Witten. Als die vier ausgedienten Hennen in Witten ankamen, waren sie in erbärmlichem Zustand. Nun genießen sie ihr Leben – zumindest drei von ihnen.
Es war ein Bild des Jammers. Vier ausgemergelte, verängstigte Hühner mit kaum einer Feder am Leib sind kurz vor Weihnachten bei Gudrun Hundertmark eingezogen. Ausgediente Legehennen, gerade mal 18 Monate alt, denen die Stockumerin noch ein paar schöne Jahre machen will. In Blättern scharren, nach Würmern picken, über eine Wiese laufen: All das erleben die Tiere nun zum ersten Mal in ihrem Leben – und genießen es offenbar in vollen Zügen.
Dabei wollte die 57-Jährige sich eigentlich ein paar Laufenten anschaffen, als sie zufällig einen großen ausgedienten Stall bekommen hatte. Doch dann machte eine Kollegin Gudrun Hundertmark auf den Verein „Rettet das Huhn“ aufmerksam, der ausgediente Legehennen vermittelt. Er übernimmt komplette Stallbestände von Betrieben, die mit ihm zusammenarbeiten, zu dem Zeitpunkt, an dem die Hennen eigentlich zum Schlachthof transportiert würden, um dann als Hundefutter oder Suppenbrühe zu enden. Über 10.000 Hennen wird so jährlich das Leben gerettet.
1500 Tiere waren es denn auch, die am 22. Dezember bei der Übergabe in Unna angekommen sind. Dutzende Interessenten waren mit ihren Transportboxen gekommen, um die Henne in Empfang zu nehmen. „Das war alles super organisiert“, lobt Gudrun Hundertmark. Sie hatte vorher erfahren, wie die Tiere untergebracht und gefüttert werden müssen, was sie alles mitbringen muss. Pullis zum Bespiel. „Eine Freundin hatte mir kleine Hemdchen aus Fleece für die nackten Hühner genäht, ein Schnittmuster gab’s auch vom Verein.“
Die Tiere kannten weder Tageslicht noch Einstreu
Aus dem Menge der Tiere wurden – wie bestellt – vier Hennen und ein Hahn für die Wittenerin ausgewählt, dann ging es ab nach Stockum. Dort angekommen, sahen sich die Tiere sehr ängstlich in ihrem neuen Zuhause um, hockten ratlos unterm Infrarot-Strahler. „Der Anblick hat mich erschüttert. Die kannten ja nichts. Keine Sonne, keine Einstreu, keine Tränke oder Napf, an denen sie sich selbst nach Herzenslust bedienen können“, erklärt Gudrun Hundertmark.
Denn die Hühner kommen aus Ställen mit Bodenhaltung. Was idyllisch klingt, heißt in der Realität: Bis zu neun Tiere pro Quadratmeter ohne Tageslicht, oft in Boxen gestapelt. „Bis zu acht Etagen hoch“, so die Wittenerin, die selbst entsetzt war, als sie sich mit dem Thema näher beschäftigte. „Ich dachte, so eine Art der Massentierhaltung würde längst der Vergangenheit angehören.“ Sie ist sicher, dass das vielen so geht. „Sonst würde niemand mehr solche Eier kaufen.“
Der Hahn, der aus etwas besseren Verhältnissen kommt, war es schließlich, der seinen Stallgenossinnen die schönen Seiten des Leben näher brachte. „Er hat ihnen gezeigt, wie man die Hühnerleiter hochklettert, wie man im Sand badet oder in Blättern scharrt“, erzählt die 57-Jährige, die den Heiligabend im Stall verbracht hat, um den neuen Hausgenossen zuzusehen. „Als die Hühner das erste Mal raus in den Garten gingen und anfingen leise zu gackern, da ist mir wirklich das Herz aufgegangen.“
Allerdings: Den Hühnern Janis Joplin, Whitney Houston, Amy Winehouse und – nun ja – Lele ging es wie ihren prominenten Namenspatinnen. Zwei haben nicht überlebt – ihr Zustand war einfach zu schlecht. „Das hat mich sehr getroffen“, sagt die Wittenerin. Andere aus der Hühner-Gruppe hätten ähnliches berichtet.
Aber schon bald wird wieder mehr Leben im Stall sein. Am Samstag kommen zwei Notfälle hinzu. „Für die nächste Lieferung vom Verein hab ich mich auch wieder angemeldet“, sagt Gudrun Hundertmark. Warum? „Aus Tierliebe. Ich will Tieren, die der Mensch ausgebeutet hat, ein bisschen was zurückgeben.“ Ein bisschen Glück – und Federn. Denn die wachsen jetzt Janis und Whitney nun wieder.