Witten. Ein Wittener Handwerksmeister hat viel Arbeit, findet aber keine Azubis: „Viele möchten schnell Geld verdienen und nicht bis 17 Uhr arbeiten.“
Am 1. August startet offiziell das neue Ausbildungsjahr. In Witten, Wetter und Herdecke gibt es nach Angaben der Agentur für Arbeit noch rund 400 freie Ausbildungsplätze. Zwei Wittener Betriebe mit offenen Stellen schildern, warum sich ihre Suche nach Nachwuchskräften bislang schwierig gestaltet. Einer der noch „unversorgten“ Arbeitgeber ist der Wittener Fliesenlegermeister Julian Pier.
Pier ist Chef eines Handwerksbetriebes auf Wachstumskurs. Der 30-Jährige beschäftigt schon 15 Mitarbeiter, möchte sich auch räumlich vergrößern und mit seinen Leuten im nächsten Jahr von der Pferdebachstraße ins Gewerbegebiet Drei Könige umziehen. Der Fliesenleger mit prall gefülltem Auftragsbuch möchte gerne zwei Auszubildende einstellen. Die neuen Mitarbeiter sucht er in den sozialen Netzwerken, über die Agentur für Arbeit, auch über die Agentur Mark in Hagen, die sich um Nachwuchsgewinnung und Fachkräftesicherung für Firmen kümmert. Doch alle Aktivitäten in Sachen Lehrlings-Akquise waren bisher nicht von Erfolg gekrönt.
Fliesenlegermeister: „Ich hätte Arbeit für drei, vier weitere Leute“
Schon in der Vergangenheit hat Pier auch Azubis eine Chance geben, die als schwer vermittelbar galten und über eine Einstiegsqualifizierung (EQ), ein sechs- bis zwölfmonatiges betriebliches Praktikum, zu ihm gekommen sind. „So bin ich an einen meiner besten Mitarbeiter gekommen“, sagt er. Gute Schulnoten seien gut, aber jemand müsse arbeiten können. „Für mich zählt der Leistungswille.“ Was dem Handwerker zu schaffen macht: Er muss viele Aufträge absagen, weil er nicht genug Personal hat. „Ich hätte Arbeit für drei, vier weitere Leute.“
Für das neue Lehrjahr hatte Pier eine Bewerbung von einem jungen Mann, von dem er weiß, dass dieser vorher bereits bei vier anderen Handwerksbetrieben beschäftigt war. „Dort ist er immer nur kurz geblieben - weil er nicht gerne früh aufsteht.“ Kein geeigneter Kandidat, so der Handwerksmeister, der darauf verweist, dass ihn eine Ausbildung knapp 50.000 Euro an Bruttolohn kostet. Pier würde auch ausgebildete Fliesenleger einstellen. „Aber die gibt es seit vier bis fünf Jahren nicht mehr am Markt. Gute Leute haben alle Arbeit.“ Und Mitarbeiter abzuwerben bei Firmen, die er kenne, das gehöre sich einfach nicht.
Kunden werden künftig noch länger auf Handwerker warten müssen
Was dem 30-jährigen Chef bei jungen Leuten auffällt: „Viele möchten schnell Geld verdienen und nicht jeden Tag bis 17 Uhr arbeiten. Das sehen sie so in der digitalen Welt, wenn ein Influencer mit einem Klick 1000 Euro verdient.“ Nur sei diese Wahrnehmung eben nicht die Realität.
Julian Pier bereitet die derzeitige Entwicklung Sorgen. „Wenn im Handwerk bald die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, gibt es einen großen Knall.“ Dann werde es in seiner Branche - aufgrund des Personalmangels - Wartezeiten von bis zu einem Jahr geben, „wenn ein Kunde ein neues Bad haben möchte“. Darauf müssten Auftraggeber ja heute oft schon vier bis fünf Monate warten. Nicht zuletzt würden für die Kunden die Arbeiten von Handwerkern teurer. „Bei einem knappen Angebot steigen halt die Preise.“