Velbert-Mitte. Wenn die Seele erkrankt, kann der Ambulante Psychiatrische Pflegedienst der SGN den Patienten darin unterstützen, den Alltag weiter zu bewältigen
Ein junger Mann verlässt die Klinik, wochenlang wurde er dort (einmal mehr) wegen seiner schweren Depressionen behandelt. Nun muss er zu Hause wieder ganz allein seinen Alltag regeln. Eine Frau lebt ihr Leben, bis sie plötzlich Wahnvorstellungen entwickelt, Stimmen hört. Auch sie wird stationär behandelt, medikamentös eingestellt und wieder entlassen – nun muss sie draußen ihr Leben neu organisieren. Ein suchtkranker Mann schafft es nicht mehr, Ordnung zu halten, seine Wohnung vermüllt mehr und mehr.
Zeitnahe Aufnahme von Patienten (noch) möglich
Begleiten und unterstützen kann in all diesen Fällen die Ambulante Psychiatrische Pflege (APP), seit einem Jahr ergänzt dieses Angebot die zahlreichen Hilfeleistungen innerhalb der Sozialpsychiatrischen Gesellschaft Niederber (SGN) an der Nordstraße. Und: Es wird gut angenommen, der Bedarf ist groß. „Noch können wir es so handhaben, dass wir jeden neuen Klienten sehr zeitnah aufnehmen“, erklärt Pflegedienstleiter Tino Gupta, „das ist auch wichtig, denn gerade psychische Unterstützung erlaubt keine Wartezeiten. Ich denke aber, dass, wenn sich das Angebot weiter herumspricht, die Anfragen noch steigen werden.“
Körperfremde Pflege steht im Mittelpunkt
Im Gegensatz zu den gängigen ambulanten Pflegediensten geht es bei der APP ausschließlich um „körperfremde“ Pflege, das bedeutet: Der Klient wird nicht körperlich und/oder mit Medikamenten versorgt, die Psychohygiene steht im Mittelpunkt. Dazu bedarf es vor allem eins: Zeit. „Wir bieten einen Sonderfall innerhalb der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V – es geht um ein aufsuchendes Angebot mit dem Ziel, psychisch kranken Menschen in ihrer gewohnten Umgebung Unterstützung zu leisten – und zwar individuell immer dort, wo sie benötigt wird“, erklärt Gupta, „und das heißt auch, dass wir nicht annähernd unter der Zeittaktung arbeiten können, wie die Kollegen von der normalen ambulanten Krankenpflege.“
Zeiten individuell vereinbar
Die Leistung wird von niedergelassenen Psychiatern verordnet, die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Maximal 14 Einheiten (= Stunden) pro Woche für längstens vier Monate können verschrieben werden, in Ausnahmefällen gibt es eine Verlängerungsoption. „Wie dieses Zeitkontingent eingesetzt wird, erarbeitet der Mitarbeiter mit dem Klienten alleine“, informiert Guptas Stellvertreterin Barbara Hastler, „die beiden schauen ganz genau, zu welchen Tageszeiten und bei welchen Tätigkeiten besonders Unterstützung benötigt wird.“
Tagesstruktur im Mittelpunkt
Vernetzte Hilfe bei der SGN
Die SGN bietet umfangreiche Hilfsangebote - von Beratungsgesprächen über spezifische Gruppenangebote bis zum betreuten Wohnen. Zudem arbeitet die Ambulante Psychiatrische Pflege (APP) mit anderen Pflegediensten zusammen, etwa dann, wenn ein Patient auch eine körpernahe Versorgung benötigt. Weitere Informationen gibt es auf www.sgn-niederberg.de oder Tel. 02051/802320.
Ein Beispiel: Ein depressiver Klient hat ein Alkoholproblem, wenn er morgens aufwacht, geht es ihm besonders schlecht, die dunklen Wolken hängen tief. Um überhaupt irgendwie seelisch auf die Beine zu kommen, den Tag beginnen zu können, trinkt er sein erstes Bier. „In diesem Fall ist die Depression die ursächliche Erkrankung und das Trinken das Symptom“, erläutert Gupta, „unser Mitarbeiter würde dann seinen Klienten in den Morgenstunden besuchen, um mit ihm alternative Strategien zu erarbeiten, das allmorgendliche Tief anders anzugehen, als zur Flasche zu greifen.“
Schamgefühl belastet Beziehungen
Oberstes Ziele der APP: Gemeinsam mit dem Klienten eine Tagesstruktur zu erarbeiten, Selbstfürsorge, Selbstbestimmung und Selbstorganisation (wieder) zu erlangen. „Wir unterstützen bei der Vereinbarung und Einhaltung von wichtigen Terminen, bei der Haushaltsplanung, beim Einkauf“, beschreibt Barbara Hastler den vielfältigen Aufgabenbereich. Besonders wichtig sei es auch den Klienten darin zu bestärken, die sozialen Kontakte zu Angehörigen und Freunden aufrecht zu erhalten, ergänzt Gupta, viele Betroffene sonderten sich aus Schamgefühl ab, zögen sich zurück, isolierten sich. „Es ist wichtig, mit den vertrauten Menschen offen zu reden, nur so können Beziehungen wirklich ehrlich bestehen bleiben.“
Anspruchsvoller Job
Die Ansprüche an die Mitarbeiter sind dementsprechend hoch. Die Begegnung mit dem Klienten auf Augenhöhe – respektvoll, zugewandt, urteilsfrei, empathisch, sich aber dennoch abgrenzen können, ist genauso wichtig, wie im Notfall trotzdem souverän zu agieren, gegebenenfalls auch gegen den Willen des Patienten zu entscheiden und trotzdem nicht dessen Vertrauen zu verlieren. Dazu kommen die unregelmäßigen Arbeitszeiten, zudem ist eine abgeschlossene Ausbildung zum Kranken- oder Altenpfleger mit Erfahrung im psychiatrischen Bereich zwingend notwendig. „Es ist tatsächlich sehr schwierig, geeignete Mitarbeiter zu finden, aber der Job bringt auch viel Gutes mit sich“, sagt Gupta, „selbstbestimmtes Arbeiten, Freiheiten in der zeitlichen Planung, wenig Zeitdruck und das erfüllende Gefühl, wirklich Unterstützung leisten zu können, um die Spirale aus zum Beispiel immer wiederkehrenden Krankenhausaufenthalten zu durchbrechen.“