Witten. Diese Schlange vor dem Impfbus in Witten dürfte rekordverdächtig sein. Mindestens 50 Menschen harren trotz der Kälte aus. Warum so viele kommen.
Explodierende Corona-Zahlen und zunehmende Verschärfungen zur Teilnahme am öffentlichen Leben (2 G/2 G plus) zeigen offenbar Wirkung. Noch nie war der Andrang am Impfbus des Kreises in Witten so groß wie am Montag vor der Stadtgalerie.
Es hat sich eine lange Warteschlange bis Kik gebildet. Mindestens 50 Menschen harren in der Kälte aus, um den ersehnten oder auch ungeliebten Piks zu bekommen – je nach Einstellung. „Wir werden hier überrannt“, sagt die Leiterin der Impfbusaktion, Ulrike Mertes. Bereits vor dem Start morgens um neun „standen hier bestimmt schon 40, 50 Leute“, sagt die 60-Jährige mit der auffälligen orangenen Jacke. Immer wieder muss sie Fragen beantworten. „Wo ist die Schlange zum Anmelden?“ Oder: „Wie lange wird es dauern?“ Die Antwort ist ernüchternd, wird aber akzeptiert. „Ein bis zwei Stunden“, sagt Mertes.
„Der Druck für Ungeimpfte wird größer“, heißt es am Impfbus in Witten
Sie erklärt sich den Ansturm zum Wochenanfang damit, dass einerseits der „Druck für Ungeimpfte größer wird“. Andererseits wollen sich gerade viele Ältere die dritte Impfung holen, „Booster“ genannt. Ute, 70 Jahre jung, sagt sogar: „Nachher gibt’s nichts mehr. Dann lieber jetzt.“ Womit sie die Impfstoffreserven des Kreises bei Biontech meint. Wobei es keine Anzeichen dafür gibt, dass der kostbare Stoff knapp wird.
Was sich vergangene Woche schon am Impfbus in Wetter abzeichnete, wird nun in Witten bestätigt. Es scheint noch mal ein Ruck durch die Reihen jener zu gehen, die dem Impfen bisher kritisch gegenüberstanden. Von „Zwang“ und „Freiheit“ spricht denn auch ein 27-Jähriger, der für seine immerhin schon zweite Impfung ansteht. Der alleinerziehende Vater denkt dabei auch an seine Kinder, mit denen er weiterhin etwas unternehmen will.
Die Rentner kommen vorbei, ebenso die Schülerinnen oder Alleinerziehenden
Wobei es viele Gründe zu geben scheint, warum sich manche erst jetzt impfen lassen. Dahinter muss gar kein Querdenkertum stecken. Manchmal sind es ganz einfache Gründe, Krankheit, Beruf, eben noch keine Zeit gehabt.
Emilia (15) war drei Wochen im Praktikum und hatte heute nur kurz Schule, weshalb sie nun mit ihrer Mutter auf ihre Erstimpfung wartet. „Beim Kinderarzt dauert es“, sagt Mama Verena (41). Und ergänzt: „Jetzt wird man ein bisschen zum Glück gedrängelt. Wenn die Eltern essen gehen wollen, müssten die Kinder ja zuhause bleiben.“ Ihre Meinung: „Wenn die Eltern geimpft sind, müssen es auch die Kinder sein.“
Sie habe beim Hausarzt schon angerufen. Es sei aber schwierig, einen Termin für die Drittimpfung zu bekommen, sagt Hildegard (66) – einen Satz, den man nicht nur einmal an diesem Vormittag hört. Heute ist ihr Mann dran, sie müsse noch bis Januar auf die Booster-Impfung warten. Die Schlange überrascht die beiden nicht. „Wir denken, dass einige erst jetzt merken, wie wichtig die Impfung ist.“ Marion (63) spricht von „Spätzündern, die erst jetzt aus dem Quark kommen, obwohl sie das ganze Jahr Zeit gehabt hätten.“
Wer keine Mappe dabeihat, muss den ganzen Fragebogen noch einmal ausfüllen
Sei’s drum, Hauptsache, sie kommen, werden die Verantwortlichen beim Gesundheitsamt sagen, die bewusst die Öffnungszeiten am Impfbus auf 9 bis 15 Uhr eingegrenzt haben. Denn bis die lange Warteschlange abgearbeitet ist, dauert es nach dem offiziellen Schluss noch bestimmt eine Stunde oder länger. Der Aufwand wirkt teilweise bürokratisch. Denn wer trotz einer oder zwei bereits erfolgter Impfungen seine Mappe von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht dabei hat, muss den ganzen Fragebogen noch mal ausfüllen. Ein Grund mehr, warum alles so lange dauert.
Gegen die Kälte verteilt Petra Grundmann (49) vom Impfteam Decken, die ein Mann spontan zur Verfügung gestellt hat. Trotz des Wartens bleibt die Stimmung in der Schlange vor der Stadtgalerie relativ entspannt. „Ein Brötchen wäre gut“, scherzt Markus (52), „oder noch lieber ein Glühwein.“