Oberhausen. Die Sozialkürzungen von Land und Bund haben bittere Folgen: Die Dienste der beliebten Fahrradstation am Oberhausener Hauptbahnhof sind in Gefahr.
Die geplanten Millionenkürzungen im Sozialen bereiten auch in Oberhausen vielen Akteuren aus diesem Bereich große Sorgen. Sogar der Fortbestand der beliebten Radstation im Hauptbahnhof ist in Gefahr. Die Freude über eine aktuelle Spendenflut an gebrauchten Fahrrädern hält sich dort deshalb in Grenzen.
Volker Neuwirth, Leiter der Radstation und seit der Eröffnung 1997 mit dabei, verbreitet dennoch Optimismus in seinem Team. „Wir haben schon so oft gehört: Es geht nicht mehr weiter.“ Doch auch er muss zugeben: So dramatisch wie jetzt war die Lage noch nie.
Drei Männer arbeiten fest angestellt in der vom gemeinnützigen Verein Zentrum für Ausbildung und berufliche Qualifikation (ZAQ) getragenen Einrichtung. Die Radstation bietet zahlreiche Dienstleistungen an: Beratung, Radboxenvermietung, Pannenservice, Reparatur, Ersatzteile, Verkauf von Gebrauchträdern und Fahrradcodierung sowie Leihfahrräder. Bis zu vier Ein-Euro-Jobber verstärken das technisch versierte Team, zurzeit sind es drei. Ohne sie wäre der Kundenandrang insbesondere im Sommer nicht zu bewältigen.
10.000 Kunden pro Jahr zählt die Radstation in Oberhausen
50 Mal am Tag klingelt zur Hauptsaison das Telefon, sagt Volker Neuwirth, 10.000 Kunden würden sie jährlich abwickeln. Das Problem: Viele davon sind keine zahlende Kundschaft. „Manche labern uns nur die Taschen voll.“ Während die wenigen Mitarbeiter der Radstation, die wegen der ausgedehnten Öffnungszeiten auch noch im Schichtdienst arbeiten, Zeit und Mühe aufwenden, um Fragen zu beantworten, würde sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Fragensteller erdreisten, noch im Laden stehend das Handy zu zücken und alles Notwendige im Internet zu bestellen. Neuwirth: „Das ist der Grund dafür, dass wir seit Jahren die Umsätze nicht steigern können.“
Das Fahrrad-Geschäft hat sich in den vergangenen 20 Jahren extrem gewandelt, das muss auch der Profi einräumen. Sehr viel umfangreicher sei das Angebot geworden, ungemein komplexer die Technik. „Früher konnten wir nur etwa fünf Prozent der Kunden nicht helfen, heute ist es fast umgekehrt“, sagt Volker Neuwirth halb im Scherz. „Hier kommen Leute mit Komponenten rein, die hab ich meinen Lebtag nicht gesehen.“ Es sei also nicht verwunderlich, dass kaum mehr jemand in der Lage sei, sein eigenes Rad zu reparieren.
Chance für Ein-Euro-Jobber: Radstation in Oberhausen bietet Perspektiven
Auch wenn im Sommer der Laden brummt und sie gar nicht hinterherkommen mit der Arbeit, hat der Chef der Radstation seine Zweifel an der Attraktivität des Zweirads. In der Großelterngeneration sei das Radfahren noch alternativlos gewesen, sagt der Baby-Boomer. In seiner eigenen Jugend sei es ebenfalls noch völlig üblich gewesen, sich aufs Rad zu schwingen.
Aber heute? „Man fährt nur notgedrungen mit dem Rad. Bis man sich endlich ein Auto leisten kann.“ Dies beobachte er auch bei der häufig einkommensschwachen Kundschaft, die gebrauchte Räder kaufen oder reparieren lasse. Eine Rechnung über 20 Euro könne da schon zu großen Diskussionen führen.
Allen Problemen zum Trotz, Neuwirth und seine Männer (Frauen verlaufen sich ganz selten mal als Praktikantin hierhin) hängen an ihrem Job. Er stiftet ihnen Sinn, wie Mitarbeiter Björn Kuballa (43) beschreibt, der in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, der die Radstation einst mit aufgebaut hat.
Für Ein-Euro-Jobber Dennis (47) ist die geregelte Arbeit hier, das Team und der Kontakt zu Kunden eine riesengroße Chance, das ganze Leben neu zu sortieren. Umso betrübter schaut er drein seit der Veröffentlichung der Kürzungspläne. „Wir sind doch eh bald weg hier“, sagt er, leise und undeutlich. Doch Volker Neuwirth, sein Chef, hat es gehört. Er berührt ihn tröstend an der Schulter. „Ich weiß, dass unsere Abteilung funktioniert“, versichert er. „Wir sind die einzige Einrichtung mit Ein-Euro-Jobbern, die sich selbst trägt.“
Den Gedanken an Kürzungen oder gar eine Schließung werden sie jetzt erstmal wegschieben, es gibt auch viel zu viel Arbeit. 300 Fahrräder haben sie in einer viertägigen Aktion mit Lkw überall im Stadtgebiet abgeholt. In jedem November machen sie dies, um in den ruhigeren Wintermonaten an den Spendenrädern zu schrauben, sie verkehrstauglich zu machen und aufzuhübschen. Das Geschäft muss weitergehen, die Kasse muss klingeln. Sie wissen: Das ist jetzt wichtiger denn je.