Oberhausen.
Aufruhr in der Salatschüssel. „Warum stinkst du denn so?“, fragt die Banane. „Und wieso bist du so nackt?“, entgegnet die Zwiebel. Gesprochen wird gemüsisch und wir befinden uns erst am Anfang der verrückten Geschichte, die gerade von der Klasse 2b erfunden wird. Wie entsteht denn so was bloß?
Es entsteht nicht, es geht los, denn Schulleiter Helmut Wülfing trägt den Erzählerhut und den Geist, der den Salat sprechen ließ, hat eben ein Mädchen aus der Flasche gezogen, die sich im Erzählkoffer befand.
Mit dem Erzähl-Virus infiziert
Erzählkoffer, Erzählerhut? Seit Februar 2009 sind sie an der Bismarckschule in Alstaden so selbstverständliche Utensilien wie die Turnbänke in der Sporthalle, auf der die Kinder sitzen, als Wülfing eine Kostprobe einer Erzählstunde gibt. Er braucht nur wenige Minuten, um zu beweisen, dass das Geschichtenerfinden die Kinder fasziniert. „Wir sind nicht nur mit dem Erzähl-Virus infiziert, es ist schon eine Plage“, sagt Wülfing. Dass die Bismarckschule eine Erzählschule ist, haben er und sein Kollegium im Schulprogramm festgeschrieben.
Erst waren die Pädagogen begeistert von der Idee, die Erzählkunst wieder zu beleben und ließen sich zu Erzählern schulen. Dann wurde die Schule von der Remscheider Akademie für musische Bildung für die Teilnahme an „Fabula Held“, einem Projekt zur Förderung der Erzählkompetenz von Grundschülern, ausgewählt. Dann führten Experten den Koffer ein, der mit zum Erzählen motivierendem Material gefüllt ist. Dann gab es Workshops für Eltern und das große Erzählfest im Kulturhauptstadtjahr 2010.
Fragezeichen als Schlüssel
Doch damit nicht genug. Das nächste Fest soll 2012 stattfinden, weitere Workshops angeboten werden. „Das Fest hat eine Welle ausgelöst, wir bleiben am Ball“, sagt Wülfing. Längst teilt sich der Erzählkoffer seine magische Anziehungskraft mit anderen Dingen, die sich auch sehr gut dafür eignen, Geschichten auszulösen.
Die Klasse 3b von Lehrer Harald Jüngst würfelt zum Beispiel Geschichtenideen. Neun Kinder zeigen, wie das funktioniert. Neun Würfel sind im Spiel, jeder trägt anstatt der Punkte Bilder. Jedes Kind würfelt ein Bild, das in die Geschichte eingebracht wird. Finja beginnt: „Also, einmal flog eine einsame Biene umher und fand keine einzige Blume mehr.“ Dazu passt das Haus, das aber verschlossen ist. Ein Fragezeichen kommt ins Spiel, schließt die Tür auf und Goldtaler fallen aus dem Regenbogen.
Das Fabel-Projekt
Jetzt bilden die Kinder drei Gruppen mit jeweils drei Erzählern. Gefragt ist eine Turbo-Geschichte. „Eine Minute Beratungszeit“, sagt der Lehrer. Wie kombiniert man Blitz, Schaf und eine Lupe? Klar, die Lupe wird vom Blitz getroffen, was ein Feuer auslöst. Was geschieht mit dem Schaf? „Möchtest du ein Happy End?“, fragt Jüngst. „Nein“, sagt Pia. „Das Schaf verbrennt und dann ist es tot.“ Dagegen regt sich kein Protest, denn es gibt Erzählregeln und eine davon lautet: Falsche Geschichten gibt es nicht. Erlaubt ist es aber doch, verschiedene Geschichten-Enden zu erfinden und deshalb gibt es noch einen Schluss Nummer zwei: „Das Schaf hat noch mal Glück gehabt, es überlebt.“
Dass die 3b schon geübt ist im Geschichtenerfinden beweist ihr Fabel-Projekt. Eine selbst ausgedachte Fabel-Sammlung entstand in Wort und Bild, nachzuspielen auf der Bühne des selbst gebauten Figurentheaters. Als Kostprobe servieren drei Mädchen ihre Geschichte: „Die schlaue Gans und der dumme Fuchs“ und zeigen: Es macht Spaß, die Eigenschaften, die Tieren üblicherweise zugeordnet werden, einfach auch mal umzudrehen.
Spielt das Erzählen nun nur in der Schule eine Rolle oder wird es auch mal zu Hause ausprobiert? Bei Finja schon. Einmal, sagt sie, erfand ihr Vater die drei Gespenster „und hat die Geschichte immer ein Stückchen weiter erzählt.“