Mülheim. Der Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften wird 25. Der Vorstand zieht eine positive Bilanz, hat aber auch einige Baustellen, so in Beykoz.
Obwohl Mülheim 1993 für seine internationalen Kontakte und Städtepartnerschaften von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit dem Europapreis zur Europastadt gekürt wurde, tat man sich schon damals schwer, die Städtepartnerschaften finanziell ausreichend zu fördern. Deshalb gründete sich am 21. Februar 1995 der Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften. Mit gut 400 Mitgliedern hat der Verein heute viermal so viele Mitglieder wie vor 25 Jahren. Dennoch ist seine Arbeit seitdem nicht leichter, aber auch nicht weniger wichtig geworden.
Seit 2015 ist der Verein finanziell auf sich allein gestellt. Denn vor fünf Jahren stellte die Stadt ihre Förderung der bürgerschaftlichen Begegnungen mit den Partnerstädten von zuletzt 7400 Euro jährlich ein. „Dadurch ist uns der Jugendbereich weitgehend weggebrochen, weil wir keinen Austausch mit Schulen und Vereinen mehr fördern können“, bedauert der heutige Vereinsvorsitzende Gerhard Ribbrock.
Verein ist seit fünf Jahren finanziell auf sich alleine gestellt
Mit Hans-Dieter Flohr, Joachim Schiwy und Manfred Krister bildete Ribbrock 2015 einen Vorstand, „weil es zu schade gewesen wäre, den Verein und seine gute Sache einfach kaputtgehen zu lassen.“ Für Geschäftsführer Hans-Dieter Flohr, der bereits dem Gründungsvorstand angehört hat, steht fünf Jahre nach dem erzwungenen Neuanfang fest: „Es ist gut gegangen!“
Das kann Flohr vor allem deshalb sagen, weil seine Vorstandskollegen und er keine Alleinunterhalter sind, sondern sich seit 2015 auf mehrköpfige Kompetenzteams stützen können, die Begegnungen mit Menschen in und aus den Partnerstädten organisieren. Der Gründungsvorsitzende des Fördervereins, Peter Wolfmeyer, hat zum Beispiel als Kompetenzteamleiter für Israel neuen Schwung in die Nahost-Kontakte gebracht.
Mit Beykoz gab es seit sechs Jahren keine Begegnung mehr
In den vergangenen fünf Jahren hat der Förderverein zehn Bürgerfahrten organisiert, mit deren Hilfe 350 Mülheimer die Partnerstädte Darlington (England), Tours (Frankreich), Kouvola (Finnland), Oppeln/Opole (Polen) und Kfar Saba (Israel) kennen lernen konnten. In der gleichen Zeit waren Mitglieder des Fördervereins zehnmal Gastgeber für Freunde aus den Partnerstädten.
„Die 2008 mit Beykoz-Istanbul aufgenommenen und zuletzt 2014 durchgeführten Begegnungen ruhen derzeit leider, weil wir dort, anders als in den anderen Partnerstädten, keine Ansprechpartner aus der Zivilgesellschaft haben“, erklärt Ribbrock. Dennoch wollen er und seine Vorstandskollegen Mülheims jüngste Städtepartnerschaft nicht aufgeben.
Kommt ein neuer Kontakt über die Hochschulen zustande?
„Die Beziehung mit Beykoz ist für Mülheim mit seiner starken türkischstämmigen Gemeinschaft interessant. Aber leider haben wir aus dieser Gruppe, trotz vieler Absichtserklärungen, bisher leider keine Unterstützer gewinnen können“, sagt Joachim Schiwy. Deshalb setzt der Vorstand des Vereins jetzt auf die Deutsch-Türkische Universität in Beykoz. Deren Grundsteinlegung hatten die Mülheimer Gäste 2014 bei ihrem letzten Besuch am Bosporus selbst miterlebt.
Gerhard Ribbrock sähe den Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften gerne als Teil eines Dreiecks mit der Deutsch-Türkischen Universität in Beykoz und der hiesigen Hochschule Ruhr-West, um die daniederliegende Städtepartnerschaft wiederzubeleben.
Verein sieht mit Sorge seine Überalterung
Mithilfe der Stadt und anderer Geldgeber würde Hans-Dieter Flohr auch die Förderung von Jugend- und Schulbegegnungen gerne wiederbeleben, „um mehr junge Leute in den Verein zu bekommen.“ Denn mit Sorge sieht er, dass 194 der 403 Vereinsmitglieder zur Generation 70 plus gehören. 44 Mülheimer haben dem Städtepartnerschaftsverein seit seiner Gründung die Treue gehalten.
Gerhard Ribbrock weiß, dass junge Mülheimer in Zeiten des Internets und des grenzenlosen Europas keinen Städtepartnerschaftsverein brauchen, um ins Ausland zu reisen. Dennoch sieht er den Förderverein und seine bürgerschaftlich organisierten Begegnungen in den Partnerstädten als unverzichtbar und wertvoll an.
„So etwas erlebt man nicht, wenn man als Tourist nach Mallorca fliegt“
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„Wir organisieren keine touristischen Reisen. Wir lernen in den Partnerstädten und deren Regionen Land und Leute kennen. Wir werden von ortsansässigen Freunden geführt, kommen mit Menschen in den Partnerstädten ins Gespräch und wohnen zum Teil vor Ort in Familien. So etwas erlebt man nicht, wenn man als Tourist nach Mallorca fliegt“, erklärt Ribbrock den menschlichen Mehrwert der Bürgerfahrten. Wie Ribbrock sieht auch Schiwy die Bürgerbegegnungen mit Menschen aus und in den Partnerstädten als Plattform für ein besseres gegenseitiges Verständnis.
Als Sohn einer 1945 aus Schlesien vertriebenen Mutter hat er in Oppeln erfahren, „dass auch die Polen ihre rund 15 Millionen Vertriebenen hatten, die aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, die 1945 wegen der Westverschiebung der Sowjetunion verloren gingen.“
„Der Brexit zeigt, dass wir so etwas wie Städtepartnerschaften brauchen“
Und er hat im heute polnischen Oppeln und in Schlesien Menschen kennen gelernt, die ein ausgesprochen modernes, reflektiertes und versöhnliches Verhältnis zur deutsch-polnischen Beziehung in Europa gewonnen haben. In vielen Bereichen erscheint Schiwy Polen heute fortschrittlicher als Deutschland.
„Der Brexit zeigt, dass wir so etwas wie Städtepartnerschaften brauchen, um unsere Denkweisen, Mentalitäten und Reaktionen besser verstehen zu können“, sagt Gerhard Ribbrock. Und er ist sich mit Hans-Dieter Flohr einig, „dass wir uns in Mülheim und Darlington auch durch den Brexit nicht auseinanderdividieren lassen werden.“