Mülheim.. Taubenzucht könnte bundesweit zum immateriellen Kulturerbe werden. Ortstermin bei einem Mülheimer Taubenvater, für den es mehr ist als ein Hobby.
Da, wo Mülheim aufhört, fängt die Freiheit an. Über den Wolken. Und plötzlich kommt die Sonne raus. Und mit ihr die Täubchen, wollen genießen, die letzten warmen Strahlen, an diesem Novembermorgen. Aber eigentlich schauen sie auch, was ihr Taubenvater gerade so macht. Gibt es Futter? Und gleich ein Bad? Dazu etwas Wasser? Seit 43 Jahren steuert Alois Tack, auch und besser bekannt als „Alla“, seinen Schlag im Mülheimer Süden an.
Seit 43 Jahren ist es für Alois Tack, den Vorsitzenden der Reisevereinigung Ruhr Angerland, mehr als nur ein Stückchen Erde, mehr als nur ein Schlag-Ort. Und wenn Alois Tack so da steht, an seinem Schlag im Mülheimer Süden, dann freut er sich: Das Brieftaubenwesen gehört seit April dieses Jahres zum immateriellen Kulturerbe von Nordrhein-Westfalen. Anfang Dezember soll die Entscheidung fallen: Wird das Brieftaubenwesen auch bundesweit als immaterielles Kulturerbe anerkannt?
Tierschützer hingegen laufen Sturm
Alois Tack würde sich über diese Auszeichnung freuen, Tierschützer hingegen laufen Sturm gegen die Ankündigung. Sie halten das Brieftaubenwesen schlicht für Tierquälerei. „Unzählige Brieftauben werden für Wettkämpfe ausgebeutet und dabei verletzt oder gar getötet“, sagte die Artenschutzreferentin beim Deutschen Tierschutzbund, Denise Abe, in Bonn. Alois Tack hält dagegen: „Das ist nicht richtig. Sicherlich bleibt auch mal eine Taube auf der Strecke, weil sie zum Beispiel von einem Greifvogel angegriffen wird.“ Die Taube, sie will fliegen, wird wie ein Spitzensportler auf die Flüge vorbereitet, macht Trainingsflüge, bekommt Elektrolyte, dazu eiweißreiches Futter. Den Vorwurf der Tierquälerei sieht Taubenvater Tack nicht bestätigt.
Überhaupt: Alois Tack sieht die Sache mit der Gesundheit generell ganz anders. „Wenn die Tauben nicht gesund sind, dann könnte ich keine Preise fliegen“, sagt der 71-Jährige. Einmal im Jahr werden die Tiere geimpft, zwei Mal pro Tag gehegt und gepflegt – mehrere Stunden am Tag verbringt Tack am Schlag, der Luftlinie nur ein paar Kilometer von seinem Zuhause entfernt liegt. Urlaub im Sommer? „Ist leider nicht drin.“
April bis September ist für Züchter die schönste Zeit
Überhaupt diese Luftlinie, Züchter messen alles in Luftlinien: 623 Kilometer sind es bis ins österreichische Wels bei Linz, 623 Kilometer, die das Weiteste sind, was die Tack-Tauben und die Tiere der anderen zurücklegen. Reiserichtung Südost. Für Alois Tack ist die Zeit zwischen April und September die schönste Zeit im Jahr. Wenn seine Reisemannschaft auf Tour geht. 2017, da hat er neunmal den ersten Preis gemacht mit seinen Vögeln.
Doch längst ist nicht mehr attraktiv, was Alois Tack und die anderen seiner Reisevereinigung so lieb und teuer ist. „Ich mache mir derzeit keine Hoffnungen auf Nachwuchs. Mit meinen 71 Jahren gehöre ich schon zur A-Jugend“, erzählt Tack, der früher einmal Versicherungskaufmann war, enttäuscht. Sein ältester Sportsfreund ist 91 Jahre alt.
Zum Zahlenwerk: Vor zehn Jahren gab es, so Tack, 54.000 Brieftaubenzüchter in Deutschland, im Januar ‘18 waren es 30.800 Züchter. „So ein Schlag ist natürlich auch teuer – es ist nicht einfach mit dem Taubensport“, weiß Tack auch. Und doch, es ist mehr als ein Hobby, ein Leben für die Tauben, für immer: „So lange die Kräfte noch halten, macht man auch nicht Schluss“, sagt Alla, der über Mülheims Grenzen hinaus bekannt ist.
Fan vom Taubensport ist man ein Leben lang
„Ein Fan von einem Fußballverein ist man ja auch ein Leben lang“. Allerdings: „Früher war der Taubensport auch noch interessanter als heute, als noch Geld gesetzt wurde“, erinnert sich Tack. Und als in den Innenstädten noch überall Schläge waren, oben unterm Dach. Das gibt es heute ja alles nicht mehr. „Meinem Nachbarn will ich das ja auch nicht zumuten...“ Die Taubenzucht, sie hat es schwer, in Deutschland. Auch wenn sie bald als immaterielles Kulturerbe auf Bundesebene gilt.
>>> ORGANISATION DER TAUBENZÜCHTER
Etwa 8000 Vereine am Ort bilden laut dem Verband der Deutschen Brieftaubenzüchter die kleinste Einheit. Mehrere Vereine schließen sich zu Reisevereinigungen zusammen. Sie kümmern sich um die Preisflüge.
Mehrere Reisevereinigungen bilden Regionalverbände. Über den 67 Regionalverbänden steht der Verband der Deutschen Brieftaubenzüchter, die Bundesorganisation der Taubenzüchter.
Laut Wikipedia sind immaterielle Kulturerbe kulturelle Ausdrucksformen, „die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen, von Generation zu Generation weitervermittelt und stetig neu geschaffen und verändert werden“.