Witten. Nicht nur Glück: Im Seniorenzentrum „Am Alten Rathaus“ in Witten-Herbede gibt es bisher keinen einzigen Coronafall. Was das Haus dafür tut.
Sie sagen, sie haben bislang viel Glück gehabt. Sie haben wohl auch sehr viel richtig gemacht, setzten auf äußerste Vorsicht und entsprechende Maßnahmen. Bis heute hat das Seniorenzentrum „Am Alten Rathaus“ in Herbede keinen einzigen Coronafall gehabt. Nicht bei den Altenheim-Bewohnern, nicht beim Personal.
Im 2017 eröffneten Haus, das vom Unternehmen „AP Pflegedienste“ betrieben wird, gibt es Plätze für 38 Bewohner, darunter sechs Kurzzeitpflegeplätze. Außerdem gehören zur Einrichtung Appartements, allesamt Eigentumswohnungen, für ein betreutes Wohnen. Das Herbeder Heim war in diesem Jahr am 4. Januar das erste in Witten, in dem gegen Corona geimpft wurde. Die zweite Impfung gab es für Bewohner und Personal bereits drei Wochen später.
Bis Mitte Februar starben in Witten 61 Heimbewohner mit oder an Corona
Die Impfung wurde - wie in anderen Altenheimen - dankbar in Anspruch genommen. Schließlich sind bis Mitte Februar allein in Witten 61 Heimbewohner an oder mit Corona verstorben. Hubert Krause lebt seit einem Jahr im Seniorenzentrum „Am Alten Rathaus“. Der 77-Jährige ist der Heimbeirats-Vorsitzende. Der Mann leidet an einer schweren Lungenkrankheit, ist froh, in der Herbeder Einrichtung zu sein. Weil diese erfolgreich auf Sicherheit setze.
Hubert Krause nennt ein Beispiel: Heiligabend 2020 haben er und die anderen zu diesem Zeitpunkt noch ungeimpften Bewohner nicht im Kreis der Familie außer Haus gefeiert, sondern in der Einrichtung. Pflegedienstchefin Sabine Gödtke und ihr Team hielten dies für richtig, erklärten das den Betroffenen. Hubert Krause gibt zu: „Ich war total traurig, kam mir vor wie ein Gefangener. Im Nachhinein war es richtig.“
Herbeder Pflegedienstchefin für eine Impfpflicht des Pflegepersonals
Schon im März 2020, zu Beginn der Pandemie, hatte sich das Haus entschieden, nicht mehr - wie bislang- jedem Besucher freien Zutritt zu gewähren. Wer einen Besuch machen wollte, musste an der Tür klingeln, einen Mundschutz tragen, die Hände desinfizieren. Gerade in den ersten Corona-Wochen und Monaten hätten viele Angehörige das Bedürfnis gehabt, die alten Menschen im Heim zu besuchen, sagt Sascha Fuchs, stellvertretender Pflegedienstleiter. „In der Spitze kamen bis zu 200 Menschen täglich, unglaublich.“ Der 35-Jährige: „Wir haben die Leute gebeten, nur zu uns zu kommen, wenn dies notwendig ist.“
Der große Gemeinschaftssaal des Seniorenheims wurde zum Besucherraum umfunktioniert. Nur dort konnte sich immer ein Gast mit einem Senior oder einer Seniorin treffen. Auch heute noch müssen Bewohner, die die Einrichtung verlassen, schriftlich erklären, wann sie wohin gehen. Pflegedienstchefin Gödtke: „Das steht nicht in der Coronaschutz-Verordnung, das ist alles auf freiwilliger Basis und wird auch gemacht.“
Auch in den Häusern der Boecker-Stiftung in Witten wird jetzt nachgeimpft
86 Prozent der Mitarbeiter der Einrichtung seien geimpft, sagt sie. Was hält die 58-Jährige von einer Impfpflicht für das Pflegepersonal wie in Frankreich? „Das finde ich richtig“, sagt Gödtke. Und ihr junger Kollege Sascha Fuchs stimmt ihr zu. In solchen Berufen trage man eine besondere Verantwortung. Fuchs hat in einem Seniorenheim in einer anderen Stadt ausgeholfen, in dem es zu einem Corona-Ausbruch gekommen war. „Da ist jeder zweite Erkrankte mit Corona gestorben“, sagt er. Pflegedienstchefin Sabine Gödtke würde es begrüßen, wenn auch in NRW die 2G-Regel eingeführt würde. Restaurant-, Theater- oder Kino-Besuche, aber auch Besuche in Seniorenheimen nur noch für Geimpfte oder Genesene. Dass Schnelltests keine 100-prozentigen Ergebnisse lieferten, „weiß doch mittlerweile jeder“, betont sie.
Hausärzte impfen Senioren auch daheim
In fast allen Wittener Altenheimen sei bereits zum dritten Mal mit Biontech gegen Corona geimpft worden, sagt Dr. Arne Meinshausen, Geschäftsführer des Ärztenetzes „Ärztliche Qualitätsgemeinschaft Witten“. Nachgeimpft werden sollten auf jeden Fall Menschen ab 80 Jahren. Voraussetzung: Die letzte Impfung liegt sechs Monate zurück. Senioren, die zuhause lebten, erhielten von Hausärzten - so notwendig - auch daheim die weitere Impfung. Meinshausen: „Es gibt genug Biontech-Impfstoff.“
Mit Kopfschütteln beobachtet Gödtke, wie sich viele Menschen wieder ganz locker machen, ohne Mundschutz große Feste feiern, in vollen Kneipen sitzen, zusammenkommen wie in normalen Zeiten. „Am Kemnader See ist bei gutem Wetter der Teufel los.“ Steffen Dittlof, Regionalleiter ihres Arbeitgebers, AP Pflegedienste, pflichtet ihr bei. Auch Geimpfte könnten Corona übertragen - „auch ohne dass sie selbst Symptome zeigen“. Apropos Impfung: Im Herbeder Seniorenzentrum wurde in der vergangenen Woche zum dritten Mal mit Biontech geimpft. Nachgeimpft wird jetzt auch in den Häusern der Boecker-Stiftung - im Haus „Leben im Alter“ an der Breite Straße sowie im „Haus am Voß’schen Garten“. Michael Schillberg, Geschäftsführer der Stiftung, hält die sogenannte Booster-Impfung für „dringend erforderlich“. Schließlich wolle man die Häuser für Angehörige offen halten.
Der Herbeder Mediziner Dr. Arne Meinshausen, Geschäftsführer des Ärztenetzes „Ärztliche Qualitätsgemeinschaft Witten“, rät „auch Menschen jeden Alters“, die zwei Mal mit Astrazeneca oder einmal mit Johnson & Johnson geimpft wurden, nach sechs Monaten zu einer erneuten Impfung mit Biontech. Denn Astrazeneca und Johnson & Johnson wirkten nicht so gut gegen die Delta-Variante des Virus.