Neviges. Nach den Anschlägen auf die S-Bahn in Neviges sucht die Polizei dringend Zeugen. Passanten auf dem Markt zeigen großes Interesse für die Aktion.
Sie sprechen Passanten an, Geschäftsleute, Marktbeschicker. Und jeder hört aufmerksam zu, manche schütteln den Kopf, viele sind vor Empörung sprachlos. Und alle sind froh, dass die Polizei hier ist und etwas unternimmt, damit „dieser kranke Typ“, so hört man immer wieder, gefasst wird: Polizeibeamtinnen und -beamte verteilen auf dem Wochenmarkt Flugblätter, bitten Händler, Plakate in ihren Geschäften aufzuhängen. Nach vier Anschlägen auf die S-Bahn 9 von Essen nach Wuppertal sucht die Kreispolizei Mettmann gemeinsam mit dem Staatsschutz NRW verstärkt nach Zeugen.
Lokführer durch Splitter verletzt
Dabei setzte die Staatsanwaltschaft Wuppertal gemeinsam mit dem Bahnbetreiber Abellio Rail eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro für Hinweise aus, die zur Ergreifung des Täters führen. Zwar ist nach dem letzten und schwersten Anschlag vom 17. März 2021 nichts mehr passiert, doch es sei nicht auszuschließen, dass der Täter wieder zuschlage, so Polizeihauptkommissar Ulrich Löhe. Am Abend des 17. März donnerte eine Lok der S 9 am Schloss Hardenberg bei voller Fahrt gegen zwei Pflastersteine, die von der Fußgängerbrücke nahe des Minigolfplatzes herunterhingen. Der Fahrer (35) erlitt einen Schock und wurde durch die Splitter der Frontscheibe verletzt, die Fahrgäste blieben unversehrt.
Versuchter Mord
„Ganz bewusst wurde der Pflasterstein so aufgehängt, dass er in Höhe des Fahrers einschlug“, erläutert Ulrich Löhe, Leiter der Pressestelle der Kreispolizeibehörde Mettmann: „Die Ermittlungen laufen deshalb wegen versuchten Mordes.“ Polizeihauptkommissarin Diane Dulischewski ergänzt, wie die Tat vorbereitet und dabei nichts dem Zufall überlassen worden ist: „Die Steine wurden extra durchbohrt, man hat das Seil nicht etwa drumgeschlungen. Die Löcher, durch die das Nylonseil gezogen wurden, stammen von einem handelsüblichen Bohrmaschine.“
Motiv ist unklar
Das Motiv ist auch für den Staatsschutz NRW bisher völlig unklar. Er leitet die Ermittlungen, weil bei Bahnanschlägen zunächst immer von einem politisch motivierten Täter ausgegangen werde, erklärten die beiden Polizeibeamtinnen aus Düsseldorf. Zwar gebe es dafür bisher keinerlei Anzeichen, doch „jetzt bleiben die Ermittlungen bei uns“. Da man möglichst viele Menschen mit den Flugblättern und den Plakaten erreichen wollte, entschied man sich, am Markttag in die Fußgängerzone zu gehen. „Wir fahren aber nachher auch noch zum Rosenhügel“, kündigte eine Staatsschutz-Beamtin an: Im Bereich Rosenhügel wurden Wochen vor dem Pflasterstein-Anschlag Bäume angesägt, ebenso einen Tag zuvor am Schloss. Am Rosenhügel waren sie zum Glück zu klein, um komplett auf die Gleise zu stürzen, die Baumkronen hatte der Lokführer früh genug gesehen und konnte bremsen. Und beim ersten Fall am Schloss am 26. Januar hatte ein Spaziergänger auffällige Geräusche gehört und kurz darauf gesehen, wie sich ein Mann an einem Baum zu schaffen machte. Der Spaziergänger hatte damals sofort die Polizei alarmiert.
Passanten sind aufgeschlossen
Bei der Aufklärung jetzt am Markttag ging es jedoch vor allem um den versuchten Mord vom 17. März. „Ich finde das erschreckend. Aber ich verstehe nicht, dass die Polizei da Hubschrauber einsetzte. Das warnt doch nur, man sollte da lieber mehr zu Fuß durchlaufen“, meint Renate Reuter. Derweil eilen die Polizeihauptkommissare Karsten Ingenhoven und Rüdiger Schmidt von Geschäft zu Geschäft: Ob in der Schwanen-Apotheke, in der Weinhandlung Stellwag – überall hängen kurze Zeit später Plakate: Wer hat im Bereich des Schlosses am 17. März Verdächtiges gesehen? Und natürlich steht da auch in dicken roten Lettern: 5000 Euro Belohnung.
