Neviges. Ein altes Gewölbe, 220 Gräber und dazu eine dicke Überraschung. Das ist die Bilanz der Archäologen auf einer besonderen Baustelle in Velbert.
Unablässig schaufelt der Bagger, der Aushub für das letzte der sechs Häuser auf dem ehemaligen Krankenhaus-Gelände hat begonnen. Archäologe Sven Knippschild steht an der Baugrube, die bis vor Kurzem sein Arbeitsplatz war: Bei brütender Hitze im letzten Sommer, bei knackiger Kälte in den letzten Februartagen. Fast ein Jahr lang – mit Unterbrechungen – begleitete das Archäologen-Team der Grabungsfirma EggensteinExca die Bauarbeiten an der Tönisheider Straße. Sechs Häuser mit 53 Wohnungen lässt das Wuppertaler Unternehmen „Pro Objekt“ hier bauen; der Rohbau von vier Häusern ist abgeschlossen – eine Baustelle, die in vieler Hinsicht etwas Besonderes ist.
Rund 200.000 Euro Extrakosten
Noch vier Wohnungen zu haben
Es sind noch vier Eigentumswohnungen zu kaufen. Die Vermarktung läuft über die Sparkasse Wuppertal, Auskunft erteilt Birgit Weide unter 0202 48 83 341, Mail an birgit.weide@sparkasse-wuppertal.de oder über das Unternehmen „Pro Objekt“ unter 0202 69 99 00.Die terrassenförmig angelegten Wohnungen auf dem Areal kosten zwischen 362.000 und 570.000 Euro. Die kleinsten sind 82 Quadratmeter groß, die größten 126 Quadratmeter.Es wird für die insgesamt sechs Häuser, zu denen eine Tiefgarage gehört, drei Adressen geben: Tönisheider Straße, Löher Straße und Hospitalstraße.
Als Geschäftsführerin Stefanie Neudahm und ihr Vater Wolf das 7400 Quadratmeter große Areal erwarben, auf dem bis 2019 das Nevigeser Krankenhaus stand, da ahnten sie nichts von dem, was hier alles in der Erde verborgen war. 220 Gräber eines Friedhofs der damaligen lutherischen Gemeinde und die Reste eines Pfarrhauses aus dem 18. Jahrhundert. In enger Zusammenarbeit mit dem LVR-Amt für Bodendenkmalpflege sicherten die Archäologen der Dortmunder Grabungsfirma behutsam Grab für Grab, dokumentierten jedes Detail des noch vorhandenen Gewölbes des Pfarrhauses. Rund 200.000 Euro kostet „Pro Objekt“ der Auftrag an die Grabungsfirma, deren Arbeit jetzt abgeschlossen ist. Der Preis für die Wohnungen wurde schon vorher festgelegt.
Nur noch vier Wohnungen frei
„Mensch, Herr Knippschild, dann sehen wir uns ja gar nicht mehr“, meint Stefanie Neudahm gut gelaunt, die sich an diesem sonnigen Mittwochmorgen wie so oft ein Bild von der Baustelle macht. Trotz aller Widrigkeiten hat sie Grund zur Freude: Von den 53 Eigentumswohnungen sind nur noch vier zu haben. „Ja, es ist alles gut gelaufen, die Nachfrage war groß“, so die Geschäftsführerin von „Pro Objekt“. Voraussichtlich im November 2023 sollen alle Wohnungen bezugsfertig sein, die ersten bereits Ende 2022.
Archäologe lobt Baufirmen
Dass man, abgesehen „von leichten Verzögerungen“, prima im Zeitplan liege, sei auch ein Ergebnis der guten Zusammenarbeit mit dem Archäologen-Team. „Wir haben ja praktisch immer um Herrn Knippschild drum herum gebaut, das funktionierte gut“, so Architekt Axel Blumberg launig. Grabungsleiter Sven Knippschild gibt das Kompliment gern zurück: „Das Einvernehmen mit allen Beteiligten hier war hervorragend und vorbildlich.“ Da gebe es ganz andere Fälle. „Manche Firmen sabotieren unsere Arbeit regelrecht.“ Noch nie habe er sich so lange an einem Grabungsort aufgehalten.
Viele Kindergräber geborgen
Insgesamt 220 Gräber aus den Jahren 1786-1819 hat Sven Knippschild hier mit seinem Team gesichtet, vorsichtig gesäubert und verpackt. „Ursprünglich müssen das über 1000 Gräber gewesen sein, der Großteil wurde beschädigt, als damals das Krankenhaus gebaut wurde“, so der Archäologe. Auch einige Archäologie-Studenten der Universität Bochum hätten sein Team unterstützt, „denn Skelette, die gräbt man nicht so oft aus, die Gelegenheit haben einige in den Semesterferien genutzt“. Auch mehrere Ehrenamtliche des Bergischen Geschichtsvereins hätten geholfen. „Wir haben viele Kindergräber gefunden und Gräber von jungen Erwachsenen, da wird man schon nachdenklich“, sagt der Archäologe und erinnert sich an ein Grab, in dem eine Frau mit kleinem Kind lag. „Das muss eine Familientragödie gewesen sein.“
Brunnen aus dem Mittelalter
Auf dem Gräberfeld entdeckten die Archäologen auch etwas, „womit wir überhaupt nicht gerechnet hatten“, so der Grabungsleiter: einen mittelalterlichen Brunnen. „Der ist schon damals verfüllt worden.“ Insgesamt gab es auf dem Baugelände drei Brunnen, alle wurden fotografiert, dann gingen die Bauarbeiten weiter. Vergleichsweise schnell hatten Sven Knippschild und sein Team – meistens sei man zu viert vor Ort gewesen – im Februar die Reste des ehemaligen Pfarrhauses aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dokumentiert, „Da haben wir nur den Gewölbekeller freigelegt und ein 3 D-Modell erstellt.“ Die Decke, so Sven Knippschild, sei wohl bereits beim Abriss eines Fachwerkhauses Anfang der 1970er Jahre zerstört worden.
Skelette werden beigesetzt
Wenn sich Sven Knippschild jetzt aus Neviges verabschiedet, dann wartet im Dortmunder Büro von EggensteinExca in der Ruinenstraße jede Menge Arbeit auf den Archäologen: „Das Lager ist voll mit den Skeletten, die untersuchen wir jetzt genau.“ Auf dem evangelischen Friedhof an der Siebeneicker Straße sollen sie danach ihre letzte Ruhe finden. Dietgard Reith, bei der evangelisch-reformierten Kirche Vorsitzende des Friedhofsausschusses: „Wir haben beschlossen, sie auf einer schön gestalteten Fläche beizusetzen. Vielleicht mit einem Baum, auf jeden Fall mit einer Tafel oder Stele, die über den Hintergrund informiert.“