Mit einer filmreifen Verfolgungsjagd wollte der 19-Jährige in Essen einen flüchtigen Unfallfahrer stellen. Die Fahrt endete im Krankenhaus.
- Die Polizei lobt den angehenden Bürokaufmann ausdrücklich für sein Verhalten
- Der Unfallfahrer konnte fliehen, nachdem der Beifahrer Mohamed von hinten angegriffen hatte
- In Netzwerken machen sich nach Bekanntwerden der Geschichte Häme und Hetze breit
Mohamed Terbeche ist niemand, der sich in den Mittelpunkt stellt. Was er vorige Woche getan hat, nennen manche Zivilcourage – er selbst findet das selbstverständlich. Es geht um einen Vorgang, den die Polizei mit einer kleinen Meldung öffentlich machte: „Zeuge verfolgt flüchtenden Unfallfahrer und dessen Beifahrer.“
Mohamed Terbeche ist dieser Zeuge. Und er hat den Unfallfahrer nicht nur verfolgt, er ist dabei auch verletzt worden.
Der 19-Jährige macht derzeit eine Büro-Lehre bei einer Versicherung. Als Terbeches Chef am Mittwoch letzter Woche Geburtstag feiert, holt der Lehrling nach Feierabend bei einem Konditor eine Torte ab, die die Belegschaft dort bestellt hat. Mohamed verstaut das Backwerk gerade im Firmenwagen, einer Mercedes C-Klasse.
Unfallfahrer fährt einfach davon
Den Wagen hat er an der Gerswidastraße in der Innenstadt geparkt. Dabei beobachtet er zufällig einen blauen Ford Focus. Beim Parken beschädigt dessen Fahrer einen Citroen C3. Mohamed Terbeche kennt weder Auto noch Besitzer, aber er ärgert sich. „Wenn man fremdes Eigentum beschädigt, dann meldet man das doch!“
Er beschließt, den Unfallfahrer auf seine Pflichten hinzuweisen. Dieser fährt jedoch einfach davon und verletzt dabei beinahe noch eine Frau, die gerade die Straße überqueren will. Spätestens in dem Moment ist Terbeches Sinn für Gerechtigkeit geweckt. Ein Blechschaden ist das eine, aber „wenn einer in Kauf nimmt, eine Person anzufahren, kann etwas nicht stimmen!”
Die Verfolgungsjagd endet im Krankenhaus
Also startet der angehende Bürokaufmann in seinem Dienstwagen eine filmreife Verfolgungsjagd über den Gänsemarkt in die Kreuzeskirchstraße und zur Rottstraße. „Von unterwegs habe ich die Polizei angerufen und denen gesagt, sie sollen mit mindestens zwei Streifenwagen kommen.”
Am Rondell am Kopstadtplatz fängt Terbeche den Flüchtenden ab, stellt dem Ford den Firmenwagen in den Weg. Beim Versuch, diese Blockade zu umfahren, touchiert der Ford-Fahrer einen Poller und rammt schließlich ein weiteres Auto. Mit diesem verkeilt sich der Fluchtwagen so, dass der Unbekannte und sein Beifahrer nicht weiterfahren können.
Mohamed Terbeche verlässt sein Auto und läuft zu dem Ford. Während der Beifahrer das Weite sucht, will der 19-Jährige den Fahrer festhalten, in der Ferne hört er bereits die Polizeisirenen.
Er streckt den jungen Fahrer nieder und hält ihn fest, als der Beifahrer zurückkommt und ihn von hinten angreift und schlägt. Terbeche lässt vom Fahrer ab und geht zu Boden. Wenige Minuten später treffen Polizei und Notarzt ein. Die beiden Männer aus dem Ford sind da aber längst über alle Berge.
"Jeder, der kann, sollte helfen"
Im Krankenhaus will Terbeche nicht lange bleiben. Es ist das erste Mal, dass er grinst, als er die Geschichte erzählt: „Wir wollten doch Geburtstag feiern!” Die Torte auf dem Beifahrersitz hat die wahnwitzige Fahrt übrigens schadlos überstanden. Er selbst hat allerdings einige Prellungen erlitten.
Mohamed Terbeche sieht sich nicht als Helden. Er findet: Jeder, der kann, sollte helfen. Auch Essens Polizeisprecher Christoph Wickhorst findet, dass der 19-Jährige „super gehandelt“ habe, jedoch mit einer Einschränkung: „Zivilcourage ist immer ein zweischneidiges Schwert.“ Niemand müsse sich in Gefahr bringen, um zu helfen.
Mohamed ist selber Muslim und ärgert sich über Hetze
In diesem Fall ist sonst niemand eingeschritten. Das zurückgelassene Auto ist wohl ein Mietwagen, Näheres will die Polizei zur laufenden Ermittlung nicht sagen.
Am nächsten Tag berichten Medien über seinen Fall. In den sozialen Netzwerken wird wild spekuliert, dass die ganze Räuberpistole, in die der Azubis da hineingeschlittert ist, sicher mit Ausländern, Flüchtlingen und Muslimen zu tun habe.
Das ärgert den 19-Jährigen so sehr, dass er nun doch die Öffentlichkeit sucht: „Ich bin selber Muslim. Meine Eltern sind aus Marokko ins Ruhrgebiet gekommen. Ich bin hier groß geworden, spreche besser Deutsch als Arabisch und will einfach nur in Frieden leben. Wenn ich jemanden helfen kann, helfe ich.” Nationalität, Hautfarbe, Religion seien dabei nie von Bedeutung gewesen.
Die Heimat hat sich verändert
Aber in den letzten Monaten habe auch er gemerkt, dass sich seine Heimat verändert habe, erklärt der junge Mann. Da war die Seniorin in der Bahn, die ihn durchdringend ansah und sich umsetzte, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte.
Da waren die „Scherze” über „Nafris“ seit der Kölner Silvesternacht. Darum wünscht sich der junge Deutsch-Marokkaner außer einer gerechten Strafe für die Täter auch noch etwas von dieser Zeitung: „Schreibt doch mal, dass der Zeuge ein Deutscher mit Migrationshintergrund war.“
Hiermit getan.