Witten. Der vertraute Hausarzt, der 60 Stunden und mehr die Woche ackert? Es mag ihn in Witten noch geben. Aber die Zukunft sieht anders aus. Beispiele.

  • Die Chefs von früher sind in Wittener Praxen manchmal nur noch angestellt
  • Familienfreundliche Teilzeit: Junge Ärzte wollen keine Einzelkämpfer sein
  • Wittener Allgemeinmedizinerin: Im Krankenhaus verdient man mehr als in der Hausarztpraxis

Hausärzte, die mit über 70 noch arbeiten - warum nicht, wenn es Spaß macht. Wie Dr. Michael Mönks zum Beispiel. „Ich freue mich auf meine drei Nachmittage in der Woche“, sagt der einstige Partner aus der Großpraxis im Herbeder „Rathaus der Medizin“. Besser geht es vermutlich nicht. Der 78-Jährige kann arbeiten, muss es aber nicht. Denn die Nachfolge ist längst geregelt. Das ist keineswegs überall in Witten der Fall. Doch die meisten Medizinerinnen und Mediziner sind sich einig. Gemeinschaftspraxen sind längst das Modell der Zukunft. Gemeint sind vor allem Praxen, in denen jüngere Ärzte in die Chefrolle hinwachsen.

Nehmen wir die alteingesessene Innenstadtpraxis in der Beethovenstraße, die viele noch unter dem Namen Böhm/Kuchler kennen dürften. Wer zum neuen Jahr anrief, stellte überrascht fest: Auch Dr. Hans-Joachim Böhm taucht nicht mehr auf, wenn sich der automatische Anrufbeantworter meldet.

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„Hajo“ Böhm, wie ihn Kollegen nennen, macht es ähnlich wie Michael Mönks aus Herbede. Er hilft den jüngeren Kolleginnen, die seine Praxis übernommen haben, noch gern an zwei Nachmittagen in der Woche aus - inzwischen ebenfalls als Angestellter. Im Wesentlichen schmeißen jetzt Dr. Margarete Paprotny (54) und Dr. Anika Mallocci, die Mitte 30 ist, mit ihrem Frauen-Team den Laden. Beide sind ebenfalls keine Unbekannten für die Patienten.

Paprotny, die viele Jahre als Chirurgin im Krankenhaus gearbeitet hat, war erst in der Praxis angestellt und hat dort auch ihre Weiterbildung gemacht - bevor sie den Kassensitz von Dr. Kuchler übernahm. Ähnlich verhält es sich jetzt bei ihrer jungen Kollegin Mallocci, die zum neuen Jahr den Sitz von Dr. Böhm bekommen hat.

Wittener Hausärztin: Im Krankenhaus verdienen wir mehr

Die beiden Frauen teilen sich den arbeitsintensiven Sprechstundenalltag und „ich bin sehr zufrieden“, sagt Dr. Paprotny. Die aber keinen Hehl daraus macht, dass es nicht leicht ist, jüngere Ärzte für eine Hausarztpraxis zu gewinnen. Sie hat selbst im Krankenhaus viele Jahre Teilzeit gearbeitet, jetzt ist sie vollzeittätig.

Wie in jedem Beruf sieht sie aber auch den finanziellen Aspekt, warum die ein oder der andere lieber in der Klinik bleibt. „Wir Ärzte verdienen im Krankenhaus besser als in einer Hausarztpraxis“, sagt Paprotny. Es geht also nicht nur um die viel beschworene „Work-Life-Balance“, die stets unterstellt wird, wenn es um den Verzicht auf Vollzeit oder mehr Verantwortung geht.

Mit 78 Jahren gehört Dr. Michael Mönks - hier eine frühere Aufnahme - zu den dienstältesten Hausärzten in Witten. Er arbeitet noch an drei Nachmittagen in der Woche im „Rathaus der Medizin“ in Herbede mit.
Mit 78 Jahren gehört Dr. Michael Mönks - hier eine frühere Aufnahme - zu den dienstältesten Hausärzten in Witten. Er arbeitet noch an drei Nachmittagen in der Woche im „Rathaus der Medizin“ in Herbede mit.

Wobei Ärzte, die sich die Arbeit teilen, längst zum Praxisalltag in Witten gehören. „Wir haben sehr viele Halbtagsärzte“, sagt Dr. Arne Meinshausen, einer von drei Partnern im „Rathaus der Medizin“. Einst hatte er eine Praxis allein mit Michael Mönks, die Letzterer von seinem Vater übernommen hatte. Inzwischen gibt es neun Ärzte - zwei Kinderärzte und neun Allgemeinmediziner. Neben Meinshausen gibt es zwei weitere Inhaber. Sechs Ärzte sind angestellt.

