Oberhausen. Für diese Einweihung kam eigens Ministerpräsident Wüst nach Holten: Auf dem Ruhrchemie-Gelände ist eine besondere Wasserstoffanlage am Netz.

Für den Klimaschutz ist der Einsatz erneuerbarer Energien das A und O. Große Hoffnungen ruhen auf dem leistungsstarken grünen Wasserstoff, damit die Energiewende gelingt. In Oberhausen hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst auf dem Gelände der Ruhrchemie ein Leuchtturmprojekt eingeweiht.

Wüst kam allerdings rund eine Stunde später als zunächst geplant zum Festakt. Zuvor hatte er in Solingen gemeinsam mit Bundeskanzler Scholz und Innenminister Reul den Opfern des Attentats vom vergangenen Freitag gedacht. Sichtlich bewegt und betroffen sprach der Ministerpräsident über seine Begegnung mit Rettungskräften, die an dem Abend auf dem Stadtfest im Einsatz waren und sich um die Opfer des Anschlags kümmerten.

NRW-Ministerpräsident Wüst spricht von „Meilenstein für den Klimaschutz“

Nach einer kurzen Pause ging er dann auf die bundesweit größte Produktionsanlage von grünem Wasserstoff ein, die das Unternehmen Air Liquide betreibt. Von einem „Meilenstein für den Klimaschutz“ sprach Wüst. Insbesondere für Industriebranchen wie Stahl und Chemie mit einem immens hohen Energiebedarf „ist Wasserstoff der Schlüssel für eine klimaneutrale Zukunft“. Die Inbetriebnahme wertete er zudem als ein wichtiges Zeichen „für unseren Industriestandort“. Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Bild von der Anlage gemacht und das Engagement der Firma gelobt.

Ministerpräsident Hendrik Wüst in Oberhausen: Wasserstoff ist der Schlüssel für eine klimaneutrale Zukunft.
Ministerpräsident Hendrik Wüst in Oberhausen: Wasserstoff ist der Schlüssel für eine klimaneutrale Zukunft. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Der neue 20-Megawatt-Elektrolyseur kann bis zu 2900 Tonnen Wasserstoff pro Jahr erzeugen und damit alle die Unternehmen versorgen, die mit der Pipeline von Air Liquide verbunden sind. Dazu gehören Chemiewerke ebenso wie Raffinerien. Wasserstofftankstellen können sich per Lkw ihre Mengen an Füllstationen abholen. Die 240 Kilometer lange Trasse reicht von Köln über Düsseldorf bis nach Mülheim.

In Oberhausen kommt ausschließlich erneuerbare Energie zum Einsatz

„Trailblazer“ lautet der Name der Anlage, was übersetzt Wegbereiter bedeutet. Das Herzstück liegt gleich neben dem Kühlturm, der Landmarke auf dem weitläufigen Gelände der Ruhrchemie im Stadtteil Holten. In der zehn Meter hohen Halle auf einer Fläche, die etwa so groß ist wie ein Fußballfeld, ist hochmoderne Technik unter einem Dach vereint. Mithilfe eines umfangreichen Verfahrens wird, vereinfacht gesagt, Wasser in seine beiden Bestandteile, nämlich Sauerstoff und Wasserstoff, aufgespalten. Damit das gelingt, sind immense Mengen an Strom erforderlich. Hier liegt nun der entscheidende Unterschied: Während herkömmliche Anlagen dazu Strom aus fossiler Energie verwenden, nutzt Air Liquide ausschließlich erneuerbare Quellen wie Sonne, Wind oder Wasserkraft und bezieht dazu den Strom vom norwegischen Konzern Statkraft.

In der neuen Anlage nahe dem Kühlturm wird der Wasserstoff hergestellt, bevor er über die firmeneigene Pipeline zum Kunden gelangt.
In der neuen Anlage nahe dem Kühlturm wird der Wasserstoff hergestellt, bevor er über die firmeneigene Pipeline zum Kunden gelangt. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Bei voller Belastung benötigt das System in einer Stunde etwa die Menge an elektrischer Energie, die ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt in vier Jahren verbraucht. Da wirkt das Volumen an erforderlichem Wasser vergleichsweise bescheiden, pro Stunde fließen dann drei Kubikmeter durch die Rohre. Wenn nun in dem weit verzweigten Netz an Leitungen und Modulen die Stoffe getrennt sind, gelangt der Wasserstoff direkt in die Pipeline und wird zum Kunden transportiert.

