Oberhausen. Immer mehr ältere, alleinlebende Menschen verlassen kaum noch ihre Wohnung. Hohe Dunkelziffer. Die Oberhausener „Gesellschaft leben“ bietet einen kostenlosen Besuchsdienst an.

„Ich bin so einsam, niemand besucht mich“, erzählte eine alte Dame am Telefon der Redaktion. Einsamkeit im Alter – nur die wenigsten Betroffenen melden sich selbst. Die meisten verkriechen sich in ihren vier Wänden – und fallen nicht auf. Wie viele es in Oberhausen gibt? Zahlen existieren nicht. Aber Mathilde Horsthemke von der „Gesellschaft leben“ weiß: „Das Problem ist riesig.“

„Gesellschaft leben“ ist ein auf ehrenamtliches Engagement gestützter Besuchsdienst für alleinlebende Menschen. Das Projekt wurde auf Anregung von Oberbürgermeister Klaus Wehling auf die Beine gestellt. Gründungsmitglied Mathilde Horsthemke startete 2012 mit acht Ehrenamtlichen durch. „Heute besuchen wir mit 30 Ehrenamtlichen bereits 30 Menschen zwischen 49 und 96 Jahren.“

Auch Kioskbesitzer rief an

Meist würden sich Kinder, Nachbarn oder Bekannte an die „Gesellschaft leben“ wenden. „Da wohnen Sohn oder Tochter weit weg oder sind berufstätig und können sich nicht so um die Eltern kümmern.“ Einmal habe sie aber auch ein Kioskbesitzer angerufen: „Er wollte, dass wir mal nach einem langjährigen Kunden sehen, der plötzlich nicht mehr kam.“

Das erste Gespräch mit den Alleinlebenden ist entscheidend, weiß Horsthemke. Denn viele empfänden sich selbst ja gar nicht als alt und so mancher leugne gar aus Scham seine Einsamkeit. Auch das Misstrauen sei groß. „Wo ist der Haken?“, werde sie häufig gefragt, wenn sie über ihren kostenlosen Besuchsdienst erzähle. Ist das Eis erst geschmolzen, müssen die unterschiedlichen Erwartungen aufeinander abgestimmt werden.

„Die Chemie muss stimmen“

„Bei uns besucht jeweils ein Ehrenamtlicher einen Alleinlebenden.“ Da wünscht sich etwa eine 87-Jährige einmal alle sechs Monate eine Begleitung zum Kleiderkauf und eine Ehrenamtliche nur einen gelegentlichen Hilfsdienst. „Das passt.“ Eine 49-Jährige dagegen wollte regelmäßig neue Wege erkunden. „Sie ist blind, kommt auf den üblichen Gängen mit ihrem Begleithund aber gut klar“, erzählt Horsthemke. Mit ihrer ehrenamtlichen Helferin geht sie jetzt auch an unbekannten Orten mal ein Eis essen oder einfach nur bummeln. „Der größte Wunsch eines Seniors dagegen war, dass ihn jemand einmal in der Woche an das Grab seiner Frau begleitet. Auch diesem Mann konnte geholfen werden. Stets aber gelte: „Die Chemie muss stimmen.“

Wie wichtig diese Besuche für die alleinlebenden Menschen sind, erfuhr ein 83-jähriger Ehrenamtlicher. Regelmäßig besucht er einen 87-Jährigen, erzählt Horsthemke. Der 87-Jährige spricht nicht gerne. Der 83-Jährige gab sich dennoch alle Mühe, mit ihm ins Gespräch zu kommen, schleppte Bücher mit zu den Treffen. Vergeblich. „Ob er sich überhaupt freut, wenn ich komme?“, habe sich der Besucher schließlich gefragt. „Doch eines Tages kam er entgegen seiner Gewohnheit ein paar Minuten zu spät“, erinnert sich Horsthemke. Da seien ihm schon die Nachbarn des Seniors entgegengekommen und hätten gefragt, wo er denn bloß bliebe. Der 87-Jährige würde völlig aufgelöst durch den Garten laufen, er hätte doch schon den Tisch gedeckt und Kaffee gekocht.

Viele Freundschaften sind bei den Treffen schon entstanden

Mathilde Horsthemke ist es inzwischen gelungen, die unterschiedlichsten Ehrenamtlichen ins Boot zu holen. Unter anderem auch den Geschäftsführer eines großen Unternehmens. „Er betreut eine alte Dame, die im Rollstuhl sitzt – und hat es tatsächlich geschafft, sie kürzlich zu einem Bummel im Bero Zentrum zu bewegen.“

Viele Freundschaften seien durch die regelmäßigen Treffen bereits entstanden. Eine 50-jährige Ehrenamtliche traf sich etwa eineinhalb Jahre mit einer 89-Jährigen. „Die 89-Jährige brachte ihr das Stricken bei.“ Als die Seniorin im Sterben lag, blieb die neue Freundin bis zum Schluss an ihrer Seite. Raus aus der Einsamkeit, neue Lebenslust wecken, das seien die Kernziele von „Gesellschaft leben“. „Dafür müssen uns die Menschen nur ihre Türen öffnen.“

Kirchengemeinden setzen sich für Ältere ein

„Durch den Rückbau der Seniorentreffs gibt es in Oberhausen nicht mehr viele Angebote für ältere Menschen“, räumt die städtische Seniorenbeauftragte Nese Özcelik ein.

Aber immerhin: Noch gebe es einige und sogar sehr gute. Wie etwa das Bürgerzentrum Alte Heid (Alte Heid 13, 0208/941967821 Träger ist die AWO). „Darin sind viele Institutionen nun schon seit Jahren tätig, die dort auch eine Vielzahl an Angeboten für die unterschiedlichsten Nutzer des Hauses bereit halten“, erläutert Özcelik. Es gebe Bildungsangebote, Beratung und Vermittlung, Freizeit- und Begegnungsangebote wie Tanz, Theater, Gymnastik (auch für Senioren). Außerdem: „Die Seniorengalerie, den Offenen Treff sowie ein Bistro“. Seit 2008 wurde das Bürgerzentrum zu einem Mehrgenerationenhaus weiterentwickelt.

Die meisten Angebote für Senioren aber böten ortsnah die heimischen Kirchengemeinden an. „Vorbildlich ist da etwa auch die Friedenskirche an der Steinbrinkstraße 154 in Sterkrade“, meint die Seniorenbeauftragte. Hier trifft sich etwa alle 14 Tage jeweils freitags (15.30 Uhr bis 17 Uhr) der Senioren-Singkreis. Es gibt eine Strickgruppe, einen Basteltreff für Frauen, die Rheumaliga führt Beratungen durch und die Theatergruppe Wirbelwind trifft sich im Gemeindehaus zu ihren Proben. Darüber hinaus bietet die Evangelische Kirchengemeinde Holten-Sterkrade ebenfalls einen Besuchsdienst an (Kontakt zur Gemeinde:  0208/663555).

„Und in der St. Jakobus-Kirche, in der das Gemeindezentrum Klosterhardt-Tackenberg eine Heimat gefunden hat, treffen sich rund 50 meist alleinstehende, ältere Menschen jeweils mittwochs und freitags zum gemeinsamen Mittagstisch.“ Das Essen werde von drei Teams Ehrenamtlicher vorbereitet. Einmal monatlich werde außerdem ein Spiele- und Klönnachmittag angeboten. (An Saint Jakobus 1,  0208/6946182).