So schlimm ist die Situation junger Mädchen weltweit
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Berlin. Millionen Mädchen gehen nicht zur Schule, werden zwangsverheiratet, leisten unbezahlte Arbeit. Dabei hängt von ihnen die Zukunft ab.
Das Schulmädchen sitzt im Schulbus auf dem Weg zu ihrem Zuhause in Pakistan, als zwei Männer das Fahrzeug stoppen. Sie stürmen den Bus, schießen auf das unverschleierte Mädchen. Das Kind sinkt blutüberströmt auf dem Schoß ihrer Freundin nieder.
Die zehnjährige Gudisa auf dem kenianischen Marktplatz darf nicht weinen. Das würde Schwäche zeigen. Auch wenn sich gerade eine Beschneiderin über sie beugt und ihr mit einem Rasiermesser die Schamlippen entfernt.
Malala, das Mädchen aus Pakistan, überlebte den Anschlag auf ihren Schulbus und konnte der Welt von der Tat und ihrer Situation in einem Land berichten, in dem Schulbildung keine Selbstverständlichkeit ist. Sie wurde 2014 die jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten.
Ob Gudisa die Tortur überlebt hat, ist nicht bekannt.
Mädchen geht es weltweit schlechter als Jungen. Sie sind Opfer von Zwangsehen, ihr Missbrauch ist in einigen Krisenregionen eine beliebte Kriegswaffe. Sie werden gesteinigt oder mit Säure überschüttet, in China oftmals nicht geboren. Vor allem sie können in Entwicklungsländern nicht zur Schule gehen. Ein Blick auf die Situation der Mädchen in der Welt.
Schlechter bezahlte Jobs
70 Millionen Mädchen kamen 2015 zur Welt, die meisten wachsen in Armut auf. Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef leben fast neun von zehn Mädchen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen – vor allem in Afrika oder Asien. Und ihre Chancen auf einen Ausweg aus der Armut sind geringer als bei Jungen.
Noch immer arbeiten Frauen häufiger als Männer in schlecht bezahlten Jobs. Nach Angaben der Weltbank verdienen sie global 60 bis 75 Prozent der Einkommen von Männern. Eine Ursache sind die teilweise niedrigeren Löhne für die gleiche Arbeit, zudem sind Frauen häufiger als Männer in Jobs beschäftigt, in denen sie nicht versichert sind.
Fünf Stunden unbezahlte Arbeit pro Tag
Doch das Problem ist vielschichtiger: Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums arbeiteten Frauen 2016 weltweit im Durchschnitt gut achteinhalb Stunden am Tag – davon allerdings fast fünf Stunden unbezahlt, also im Haushalt, in der Kindererziehung oder auf dem eigenen Feld. Männer arbeiteten im Durchschnitt fast acht Stunden täglich, jedoch nur anderthalb unbezahlt. Laut dem „Global Gender Gap Report 2016“ sind die Schlusslichter mit den größten Ungleichheiten die Länder Pakistan, Jemen, Niger, Mali, Tschad und Elfenbeinküste.
Millionen Mädchen ohne Schulbildung
Bildung ist der Schlüssel zum Weg aus der Armut. Doch Schule oder Studium werden Mädchen oft verwehrt: Weil in der Familie nur Geld für den Schulbesuch des Sohnes da ist. Weil das Mädchen im Haushalt helfen soll, etwa Wasser schleppen oder das Feld bestellen muss. In vielen Regionen Afrikas ist der Schulweg gefährlich, Mädchen werden Opfer von Gewalt, denn Schulbusse gibt es nicht.
Als Frau werden sie dann zu unbezahlter Familienarbeit gezwungen, eine frühe Verheiratung verhindert Bildung. Gründe können in Staaten Asiens und Afrika auch ganz andere sein – etwa wenn Schultoiletten für Mädchen fehlen oder Lehrerinnen. Mehr als 60 Millionen Mädchen besuchen nach Angaben der Vereinten Nationen keine Schule, die Anti-Armut-Aktivisten von „One“ zählen sogar 130 Millionen weltweit.
Bildungslücke schließt sich langsam
Für die Bundesregierung ist der Kampf gegen die Bildungsdiskriminierung eine der Prioritäten in der Entwicklungspolitik: „Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass Kinder und dabei insbesondere Mädchen auch in Kriegs- und Krisengebieten die Schule besuchen können“, sagt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unserer Redaktion. „So erhalten sie eine Ausbildung und gestalten die Zukunft ihres Landes mit. Mädchen und Frauen leiden unter Krisen und Kriegen ganz besonders.“
Zum Glück gibt es leichte Fortschritte: Die Bildungslücke schließt sich in vielen Ländern – auch aufgrund groß angelegter Entwicklungshilfeprojekt. So ist die Zahl der Länder, in denen weniger als 90 Mädchen auf 100 Jungen zur Schule gehen, zwischen 1999 und 2012 von 33 auf 16 Staaten gesunken.
Deutschland hilft mit Safe-School-Initiative
In Nigeria etwa gibt es die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützte Safe-School-Initiative. So werden Jungen und Mädchen aus dem Nordosten, wo die islamistische Terrororganisation Boko Haram herrscht, in andere sichere Landesteile gebracht und dort unterrichtet. Im Schuljahr 2015/16 nahmen insgesamt mehr als 2200 Schüler aus gefährdeten Gebieten daran teil.
Für die Opposition hat Deutschland noch eine andere Verantwortung: Nicht militärisch, sondern durch die Aufstockung der Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit und ein Verbot von Waffenexporten. „Diktaturen, Länder wie Saudi-Arabien sind die wichtigsten Abnehmer deutscher Kleinwaffen – Länder, die Frauen- und Mädchenrechte mit Füßen treten“, sagt Cornelia Möhring von der Linken.
Frauenporträts rund um die Welt
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Große Dunkelziffer bei Genitalverstümmelungen
Schwester Ephigenia Gachiri ist eine kenianische katholische Nonne des Loreto-Ordens. Seit Jahren führt sie eine Kampagne gegen die Genitalverstümmelung von Frauen an, die auch unter der kenianischen Bevölkerungsgruppe der Massai praktiziert wird. Manchmal kommen neugierige Jungen und sehen zu, erzählt Gachiri. Das werde geduldet. Verbreitet ist die Praxis unter anderem auch in Ägypten, Eritrea, Somalia, Äthiopien, Mali und dem Irak. Der Grund: Kontrolle über die weibliche Sexualität. Die Folgen: wahnsinnige Schmerzen, Infektionen, die zur Unfruchtbarkeit führen können, Traumata.
Laut Unicef sind weltweit mehr als 200 Millionen Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Tatsächlich dürften es eher doppelt so viele sein, die Dunkelziffer ist groß. Und es ist kein Problem, das nur ganz weit weg ist. In Deutschland leben laut einer Studie des Familienministeriums rund 473.000 Opfer weiblicher Genitalverstümmelung. Ein Verbrechen, das nicht nur qua internationaler Resolutionen verboten ist, sondern auch explizit durch Paragraf 226a des Strafgesetzbuchs.
Meist bestimmen Männer die Gesetzgebung
Die Bundesregierung reagierte mit einer Verschärfung des Passgesetzes, um das Ausreisen zum Zweck der Beschneidung zu unterbinden. Aufklärung, Prävention und Strafverfolgung sind gefordert. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes will die weltweite Ächtung und Bekämpfung der Beschneidungspraxis durch eine entsprechende Gesetzgebung. Doch die wird meistens von Männern verantwortet.
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