Die 20-Megawatt-Elektrolyse in Oberhausen-Holten: Das gesamte Vorhaben hat insgesamt 45 Millionen Euro gekostet.
Die 20-Megawatt-Elektrolyse in Oberhausen-Holten: Das gesamte Vorhaben hat insgesamt 45 Millionen Euro gekostet. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Projekt in Oberhausen hat rund 45 Millionen Euro gekostet

Zur Entwicklung des Vorhabens hat sich Air Liquide maßgeblich technisches Know-how von Siemens Energy ins Haus geholt. Während es sich in Oberhausen zunächst noch um Bauteile für ein Pilotprojekt handelte, hat der Konzern die Module inzwischen zur Serienreife entwickelt. Insgesamt haben Konstruktion und Bau der neuen Anlage rund 45-Millionen-Euro gekostet, zehn Millionen Euro stammen aus Steuergeldern. Doch es soll nicht bei dem einen Projekt bleiben. Air Liquide steht schon in den Startlöchern und will in Marl eine weitere Elektrolyseanlage für grünen Wasserstoff bauen, die sechsmal größer als in Oberhausen ausfallen soll. 300 Millionen Euro sind veranschlagt, wovon 60 Prozent der Bund übernehmen soll.

Die Anlage in Oberhausen wird ausschließlich mit umweltfreundlicher Energie betrieben.
Die Anlage in Oberhausen wird ausschließlich mit umweltfreundlicher Energie betrieben. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

„Der Pioniergeist am Standort in Oberhausen hat das Projekt überhaupt erst möglich gemacht.“

Gilles Le Van, Aufsichtsratschef der Air Liquide Deutschland

Gilles Le Van, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Air Liquide Deutschland, sprach von einem Pioniergeist, der das Vorhaben überhaupt erst ermöglicht habe. Vor Unternehmern, die der Einladung zur Einweihung der Elektrolyseanlage gefolgt waren, machte er aber auch deutlich, dass der Umweltgedanke seinen Preis hat. Grüner Wasserstoff ist dreimal so teuer wie der Wasserstoff aus fossiler Energie. Auf die Nachfrage, ob Air Liqiude schon Kunden für die umweltfreundliche Lösung gefunden habe, erklärte Le Van, dass das der Fall sei. Unter anderem ist die Duisburger Verkehrsgesellschaft darunter, die künftig Fahrgäste mit wasserstoffbetriebenen Bussen transportieren will. Zudem haben Raffinerien ein hohes Interesse, weil Gesetze von ihnen den Einsatz umweltfreundlicher Energien verlangen. Schließlich dürfte der Stahlriese Thyssenkrupp in Betracht kommen, der in Duisburg an die Pipeline angeschlossen ist und klimaneutral produzieren soll.

Aufsichtsratschef Gilles Le Van in Oberhausen-Holten: Raffinerien und Verkehrsbetriebe haben ein großes Interesse an grünem Wasserstoff.
Aufsichtsratschef Gilles Le Van in Oberhausen-Holten: Raffinerien und Verkehrsbetriebe haben ein großes Interesse an grünem Wasserstoff. © imago/Revierfoto | IMAGO/Revierfoto

Nach Worten des Aufsichtsratschefs will Air Liquide neue Wege beschreiten und hat sich gezielt für einen Standort an einem traditionsreichen Areal entschieden, um den Wandel auch nach außen hin deutlich zu machen. Symbolträchtig wirkt da der meterhohe Kran, der die Wasserstoffanlage ein wenig überragt. Er dient dazu, ein altes Chemiegebäude dem Erdboden gleichzumachen.

>>>Stichwort Air Liquide

Rund 3.750 Beschäftigte arbeiten für die Air Liquide-Gruppe in Deutschland. Jedes zweite deutsche Krankenhaus bezieht medizinischen Sauerstoff von dem Unternehmen, das darüber hinaus die Luftfahrt-, Automobil-, Lebensmittel- und Getränke-, Chemie- und Elektronikindustrie beliefert. In Oberhausen sind rund 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz.