Mülheim.. Schock für Naturfreunde: Auf einer Fläche groß wie ein Fußballfeld wurden 21 Buchen an der Großenbaumer Straße gefällt, die allesamt über 100 Jahre alt waren. Biologielehrer Franz-Josef Adrian hat inzwischen Greenpeace eingeschaltet, während die Stadt sich gegen den Vorwurf des Kahlschlags wehrt.
„Das ist doch kein Ökolandbau hier“ – Naturschutz-Aktivist Franz-Josef Adrian pirscht fassungslos über den Waldboden rings um die Großenbaumer Straße im Südwesten des Broich-Speldorfer Waldes, wo nur noch mächtige Baumstümpfe darauf deuten, dass hier mehr als 100 Jahre alte Rotbuchen gestanden haben. Adrian wirft dem städtischen Forstamt einen Kahlschlag vor, der weder mit dem Gesetz noch mit der Eigenverpflichtung der Stadt zur naturnahen Waldbewirtschaftung vereinbar sei. Die Stadt weist die Vorwürfe zurück, ihr steht aber eine Prüfung der Öko-Zertifizierer ins Haus.
Anfang März ist Adrian, ein Biologielehrer aus Bottrop mit Interesse an naturnahen Wäldern, auf jenen Bucheneinschlag gestoßen. Der WAZ zeigte er vor Ort, dass seiner Ansicht nach hier einiges nicht so gelaufen ist, wie es das Landesforstgesetz und die Öko-Zertifikate Naturland und FSC („Forest Stewardship Council“) fordern.
Surreales Bild der Zerstörung
Auf einer fußballplatzgroßen Fläche von rund einem halben Hektar etwa hat Adrian 21 gefällte Altbuchen gezählt. Ihr Stammdurchmesser von bis zu 1,30 Meter bedeute ein Alter von 120 Jahren. „Diese richtig alten Buchenbestände“, klagt er, „gibt es in Deutschland nur noch auf 2 bis 3 % der Fläche. Der Lehrer, der auch Greenpeace eingeschaltet hat, beklagt, dass Mülheims Forstbetrieb eine Fläche in einer Größenordnung kahl geschlagen hat, wie es die besagten Öko-Siegel nicht zulassen. „Das Ganze ist ein surreales Bild der Zerstörung“, schreibt er in seinem Internetblog.
Er sieht gar die gesetzliche Pflicht verletzt, die dem Forstbetrieb eine „größtmögliche Schonung des Bodens“ und „bodenschonende Techniken“ abverlangt. Die Rückeschlepper, mit denen das geschlagene Holz abtransportiert worden ist, seien kreuz und quer über den Waldboden gefahren, zeigt Adrian entsprechende, tiefe Rückegassen, die nun als Boden für die natürliche Verjüngung des Waldes verloren sind. Auch hierzu gibt es Vorgaben der Öko-Zertifizierer. Etwa ist zwischen zwei Rückegassen, auf denen die schweren Fahrzeuge unterwegs sind, laut Naturland-Richtlinie ein Mindestabstand von 40 Metern zu wahren.
Eintöniges Erscheinungsbild
An anderer Stelle wirft Adrian dem Forstbetrieb vor, auf einem zwei Hektar großen Areal 51 alte Buchen im Schirmschlag gefällt zu haben, heißt: Der Bestand sei in den vergangenen Jahren peu à peu gelichtet worden. Nach Schirmschlag, so Adrian, seien die übrigen Buchen weniger geschützt, würden krank. Auch die schnell nachwachsenden Jungbuchen seien anfällig und sorgten für ein eintöniges Erscheinungsbild.
Eine Vor-Ort-Prüfung für Mai
Diplom-Forstwirt Martin Reinold vom Naturland-Verband kündigt eine Vor-Ort-Prüfung für Mai an. Die Stadt weist die Vorwürfe von Adrian zurück. „Selbstverständlich entspricht die Nutzung den gesetzlichen Vorgaben sowie den Zertifizierungsrichtlinien von Naturwald und FSC“, heißt es in einem Schreiben von Umweltamtsleiter Dr. Jürgen Zentgraf an Adrian. Im Streit um den Bucheneinschlag im Broich-Speldorfer Wald ist auch die örtliche Greenpeace-Gruppe eingeschaltet. Sie lässt die kritisierte Waldbewirtschaftung durch Experten in ihrer Hamburger Zentrale prüfen.
Dies bestätigte am Donnerstag Gruppensprecher Stefan Bluemer. Eine Gruppe von Greenpeace-Aktivisten hat bereits eine Ortsbegehung mit Stadtförster Dietrich Pfaff unternommen. Laut Umweltamtsleiter Dr. Jürgen Zentgraf „bestand auch Einvernehmen, dass die Durchforstung und Holzbringung zertifizierungskonform durchgeführt wurden“, sprich: Die Vorgaben aus den Öko-Siegeln von Naturland und FSC sollen eingehalten worden sein. Greenpeace wollte dies nicht bestätigen.
„Das ist ein Punkt, dem man nachgehen muss“
Ausdrücklich begrüßt Greenpeace die angekündigte Prüfung durch die Wald-Zertifizierer, auch wenn ein Gruppen-Mitglied betont, dass der Stadtforst ansonsten hinsichtlich einer naturnahen Bewirtschaftung einen guten Eindruck mache.
Wolfram Kotzurek, der für einen externen Dienstleister die Zertifizierungen nach Naturland- und FSC-Standards vergibt und begleitet, hält nach Sichtung von Bildern der Fällaktionen eine Prüfung für nötig. „Das ist ein Punkt, dem man nachgehen muss“, sagt er nach dem Informationsaustausch mit dem Kritikführer Franz-Josef Adrian. „Es sieht durchaus wie Kahlschlag aus, aber ein vorschnelles Urteil möchte ich nicht fällen.“ Diplom-Forstwirt Martin Reinold vom Naturland-Verband will im Mai aus München anreisen, um sich gemeinsam mit der Oberförsterei ein Bild vor Ort zu machen.
Kritik sei „unzutreffend“
Die Stadt sieht dem gelassen entgegen. Sie hält die Kritik für „unzutreffend“ und verweist darauf, dass sie sich mit ihrem Waldentwicklungsplan schon 1996 auf eine Pflege und Entwicklung des rund 1000 Hektar großen Stadtwaldes nach den Prinzipien des naturnahen Waldbaus festgelegt hat. In erster Linie soll der Stadtwald der Erholung dienen. Dies, so Umweltamtsleiter Zentgraf, schließe aber nicht aus, dass man zur Deckung zumindest von einem Teil der hohen Unterhaltungskosten auch forstwirtschaftlich aktiv sei.
Mit dem Stadtwald macht die Stadt ein Minus knapp 0,6 Mio. Euro im Jahr, bedingt wesentlich durch die Verkehrssicherungspflicht an den zahlreichen durchkreuzenden Wegen. „Da müssen wir den Wald auch ein bisschen bewirtschaften“, sagt Zentgraf.
Nahezu ein Zehntel der Waldfläche, so die Selbstverpflichtung, wird dabei aber auf keinen Fall angerührt.