Oberhausen. Die Jugendhilfe wird voraussichtlich mehrere Millionen mehr brauchen. Die Gründe treffen nicht nur Oberhausen. Es fehlt an Angeboten.
- Jugendhilfe Oberhausen berichtet von Kostenexplosion - sie braucht 6 Millionen mehr
- Die Fallzahlen sind nicht gestiegen, aber die Kosten für die Hilfe
- Angebote reichen nicht für die Versorgung auch - darunter leiden auch andere Städte
Seit einiger Zeit verheißen die Quartalszahlen der erzieherischen Hilfe nichts Gutes. Gebetsmühlenartig spricht das Oberhausener Jugendamt von großen Herausforderungen, zu wenig Personal, zu viel Bedarf. Doch der aktuelle Bericht hebt sich von den vorherigen ab - im negativen. Die Kostenschätzung ist nach der Hälfte des Jahres nicht mehr haltbar. Statt rund 59 Millionen Euro werden voraussichtlich 65 Millionen Euro gebraucht. Heißt: Oberhausen muss nochmal 6 Millionen Euro bereitstellen, obwohl die Stadt hoch verschuldet ist. Fachbereichsleiter Olaf Pütz gestand in aller Offenheit im Jugendhilfeausschuss: „Wir haben kolossal daneben gelegen. Das ist mir peinlich. Es ist kein gutes Gefühl, hier heute vor Ihnen zu sitzen.“
Im Jugendhilfeausschuss werden Gesundheitsberichte über Kinder zur Kenntnis genommen, wichtige Entscheidungen für die Ratssitzung vorberaten. Normalerweise dauern die einzelnen Tagespunkte nicht lange. Diesmal diskutierten die Fraktionen aber eine Stunde über die Kostenexplosion. Dabei sollten sie den Bericht auch nur „zur Kenntnis nehmen“. Vorwürfe wurden nur punktuell gemacht, im Zentrum der Debatte stand das Verstehen eines erschütternden Trends.
Kein Platz für Jugendliche: Mitarbeiter berichten von endloser Suche
Zu den Kostentreibern des ersten Halbjahres gehören die Stationären Hilfen. Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher nicht mehr in seiner Familie leben kann, das Amt also Grund sieht, den Jugendlichen außerhalb der Familie unterzubringen und zu betreuen, muss erstmal ein Platz gefunden werden. 120 Anrufe seien manchmal nötig, um etwas zu finden, sagt Pütz. „Die Leute müssen sich die Finger wund telefonieren, um irgendeinen Platz bekommen.“ Das Problem: Nicht nur Oberhausen, sondern auch die anderen Städte sind unterversorgt. In Oberhausen gibt es nur zwei Einrichtungen, die Diakonie und das Gerhard-Terstegen-Institut. Nur 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit diesem Bedarf werden in Oberhausen betreut. Der Rest muss außerstädtisch betreut werden.
Die Fallzahlen, sagt Olaf Pütz, sind im Grunde nicht gestiegen. Was fehlt, sind die passgenauen Angebote. Wenn sich die Jugendlichen in einer Krise befinden, brauchen sie schnell Hilfe. Gibt es diese auf dem leergefegten Markt nicht, müssten sich die Mitarbeitenden die Hilfe aus verschiedenen Angeboten zusammenbasteln oder das nehmen, was möglich ist. Die Folge: Die Kosten schießen in die Höhe oder - noch schlimmer - die Hilfe hilft nicht. Der neue Jugendamtsleiter Benjamin Roth analysiert: „Das ganze System ist NRW-weit, deutschlandweit verstopft.“ Pütz nennt ein Beispiel aus der Praxis: Kinder unter 6 Jahren dürfen eigentlich nicht in stationären Einrichtungen untergebracht werden. „Aber es gibt Kinder, die sind einfach nicht für eine Pflegefamilie geeignet.“ Das Jugendamt muss eine Lösung finden - und dafür viel Geld ausgeben.
Nach derzeitiger Prognose wird Oberhausen für Stationäre Hilfen in diesem Jahr 32 Millionen Euro ausgeben, 2,5 Millionen mehr als gedacht. Pflegeheimkosten verursachen ein Plus von 1,8 Millionen Euro, insgesamt geht die Stadt von 17,5 Millionen Euro aus. Für die Unterbringung in Pflegefamilien muss Oberhausen rund 6 Millionen Euro bereitstellen, eine Million mehr als geschätzt.
Stadt Oberhausen gibt 6 Millionen für minderjährige Geflüchtete aus
Ein zweiter großer Kostentreiber sind wie in der Vergangenheit unbegleitete, minderjährige Geflüchtete. Auch für sie fehlt es in Oberhausen an Platz. Die Verwaltung muss deshalb auf „Brückenlösungen“ zurückgreifen. An der Ebertstraße konnten kurzfristig zwanzig Betten geschaffen werden, im Friedensdorf konnten Kapazitäten angekauft werden. Die Verwaltung schätzt, dass sie für Kinder und Jugendliche aus Kriegsgebieten 1,5 Millionen Euro mehr ausgibt. Am Ende des Jahres sollen es 5,7 Millionen Euro sein. Im Bericht heißt es klipp und klar: „Wir alle [haben] lange mit der Illusion gelebt, dass nach dem Ende der Pandemie alles wieder wie vorher sein würde. Dem ist nicht so. Die Krisen reißen nicht ab. Die Themen Krieg, Zuwanderung und Energiekrise prägen den Alltag.“
Einen Teil der Kostenentwicklung erklärt sich das Jugendamt mit den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst und der allgemeinen Inflation. Die Lohnkosten für Fachkräfte seien deutlich gestiegen, auch die Angebote insgesamt teurer. SPD-Politikerin Claudia Salwik erinnerte daran, dass es sich um „sehr gute Tariferhöhungen“ handele, diese würden sicherlich Auswirkungen haben. Die Jugendhilfe sie aber eine „kommunale Pflichtaufgabe“. Linkspolitiker Marc Mulia wollte wissen, warum die Stadt nicht die Angebote ausbaut, damit sie nicht bei anderen Städten klingeln muss. Familiendezernent Jürgen Schmidt entgegnete, dass die freien Träger erster Ansprechpartner seien. „Wenn es am Ende des Weges gar nicht geht, muss die Stadt das machen.“
Zunächst aber setzt die Verwaltung auf eine externe Organisationsuntersuchung. Ein erstes Treffen mit Fachleuten hat es bereits gegeben. Sie sollen helfen, die Kosten durch Umorganisation zu senken.