Oberhausen.. Mike Weiske ist der letzte Zivi im Franziskus-Haus in Oberhausen. Wenn er am 30. September seinen Arbeitstag beendet muss die entstehende Lücke durch Freiwillige geschlossen werden. Doch die Caritas befürchtet einen Rückgang der Helfer.

Er räumt auf, hat für jeden ein offenes Ohr, geht einkaufen, mäht den Rasen, ist Chauffeur, Seelsorger, Plattenaufleger, spielt Amor, streicht Wände, baut Schachbretter, hilft beim Umzug. Und: Er ist der letzte seiner Art, zumindest im ambulant betreuten Wohnen des Franziskus-Hauses. Wenn Mike Weiske am 30. September seinen Arbeitstag beendet, ist die Ära des Zivildienstes in der Caritas-Einrichtung am Lohbruch vorbei.

Seit Juli 2010 ist der 21-Jährige hier als Zivi eingesetzt und unterstützt die 30 Betreuer bei ihrer alltäglichen Arbeit. Für rund 100 Klienten – Menschen mit geistiger und teils körperlicher Behinderung – ist die Einrichtung erste Anlaufstelle und Ansprechpartner bei der Bewältigung des Alltags. Sie kommen aber auch einfach nur so vorbei, zum Klönen und Kekse knabbern, zum Kaffee trinken und Karten spielen.

„Mann, diese Schalker treffen einfach das Tor nicht“

So auch an diesem Tag: „Mann, diese Schalker treffen einfach das Tor nicht“, fachsimpelt Hermann mit dem Zivi, während sich Thomas bei Betreuerin Gisela Adamczak ein paar Tipps für die Liebe holt. Die Stimmung könnte ausgelassener nicht sein. Ursula, die den offenen Treff in der Einrichtung regelmäßig besucht, erzählt noch freudestrahlend, wie sie am Morgen alle Neune beim Kegeln abgeräumt hat. Etwas lässt die lustige Runde dann aber doch trübsinnig werden, denn auf die nicht vorhandene Zivi-Zukunft wird die Truppe nicht gerne angesprochen.

„Mike sorgt bei der Disco immer für die richtige Musik“, schwärmt Ursula, die am liebsten Schlager und DJ Ötzi hört. „Er kann einfach gut mit Menschen umgehen“, sagt Hermann fast schon melancholisch und blickt freundschaftlich über den Tisch zu „seinem“ Zivi. Der 67-Jährige fühlt sich sichtlich wohl in der Gruppe. „Mike kann hier einfach unheimlich viel bewegen“, lobt auch Kollege Wolfgang Ratajczak das Engagement des 21-Jährigen etwa bei der „Schatzkiste“, einem Partnervermittlungs-Projekt für Menschen mit Behinderung.

Dass er unter Leute kommt, gefällt Mike Weiske besonders an seinem Zivi-Job. Obwohl er vor der Zeit im Franziskus-Haus bereits als ausgebildeter Fachinformatiker gearbeitet hat, bereut er keine Sekunde der Zivi-Zeit, hat seinen Dienst sogar von den ursprünglichen sechs erst auf neun, dann auf 15 Monate verlängert. Verdient man als Informatiker nicht viel besser als während des Zivildienstes? Klar, aber darum geht es dem 21-Jährigen nicht: „Ich hab’ mich einsam gefühlt“, erinnert sich Mike Weiske ans vorige Berufsleben. Jetzt aber erfülle ihn sein Job.

550 Euro Verdienst

550 bis 580 Euro verdient ein Zivi im Monat. Nicht viel, das weiß auch Mikes Chef Heiner Emschermann und meint: „Mit Geld kann ich das, was er hier leistet, überhaupt nicht bezahlen.“ Der Teamleiter hat selbst als Zivi angefangen und ist in dem Beruf geblieben. Seine Motivation: „Ganz klar, der menschliche Aspekt.“ Vielleicht tritt der Schützling ja in seine Fußstapfen: Nach dem Ende der Zivildienstzeit wird Mike Weiske Sozialpädagogik studieren. Und an den Wochenenden, das verrät Heiner Emschermann, wird er auch ab und an noch in der Einrichtung des betreuten Wohnens aushelfen.

Doch genug gequatscht. Hermann will jetzt endlich – wie versprochen – mit Mike ein Schachbrett bauen. Für den nächsten Spielenachmittag in gemütlicher Runde.

Den lokalen Trägern fehlen ab kommendem Jahr 354 Helfer

In Oberhausen gibt es 354 Zivi-Stellen bei verschiedenen Trägern wie etwa der Caritas, dem Friedensdorf, verschiedenen Krankenhäusern oder Altenheimen. 122 dieser Stellen seien derzeit noch besetzt, erklärt Roland Hartmann vom zuständigen Bundesamt für Zivildienst. Doch auch diese 122 Zivis werden nach und nach ihren Dienst beenden, spätestens zum Jahresende werden die 354 Stellen unbesetzt sein.

Die entstehende Lücke soll – so die Wunsch-Vorstellung – von jungen Menschen geschlossen werden, die sich entweder zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder zum Bundesfreiwilligendienst (BFD) entschließen. „Man sollte aber nicht denken, dass dadurch die Zivi-Stellen ersetzt werden“, mahnt Caritas-Sprecher Reinhard Messing. Die Caritas, als ein Träger von vielen in der Stadt, fürchtet einen erheblichen Rückgang der Helfer.

Nur 400 Stellen bleiben

Ein Blick auf die Zahlen begründet die Befürchtung: Im Bistum Essen gibt es 1000 Zivi-Stellen und 75 Stellen im Bereich des FSJ. Und jetzt wird es kompliziert: Da nur exakt so viele Stellen im Bundesfreiwilligendienst geschaffen werden können wie es auch FSJ-Stellen gibt, müssen die 75 FSJ-Stellen erst einmal aufgestockt werden. 200 Plätze seien geplant, sagt Messing, 200 zusätzliche könnten demnach im Bereich des BFD beantragt werden. Von vormals 1075 Stellen blieben also bestenfalls 400.

Das Problem: 200 FSJ-Stellen müssen auch erstmal besetzt werden, „es ist ja nicht so, dass die Leute uns die Bude einrennen“, sagt Reinhard Messing und hofft, „dass die jungen Menschen erkennen, wie wichtig die Arbeit im sozialen Bereich ist.“ Besonders sinnvoll sei der freiwillige Dienst, „wenn man nach der Schule noch nicht weiß, welchen beruflichen Weg man einschlagen möchte“. Denn dann sei das FSJ eine gute Chance, dies herauszufinden, wirbt Messing.

„Wir werden noch in die Offensive gehen müssen, um für das FSJ und den BFD zu werben“, weiß der Caritas-Sprecher. Sinnvoll sei das allerdings erst dann, wenn die Politik alle Fragen rund um den neuen Bundesfreiwilligendienst geklärt habe.