Witten. Für das Schiff MS Schwalbe wird zurzeit die Fahrrinne der Ruhr ausgebaggert. Dabei wurde Weltkriegs-Munition gefunden. Wurde sie angeschwemmt?

Wer von der Bommeraner Ruhrbrücke in Richtung Edelstahlwerke blickt, sieht seit einigen Wochen eine Insel wachsen: Eine Sandbank hebt sich dort aus der Flussmitte. Ist das ein Renaturierungsprojekt? Keineswegs! Die Bezirksregierung Düsseldorf lässt die Fahrrinne der MS Schwalbe ausbaggern. Doch die Arbeiten ruhen zurzeit - denn die Schaufel des Schwimmbaggers hat schon zwei Mal eine Panzergranate hervorgehoben.

Weltkriegs-Munition im Wasser? Während „an Land“ in Witten immer wieder Blindgänger entdeckt werden, gab es in den letzten Jahrzehnten kaum Funde im Wasser. An einen Blindgänger im Mühlengraben kann sich Feuerwehrchef Mario Rosenkranz erinnern. „Und hin und wieder wurde von Kanuten oder anderen Wassersportlern etwas gefunden, meist wenn die Kampfmittel bei Hochwasser angetrieben wurden.“ Bei den Baggerarbeiten in der Ruhr aber wurden im Juli und im August zufällig je eine Panzergranate ausgebuddelt, im Flachwasser vor dem Verbund-Wasserwerk. Solche „Patronen“ sind etwa 1,5 Meter lang, zünden aber - im Gegensatz zu Blindgängern - nicht, wenn sie bewegt werden.

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„Wir haben die Vermutung, dass an dieser Stelle noch mehr Granaten liegen könnten“, so Mario Rosenkranz. Dabei gibt es zwei Szenarien: In der Ruhraue gab es eine Flak-Stellung im Zweiten Weltkrieg, um das Stahlwerk zu sichern. Die unverbrauchten Panzergranaten könnten nach Ende der Kämpfe in der Ruhr entsorgt worden sein. Oder: Die Munition ist durch Hochwasser angeschwemmt worden und hat sich nur zufällig an dieser Stelle im Flussbett verfangen.

Geringe Gefahr durch Panzergranate

Einige Tage waren die Arbeiten eingestellt. Die Bezirksregierungen Arnsberg und Düsseldorf sowie die Wittener Feuerwehr haben nun entschieden, weiterzuarbeiten. Die Baggerführerin wird dabei aber von einem Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Westfalen-Lippe begleitet. Würden noch weitere Kampfmittel gefunden, würde diese begutachtet und fachgerecht entfernt.

Schon bei den Renaturierungsarbeiten im März 2022 waren Blindgänger gefunden worden: Umgestaltet wurde die Fläche südlich der Deutschen Edelstahlwerke zwischen Flusslauf und Ruhrdeich in Witten.
Schon bei den Renaturierungsarbeiten im März 2022 waren Blindgänger gefunden worden: Umgestaltet wurde die Fläche südlich der Deutschen Edelstahlwerke zwischen Flusslauf und Ruhrdeich in Witten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Rosenkranz erklärt: Eine Unterwassersondierung durch Taucher sei an dieser Stelle wenig sinnvoll: „Es ist nur eine Momentaufnahme, weil das Wasser immer in Bewegung ist“, erklärt Rosenkranz. „Wir haben nie eine hundertprozentige Sicherheit, dass nicht kurz darauf etwas Neues angetrieben wird.“ Zum anderen gehe von einer Panzergranate nur eine geringe Gefahr aus. Selbst wenn der Bagger sie zünden würde, würde - durch eine Wasserabdeckung von mindestens einem Meter - wenig passieren.

MS Schwalbe fährt seit drei Jahren verkürzte Route

Die Fahrrinne in der Ruhr wird immer wieder mit Steinen, Schlamm und Sedimenten zugeschwemmt. Besonders stark hat sie sich aber beim dramatischen Juli-Hochwasser 2021 zugesetzt. Seitdem lassen die Stadtwerke ihr Ausflugsschiff MS Schwalbe nur noch bis auf Höhe der Zeche Nachtigall fahren und dort wenden. „Bevor wir auf Grund laufen, denn die Ruhr hat nicht mehr die erforderliche Tiefe“, erklärt Stadtwerke-Sprecher Mathias Kukla. Bis zum Anleger Uferstraße, kurz vorm Campingplatz Steger, geht es schon lange nicht mehr.

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Warum die Ausbaggerarbeiten erst drei Jahre nach dem Hochwasser starteten, weiß er auch: „Es gibt nicht viele dieser Schwimmbagger und die Landesregierung hatte zunächst sicher andere Prioritäten als ein Freizeitschiff.“ Erst im nächsten Jahr werde die Schwalbe wieder die einstige Route fahren.

Inseln werden wieder verschwinden

Die Bezirksregierung beseitigt auf 300 Metern eine „Untiefe im Oberwasser der Schleuse Herbede zwischen Ruhr-km 72,5 bis Ruhr-km 72,8“, so Sprecherin Vanessa Nolte. Der Bodenaushub wird dabei links und rechts neben der Fahrrinne gelagert - und das führe zu den temporären Inseln im Fluss. Sukzessive, durch die Strömung, werden die Inseln aber wieder verschwinden.

Fast schade, denn die Hindernisse sind für Flora und Fauna des Flusses von Vorteil. Die sichelförmige Insel vor dem Wasserwerk verlangsamt schon jetzt die Fließgeschwindigkeit in Ufernähe. Joachim Drell von den Grünen freut sich über eine „Kinderstube“ für junge Fische und anderes Getier sowie Pflanzen: „Mehrere Kormorane haben den neuen Rastplatz im Fluss bereits ausprobiert.“

Renaturierung dauerte vier Jahre

Der Wittener Teil der Ruhr wurde durch die Landesregierung in Arnsberg von 2018 bis 2022 renaturiert. Zunächst wurde von der Mündung des Stollenbaches in Wengern bis zum Campingplatz Steger in Bommern gearbeitet. 2020 folgten Bauarbeiten in Gedern am rechten Ruhrufer, zusammen mit den Stadtwerken Witten. Ein Bombenfund und die Kampfmittelräumung verzögerten den Baubeginn im letzten Bauabschnitt. Die 1,2 Kilometer rund um die Nachtigallbrücke wurden ab 2022 beackert.

Ziel der Renaturierung ist der Artenschutz - und auch der Schutz gegen Hochwasser: Die Ruhr soll mehr Raum bekommen und „entfesselt“ werden. Von der Nachtigallbrücke sieht man sehr schön, wie Auen entstanden sind, die mal vom Fluss überflutet sind oder mal als „Badewanne“ für Fische dienen. Laut Bezirksregierung haben die Baumaßnahmen die Erwartungen weit übertroffen: So hat sich die Population der Eisvögel und der Uferschwalben mehr als verdoppelt.

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