„Das ist eigentlich das Idealmodell“, sagt Arne Meinshausen, „wir haben auch immer Weiterbildungsärzte“ - die im Zweifelsfall irgendwann später für eine Nachfolge in Frage kommen könnten. Der umtriebige Hausarzt ist selbst inzwischen 67 und will noch zwei Jahre voll arbeiten, bevor er die letzten drei Jahre dann in Teilzeit ausklingen lässt. Wie im Falle der Hausarztpraxis von Dr. Kurt-Martin Schmelzer käme auch hier familiärer Nachwuchs als Nachfolger in Frage. Die Töchter beider Ärzte machen ebenfalls in Medizin.

Wittener Hausarzt: „Es gibt immer noch viele Einzelkämpfer“

Aber so ein Glück hat natürlich nicht jede Praxis, und „es gibt immer noch viele Einzelkämpfer“, wie Dr. Meinshausen weiß. Sein Kollege Schmelzer schätzt deren Anteil in Witten auf „30 bis 50 Prozent“. Meinshausen beschreibt noch einen anderen Aspekt der oftmals schwierigen Suche nach einem Nachfolger im stressigen Hausarztberuf. „Sie kriegen so einen Kassensitz auch ganz schlecht weg.“ Früher ließ sich der noch für gutes Geld verkaufen, „das war die Alterssicherung“.

Nun, so weit ist es bei Dr. Vanessa Steinbuß (42) und ihrer Kollegin Severina Vasileva (44) noch lange nicht. Beide haben erst vor vier Jahren ihre Praxis namens „Allgemeinmedizin an der Ruhr“ am Mühlengraben gegründet. Allein, also jede nur für sich, hätten sie sich darauf nicht eingelassen.

Mutige Neugründung: Dr. Vanessa Steinbuß (li.) und Severina Vasileva ließen sich mit ihrer Hausarztpraxis vor vier Jahren am Mühlengraben in Witten nieder.
Mutige Neugründung: Dr. Vanessa Steinbuß (li.) und Severina Vasileva ließen sich mit ihrer Hausarztpraxis vor vier Jahren am Mühlengraben in Witten nieder. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

„Wir haben beide Familie mit schulpflichtigen Kindern“, sagt Steinbuß. „Ich habe drei, die Kollegin zwei Kinder.“ Von einer 60-Stunden-Woche, die in Hausarztpraxen früher üblich war, sind sie beide weit entfernt. Ein Fulltime-Job sei es aber trotzdem noch. „Wir machen beide ungefähr 30 Stunden Sprechstunde und zehn Stunden Verwaltung.“ Obwohl die Lage an der unteren Ruhrstraße keine leichte ist, hat Steinbuß den Schritt nicht bereut. Sie freue sich aber weiterhin stets über neue Patienten.

68-jähriger Wittener Hausarzt will „selbst bestimmen, wann ich aufhöre“

Dr. Kurt-Martin Schmelzer (68), Hausarzt an der oberen Ruhrstraße in der City, will noch zwei Jahre machen, „dann existiert die Praxis Schmelzer 80 Jahre“. Anschließend möchte er dann - mit 70 - wie der Kollege Böhm ins Angestelltenverhältnis wechseln. „Ich will selbst bestimmen, wann ich aufhöre“, sagt der Wittener, der drei angestellte Ärztinnen hat. Er sieht die Zukunft nur noch in Gemeinschaftspraxen. „Ohne Teilzeit wird es nicht mehr gehen.“

Und am Ende ist es oft eine „Win-Win“-Situation für alle Beteiligten. Hören wir noch einmal den 78-jährigen Dr. Mönks aus Herbede, der vor vier Jahren seinen Kassensitz an zwei jüngere Kollegen abgab und heute noch an drei Nachmittagen in der Woche praktiziert. „Ich habe das Gefühl, noch gebraucht zu werden. Es macht Spaß und es gibt auch noch viel zu tun.“

In Teilzeit und Gemeinschaftspraxen sieht der weiterhin praktizierende Dr. Kurt-Martin Schmelzer (68) die Zukunft. Als dieses Foto gemacht wurde, hatte er das Rentenalter noch längst nicht erreicht.
In Teilzeit und Gemeinschaftspraxen sieht der weiterhin praktizierende Dr. Kurt-Martin Schmelzer (68) die Zukunft. Als dieses Foto gemacht wurde, hatte er das Rentenalter noch längst nicht erreicht. © WAZ | WAZ-Bild Werner Liesenhoff