Witten. Kleine Kinder haben viel Kontakt mit Handys, Fernsehern und Tablets. Vor den Folgen warnen Mediziner der Uni Witten, die eine Studie starteten.

Nicht nur Erwachsene verbringen zu viel Zeit mit dem Handy, vor dem Computer und dem Fernseher. Schon kleine Kinder bis zum dritten Lebensjahr haben zu viel Kontakt zu den sogenannten Bildschirm-Medien, warnen Kinder- und Jugendärzte. Denn der übermäßige Medienkonsum schade der Gesundheit der Mädchen und Jungen nachhaltig. Ein Forschungsprojekt an der Uni Witten/Herdecke, die Studie „Bildschirmfrei bis 3“, will Eltern darüber aufklären.

Die Idee zum jetzt gestarteten, dreijährigen Projekt hatten der Kinder- und Jugendmediziner Prof. David Martin, der an der Universität Witten/Herdecke den Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin inne hat, sowie die Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Silke Schwarz.

Mediziner Martin spricht beim Medienkonsum von Kindern bis zum dritten Lebensjahr von einem „ganz drängenden Problem“, das sich in der Pandemie noch weiter verschärft habe. Die nach Angaben des Wittener Professors bislang weltweit größte Studie zu diesem Thema soll dazu beitragen, dass Eltern ihr Verhalten ändern. Bundesweit gibt es rund 6400 Kinder- und Jugendärzte, die sich am Projekt beteiligen sollen.

Wittener Wissenschaftler: „Wird weniger mit Kindern gesprochen, lernen sie auch schlechter sprechen“

Wenn die Wissenschaftler von zu viel Bildschirm-Medienkonsum sprechen, sind das Fernsehen, das Tablet und das Handy gemeint. Ein zu hoher Medienkonsum erschwere es Kleinkindern, sprechen zu lernen, und wirke sich negativ auf deren motorische Entwicklung aus. Auch Übergewicht sei ein Thema, so Martin.

Machen sich dafür stark, dass Kinder unter drei Jahren möglichst  ohne Bildschirm-Medien aufwachsen: Prof. David Martin und Dr.  Silke Schwarz.
Machen sich dafür stark, dass Kinder unter drei Jahren möglichst ohne Bildschirm-Medien aufwachsen: Prof. David Martin und Dr. Silke Schwarz. © Universität | Universität Witten/Herdecke

Verbringen Mutter und/oder Vater in Anwesenheit kleiner Kinder zum Beispiel viel Zeit mit dem Handy, schade dies nicht zuletzt der emotionalen und sozialen Entwicklung der Mädchen und Jungen. Denn Eltern, die viel in der digitalen Welt abtauchen, sind für das Kind weniger in der realen Welt da, reden mit diesem zum Beispiel auch weniger. Professor David Martin: „Und wird wenig mit Kindern gesprochen, lernen sie auch schlechter sprechen.“

Eltern mit einem hohen Konsum von Bildschirm-Medien seien zwar körperlich anwesend, aber mit dem Kopf beim Handy oder dem Tablet und nicht beim Kind. Dem werde in solchen Situationen auch vermittelt – „das Handy ist wichtiger als Du“. Eine auf diese Weise negativ beeinflusste Eltern-Kind-Beziehung wirke sich auch langfristig negativ auf die Gesundheit des Kindes aus, betont der 48-jährige Wissenschaftler. „Das belegen zahlreiche Studien.“

Der „digitale Schnuller“ schadet auch der geistigen Entwicklung

Natürlich würden Kinder auch mit Medien beschäftigt, damit sich Eltern anderen Dingen widmen könnten. Wissenschaftler sprechen dann vom „digitalen Schnuller“. Martin: „Schon eine halbe Stunde am Tag wirkt sich da bei Kleinkindern auf die sprachliche und geistige Entwicklung aus.“ Nicht zuletzt würden kleine Kinder durch zu viel Medienkonsum gestresst. „Sie spielen auch weniger, sind weniger kreativ.“ Dazu müsse man wissen, dass 80 Prozent der Grundvernetzungen im menschlichen Gehirn bis zum dritten Lebensjahr stattfinden. Kinder- und Jugendmediziner Martin: „Auch deshalb ist es so wichtig, dass Kinder und ihre Eltern in der realen und nicht in der digitalen Welt unterwegs sind.“

Internetseite mit vielen Tipps für Eltern

Für das Forschungsprojekt wurde eine Webseite angelegt (www.bildschirmfrei-bis-3.de). Darauf finden Eltern Tipps zum Umgang mit Bildschirm-Medien. Facetten der Kindesentwicklung wie der Spracherwerb, die Kreativität oder die Bindung zwischen Kindern und Eltern werden in den Zusammenhang mit Medienkonsum gestellt.Prof. David Martin war früher Professor für Kinder- und Jugendmedizin an der Uni Tübingen. An der Universität Witten leitet er das Institut für integrative Medizin. Dr. Silke Schwarz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl.

Die Studie der Wittener Wissenschaftler wird in enger Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen (BVKJ) durchgeführt. Im Rahmen der Studie sollen über eine halbe Million Eltern von Kindern, die ab dem 1. Januar 2022 geboren wurden, bei der verpflichtenden Früherkennungsuntersuchung U5 einen Signalaufkleber erhalten, der in das gelbe „U-Heft“ eingeklebt wird. Der Signalaufkleber soll Eltern mit dem Leitspruch der Studie „Bildschirmfrei bis 3“ daran erinnern, ihre Kinder bis zum Alter von drei Jahren so gut es geht von Bildschirm-Medien fernzuhalten.

Forscher arbeiten mit Gesundheitsämtern zusammen

Ausgewählte Kinderarztpraxen werden beim Forschungsprojekt melden, welche Auswirkungen die Aufklärung über die Gesundheitsgefährdung hat. 150.000 Eltern, die deutschlandweit die App „Mein Kinder- und Jugendarzt“ benutzen, um Arzttermine zu vereinbaren, erhalten kurze Fragebögen und werden gebeten, Fragen zum eigenen und zum Medienverhalten ihrer Kinder und deren sprachlicher und motorischer Entwicklung auszufüllen.

„Wir arbeiten auch mit Gesundheitsämtern zusammen, die in Kindergärten und Schulen tätig sind“, sagt Prof. David Martin. Auch sie sollen Auskünfte zur Entwicklung der Kinder geben. Zehn Stiftungen übernehmen die Kosten für das Forschungsprojekt in Höhe von rund 500.000 Euro.