Oberhausen. Anwohner und Reisende sind genervt von der verdreckten Bahnhofsunterführung in Oberhausen-Sterkrade. Die Stadt strebt eine teure Lösung an.
Das Schmuddelkind des Bahnhofs Oberhausen-Sterkrade ist eindeutig die Fußgängerunterführung, welche die Heidstraße und die Stadtteil-City verbindet. 32 Schritte nur misst der Tunnel, doch die reichen, um sich in eine andere Welt versetzt zu fühlen. Zumindest wenn man von der aufgeräumten, recht sauberen Bahnhofsseite kommt (der improvisierte Parkplatz hinten raus wirkt ebenfalls verlottert), dann muss man schon ziemlich abgebrüht sein, um nicht leicht angewidert die Nase zu rümpfen.
Die mit gesprühten Parolen und Stickern übersäten Wände mögen für geborene Großstädter noch normal erscheinen, aber der ganze Müll? Nervt viele Anwohner und Reisende. Manche sprechen gar von einem Angstraum. Zumindest dieser Sorge will sich die Stadt annehmen und hat deshalb dem Stadtrat in seiner letzten Sitzung vor den Sommerferien das neue Beleuchtungskonzept vorgelegt. Diese Beleuchtungsidee wurde mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der vierköpfigen AfD-Fraktion von den Politikern im Rat abgesegnet.
Sowohl die Unterführung als auch die beiden Vorplätze des Sterkrader Bahnhofs werden demnach eine neue Beleuchtung erhalten. Mehrere Planungsbüros hatten dazu Vorschläge eingereicht, ein Konzept aus Wuppertal kam im Rathaus am besten an. Ein Schnäppchen ist es nicht: Lichtelemente, die in Wände mit Aluminium-Verkleidung eingefügt werden; Lichtstränge, die zwischen kalt-weiß und warm-weiß variieren und in einem bestimmten Rhythmus hoch- und runtergedimmt werden können; Strahler, die in die Handläufe von Treppen und Rampen eingelassen werden; separat steuerbare Punktstrahler im Dach des Vorplatzes an der Ostseite sowie an Masten an der Westseite. Kosten: 1,2 Millionen Euro.
Auf der Durchreise am Bahnhof Oberhausen-Sterkrade: „Ein Kulturschock“
Ein Ehepaar aus Borken, beide 60 Jahre alt, kommt gerade aus der Unterführung. Ihren Namen wollen sie nicht nennen, eine Meinung zu dieser Ecke des Bahnhofs haben sie allerdings schon. „Völlig heruntergekommen“, sagt sie. „Wir kommen aus Borken, da ist das hier ein richtiger Kulturschock.“
Ihr Mann nicht zustimmend. Er ist etwas unsicher auf den Beinen. „Eigentlich hält er sich immer sicherheitshalber fest, aber hier habe ich ihm gesagt, er soll bloß nichts anfassen“, sagt sie und deutet auf den Handlauf. Der wird offenbar missverstanden als eine Art Ablagefläche für Müll. Ein Coffee-to-Go-Becher steht aufrecht darauf, ebenso ein leeres Durstlöscher-Trinkpäckchen, das in dieser Umgebung sehr beliebt zu sein scheint. Eine kostspielige Beleuchtung halten die durchreisenden Borkener für völlig unnötig. Ihre Vorschläge: „Kameras aufstellen und dann diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die ihren Müll hinterlassen“ und: „Die sollen lieber putzen und einfach mal sauber machen.“
Die Getränke, deren Verpackungen sich zigfach in der Unterführung finden, werden auch in der angrenzenden Pommesbude Piet van Friet verkauft. Drinnen sitzt Alina (19) und wartet auf Kundschaft. „Das sind die Jugendlichen“, sagt sie über die Verursacher der Drecksecken. „Die sind zu faul, um ein paar Meter bis zum Mülleimer zu laufen.“
Vor ihrem Geschäft steht ein Abfallbehälter, ordentlich und mit geschlossener Klappe, eine blaue Mülltüte schaut heraus. Aber unten? Fehlanzeige. Weder an den Auf- und Abgängen noch sonst irgendwo. Dafür sind die Stufen und der Boden übersät mit Chipstüten, Keksverpackungen und an einer Stelle mit einer roten undefinierbaren Pampe. Wer ein langes Kleid trägt, greift unwillkürlich zum Saum und hebt es an. Eine völlig deplatzierte Königinnen-Geste in dieser Umgebung.
Stammgäste am Bahnhof Oberhausen-Sterkrade: eine Gruppe Drogensüchtiger
Daniel Künst wohnt ganz in der Nähe des Sterkrader Bahnhofs. Über die schmutzige Unterführung zuckt er mit den Achseln. „Hier sind nunmal viele Obdachlose und Drogensüchtige“, ist seine Begründung. Er finde es seltsam, sagt der gebürtige Belgier, dass diese Probleme in Deutschland so sichtbar seien. „Bei uns kümmert man sich viel mehr um diese Menschen.“
In der Tat fällt ein Grüppchen am Zugang Innenstadt gleich auf. Die Kleidung, die hibbelige Art, das Aufbrausende – hier stehen eindeutig Männer und Frauen mit einem enormen Suchtproblem. Sie reden, mal leise, mal plötzlich laut; sie streiten, einer geht, andere kommen hinzu. Die Reisenden ignorieren sie, stehen am Fahrplan oder bugsieren ihre Räder hinunter. Einer aus der Gruppe kickt eine leere Verpackung die Stufen hinunter. Er wirkt verärgert. Doch weggeworfen hat sie jemand anderes.
Gleich nebenan am Gleis haben es sich zwei ältere Damen auf einem Betonvorsprung so bequem wie möglich gemacht und essen eine Kleinigkeit aus Bäckerei-Tüten, während sie auf ihren Anschlusszug warten. Marie-Luise Fink (73) und ihre Schwester Marie-Christine Walter (69) sind auf dem Weg nach Arnheim zu einem Ausflug. Auch wenn ihnen der Gang durch die Unterführung erspart blieb: Man sieht ihnen an, dass sie froh sind, wenn sie hier wegkommen. Nicht nur aus diesem Grund: „Es gibt hier keine Bänke“, sagt die ältere der beiden.
Die Sache mit der Beleuchtung schauen wir uns noch einmal an. Sechs Neonröhren sind in der Unterführung installiert, umsponnen von zig Spinnen-Clans. Sie sind es nicht, weswegen dieser Ort besonders bei Frauen Ängste auslöst. Schön ist das trotzdem nicht.
Oben, an Gleis 2 und 3 gibt es doch welche: Abfalleimer. Und zwar auf Schritt und Tritt, neun Stück an der Zahl. Dafür fehlen zwei Drittel des Daches, kein Schutz vor Regen und Sonne also. Sich in ein Wartehäuschen zu verziehen, ist dennoch nicht ratsam: Hier rollt eine Raviolidose auf dem Boden, die Hälfte ihres Inhalts liegt daneben, alles ist voller Tomatensoße.
Eins steht fest: Einen Werbespot für den öffentlichen Nahverkehr kann man hier nicht drehen. Und, ach ja, die obligatorische Ratte ist uns auch noch begegnet: plattgewalzt auf einem der Gleise. Drei junge Männer aus Frankfurt beugen sich darüber und machen Witze. Irgendwas mit „fett“ und „mutiert“. Sie lachen. Es scheint, als lachten sie die ganze Stadt aus.
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