Angst vor S-Bahnfahrten
Hinweise an den Staatsschutz NRW
Wer Hinweise zu der Pflasterstein-Attacke vom 17. März geben kann: Hinweise nimmt der Staatsschutz im Polizeipräsidiums Düsseldorf entgegen unter 0211 870 870 8, oder per Mail: EK_Baum.Duessldorf@polizei.nrw.de. Man kann sich auch an jede andere Polizeidienststelle wenden.Auch für Hinweise auf die drei Gleis-Anschläge vom 26. Januar sowie 2. und 3. Februar ist die Polizei dankbar. Hier wurden unmittelbar neben den Gleisen Bäume angesägt, die auf die Gleise fallen sollten.
„Ja, man hat schon Angst, wenn man denkt: Da hätten auch meine Söhne drin sitzen können“, sagt Nathalie Droste vor der Buchhandlung Rüger und schaut dabei auf das Flugblatt in ihren Händen. „Der muss ja auch Zeit gehabt haben, den Stein aufzuhängen. Einfach schrecklich.“ Den drei Freundinnen Hildegard Mänse, Ursula Jansen und Irene Hoppe fährt auch nach Monaten noch der Schreck in die Glieder. „Als das passiert ist, sind wir erstmal nicht mehr S-Bahn gefahren. Sonst schon mal nach Essen, aber das war damals ein Schock für uns“, meint Hildegard Mänse. Zwei ältere Herren vor der Sonnen-Apotheke, die ihren Namen nicht nennen möchten, finden die Aktion der Polizei und vor allem auch die angekündigte Belohnung „richtig prima“: „Dafür zeigt man doch gerne seinen Freund an. Ich denke, das ist schon ein Anreiz für Mitwisser.“
Plakate für Geschäfte und den Hausflur
Zum Thema Belohnung hat Simone Weber eine andere Meinung: „Man möchte da doch helfen, also dazu müsste es doch keine Belohnung geben. Wenn jetzt nur Hinweise kommen sollten, weil es jetzt eine Belohnung gibt, ist das ganz schön traurig.“ Ein paar Meter tönt ein tatkräftiges „Uli, wo soll ich das aufhängen? Bei uns im Hausflur?“ Dabei rollt Annegret Peitsch vorsichtig das Plakat ein und steckt es in die Einkaufstasche. Keine Frage, der Marktbesuch ist für Polizeihauptkommissar Ulrich Löhe, aufgewachsen und wohnhaft in Neviges, ein Heimspiel. Dass auch die Langenberger informiert werden, dafür sorgt Hans-Peter Hilterhaus, der an diesem Morgen mit Mutter Gisela unterwegs ist: „Klar, ich hänge das bei uns auf. Die Doofen sterben nie aus. Schlimm, ganz schlimm so was. Dem sollte man mal selbst so einen Stein vor die Birne knallen.“
Das ist nun nicht gerade erwünscht, aber die Aufgeschlossenheit und das Interesse hier auf dem Markt haben nicht nur die Beamtinnen des Staatsschutzes beeindruckt. „Jetzt haben wir wirklich eine Chance, den Täter zu finden“, so Diane Dulischewski von der Kreispolizeibehörde Mettmann.
Erste Aktion im Juni brachte keinen Durchbruch
Bereits Anfang Juni hatte die Polizei bei einer ähnlichen Aktion verstärkt auf die Mithilfe der Bevölkerung gesetzt: Damals wurden in Neviges 1500 Flyer verteilt, der Staatsschutz und rund 40 Polizistinnen und Polizisten der Einsatzhundertschaft „Baum“ klingelten bei 400 Haushalten. Man habe zwar einige Hinweise bekommen, die auch noch bearbeitet würden, so eine Beamtin des Staatsschutzes. Doch einen Durchbruch mit einer wirklich heißen Spur habe es leider bisher nicht gegeben. Den erhofft sich die Polizei nun nach dem Vormittag auf dem Wochenmarkt. Eines ist klar: Alle hier wollen, dass „dieser kranke Typ“, so Wilfried, Vater von vier Jungs, bald gefunden wird.