Hunderttausende kommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa. Die aktuelle Bewegung wird Land und Gesellschaft verändern. Ein Kommentar.
Sie starten in klapprigen Booten übers Mittelmeer, werden in verschweißten Lastern durch halb Europa gekarrt oder machen sich – wie gerade in Ungarn – voller Verzweiflung sogar zu Fuß über die Autobahn auf den langen Weg an ihr Ziel. Man mag die Flüchtlingsströme Richtung Europa als Chance sehen oder als Bedrohung, immer deutlicher wird: Da ist eine Bewegung in Gang gekommen, die sich auf Dauer weder von Zäunen noch von Polizeiketten aufhalten lässt – und die unsere Gesellschaft grundsätzlich verändern wird.
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Da sind zunächst ganz praktische Veränderungen, die kurzfristig anstehen. Schulen müssen sich einstellen auf die Flüchtlingskinder. Für Erwachsene müssen Integrationskurse organisiert werden. Unternehmen, die händeringend Arbeitskräfte suchen, werden spezielle Qualifizierungs-Kurse anbieten. Der Wohnungsbau muss ebenso auf die Neubürger reagieren wie das Gesundheitswesen. Auf Polizei, Gerichte und andere Behörden warten zusätzliche Aufgaben. Eine „nationale Aufgabe“, wie die Kanzlerin zu Recht betont.
Politik muss entschlossener reagieren
All dies ist zu bewerkstelligen – wenn die westliche Politik endlich entschlossener als bislang auf den Flüchtlingsstrom reagiert. Das unwürdige Schwarze-Peter-Spiel um die Verteilung der Flüchtlinge, das die EU-Staaten immer noch betreiben, gibt allerdings wenig Anlass zu Optimismus. Zumal die langfristigen Auswirkungen der Flüchtlingszuwanderung, nämlich jene auf gesellschaftlicher und kultureller Ebene, noch erheblich gravierender sein dürften.
Deutschland hat sich schwer getan – und tut sich immer noch schwer – mit der Integration der so genannten „Gastarbeiter“. Dabei wurden Fehler gemacht, auf beiden Seiten – Ausgrenzung, Parallelgesellschaften, Assimilierungsdruck oder Ghettoisierung sind einige der Folgen, die man auch und gerade im Ruhrgebiet kennt. Mit der Zuwanderung Hunderttausender Flüchtlinge – vertrieben, traumatisiert, aus einem gänzlich anderen Kulturkreis – steht die Gesellschaft vor einer Veränderung, deren Ausmaß noch gar nicht abzuschätzen ist.