalition, gegen die der Ministerpräsident nun schießt. Auch aus anderen Gründen werden die Grünen zu verhindern wissen, dass Wüst nun beispielsweise gemeinsame Sache mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder macht. Söder poltert derzeit lauter als alle anderen gegen die Ampel. Im Hinblick auf sein ländlich geprägtes Flächenland etwa hat er bereits deutlich gemacht, dass er eine Nachfolgelösung für das Neun-Euro-Ticket nicht mitfinanzieren will. Eine solche Lösung wäre aber gerade für das dicht besiedelte NRW besonders wichtig und wünschenswert.

Scholz könnte das weiter beschädigen

Unter dem Strich sind die Risiken für alle Beteiligten dieser Auseinandersetzung erheblich. Wüst muss aufpassen, dass nicht der Eindruck entsteht, er wolle das Entlastungspaket blockieren – zulasten der Menschen in seinem eigenen Bundesland und auf Kosten des Koalitionsfriedens in Düsseldorf. Scholz dagegen läuft einmal mehr Gefahr, dass ihm eine mangelhafte Kommunikation und fehlendes taktisches Geschick angelastet werden. Vor allem sollte die Ampel rasch weitere Hilfen für den Mittelstand beschließen, der im dritten Entlastungspaket zu kurz gekommen ist. Das würde den Unionsparteien helfen, am Ende doch noch „Ja“ zu sagen.

Sollte es bald zu einer Ministerpräsidentenkonferenz kommen, wofür einiges spricht, dürfte die Debatte so oder so ziemlich hitzig werden – und die Atmosphäre extrem frostig. Aber warm anziehen müssen wir uns im Hinblick auf den kommenden Winter ohnehin.