Essen. Das Auftreten von Omikron stimmt optimistisch, ist zugleich aber auch kompliziert. Deshalb ist die allgemeine Impfpflicht absehbar nicht sinnvoll.

Am 31. Dezember 2019 sendete die Deutsche Presse-Agentur eine Nachricht, die zunächst nur am Rande beachtet wurde: „Mysteriöse Lungenkrankheit in Zentralchina ausgebrochen“, so die Überschrift. Heute, mehr als zwei Jahre später, wissen wir, dass das Virus in der Folgezeit die ganze Welt belasten sollte.

Die Corona-Pandemie ist nicht berechenbar. Nun stehen wir erneut vor einer Weichenstellung, von der wir nicht wissen, ob der künftige Weg ein guter sein wird. Die Ausgangslage stimmt in der Tendenz optimistisch und ist zugleich kompliziert. Wieder einmal.

Demos gegen Corona-Regeln: Mehr als 80 Millionen Deusche gehen nicht auf die Straße

Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Omikron-Variante hochinfektiös, vor allem aber für Geimpfte eher harmlos ist. Zugleich tobt ein Kampf ums Impfen, der die Gesellschaft belastet und rational für die meisten Menschen nicht mehr nachvollziehbar sein dürfte. Die Impfgegner, oft mit kruden Argumenten unterwegs, haben sich in Teilen zu einer relativ kleinen, aber lauten Minderheit radikalisiert. Demgegenüber steht die große Mehrheit, die sich selbst schützt und zugleich eine gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen will. Erwähnenswert: Mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland gehen nicht demonstrierend auf die Straßen.

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Die Omikron-Variante trifft auf eine Politik, die mutlos und ohne Leidenschaft über eine allgemeine Impfpflicht debattiert, während viele Millionen Menschen der Bedrohung und der Einschränkungen längst überdrüssig sind. „Die Einschläge kommen näher!“ Jeder hat diesen Satz schon gehört. Jeder kennt jetzt mehr Positiv-Getestete. Doch, und auch das ist ein Phänomen dieser Pandemie, das Virus hat seinen Schrecken tendenziell verloren. Man mag das fatalistisch nennen – oder pragmatisch oder realistisch oder resignierend oder gar erleichternd.

Gefahr für Kritische Infrastruktur bleibt - aber Corona wird ein Teil des Lebens

Fakt ist, dass diese „Dann bekomme ich es halt auch“-Mentalität, die noch vor einiger Zeit undenkbar war, sogar hilfreich sein kann. Denn sie nährt die Hoffnung, dass sich das Leben danach normalisiert, dass die Gesellschaft wieder zur Ruhe kommt. Zwar weiß niemand, was im Herbst ist. Über Long Covid gibt es zu wenig Wissen.

Und die Gefahr für die kritische Infrastruktur, vor allem in den Krankenhäusern, bleibt. Dennoch könnte jetzt ein Punkt erreicht sein, an dem ein Umdenken stattfindet: Corona-Infektionen werden Teil des Lebens, die man ernst nimmt, denen man durch Impfungen, Vorsicht und Regeln begegnet, aus deren Geiselhaft man sich aber befreit.

Dazu gehört auch eine Entscheidung zur allgemeinen Impfpflicht. Festzuhalten bleibt hier: Der Nutzen des Impfens ist wissenschaftlich unbestritten. Gleichwohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die dies nicht verstanden haben.

Warum eine allgemeine Impfpflicht absehbar nicht sinnvoll ist

Eine allgemeine Impfpflicht wäre absehbar dennoch nicht sinnvoll, weil der richtige Zeitpunkt – in der Corona-Hochphase – verpasst wurde und die gesellschaftliche Akzeptanz aktuell rapide sinkt. Weil die Impfpflicht verfassungsrechtlich wackelig ist, weil wir kein Impfregister haben, weil wir nicht wissen, wie wir die Impfpflicht kontrollieren und in der Folge sanktionieren können und weil wir die radikalisierten Impfgegner nicht zu Märtyrern machen wollen. Denn das hätten sie nicht verdient.

Ja, diese Entscheidung könnte sich wie eine Niederlage anfühlen. Sie wäre es aber nicht, wenn sie zur Befriedung beitragen würde. Dann wäre sie klug. Und vielleicht muss der Staat angesichts der drohenden Verwerfungen auch nicht alles regeln.