Mülheim..

„Kein Mensch sagt auf dem Sterbebett: Ich war zu wenig im Büro.“ Dieses Zitat gefällt Judith Kohlstruck sehr. Weil es Wertigkeiten vermittelt, weil es Erfahrungen auf den Punkt bringt, die viele Menschen am Ende ihres Lebens machen und weil Judith Kohlstruck selbst ein wenig danach lebt. Seit über zehn Jahren begleitet sie Menschen am Ende ihres Lebens, war zehn Jahre lang in der ambulanten Hospizarbeit tätig. In diesem Jahr übernahm sie die Leitung des Mülheimer Hospiz, das sich noch im Bau befindet.

Tod, Sterben, Verlust und Loslassen – das sind Themen, die die meisten Menschen lieber meiden. „Der tägliche Kontakt damit endet meist schon beim Lesen der Todesanzeigen“, weiß Judith Kohlstruck und meint dies keineswegs als Vorwurf, sondern als Feststellung. Sie hat den täglichen Kontakt und empfindet ihn als Bereicherung, denn sie merkte schnell, „dass Hospizarbeit etwas für mich ist“.

Wichtige Themen

Ihr Werdegang lässt das erahnen: Judith Kohlstruck wuchs in einem evangelischen Pfarrhaus auf. Glauben und Religion waren stets Teil des Familienalltags und sollten es zunächst auch für den Beruf werden. Theologie studierte sie und arbeitete im Bildungsbereich vor allem mit Jugendlichen. „Aber ab einem gewissen Alter merkt man, dass man lieber mit Erwachsenen arbeiten möchte“, erinnert sich die 48-Jährige. Also bewarb sie sich auf eine Stellenausschreibung und wechselte zur ambulanten Hospizarbeit.

Der Umgang mit „Menschen am Ende ihres Lebens“, sagt Judith Kohlstruck, sei lehrreich. Denn zum Schluss „geht es um die wirklich wichtigen Themen“. Nicht Ruhm, Geld, Karriere zählten dann, sondern Menschen, Beziehungen, Liebe. „Sehr, sehr tiefe Gespräche“ würden geführt, es herrsche „sehr viel Ehrlichkeit“. Die meisten hielten „Rückschau“ und machten eine innere Bestandsaufnahme, „wie stehe ich zu den Menschen, die um mich sind“.

Leben am Ende des Lebens

Diese Erfahrung ist für die Theologin wichtig, und sie war für sie prägend. „Wenn man diese Arbeit länger macht, verändert sie einen. Sie gibt Gelassenheit.“ Und sie hat Judith Kohlstruck motiviert, mit der Rückschau nicht bis zuletzt zu warten. „Ein Innehalten“, die Prüfung, „wo stehe ich“, lässt sie nun öfter zu – ohne es jedoch zu übertreiben. „Wir können uns nicht tagtäglich mit unserer Endlichkeit beschäftigen. Wir müssen positiv in die Zukunft blicken.“

Und das tut Judith Kohlstruck, die betont, dass ein Hospiz nicht nur Tod ist, sondern Leben, wenn es auch leben am Ende des Lebens ist. Bewusst wechselte sie vom ambulanten in den stationären Bereich.

Beides, betont sie, habe Vorzüge, der Wunsch eines Menschen, zu Hause zu sterben, sollte respektiert werden – „wenn es denn geht“. Doch: „Es kann die Kräfte übersteigen, jemanden zu pflegen.“ Sie hat es gesehen, als sie Familien zu Hause besuchte, Sterbende und Angehörige in deren vier Wänden betreute. „Man kommt in eine Familie und dann muss man sie wieder verlassen.“ Das reichte ihr nicht mehr. „Da konnte ich kein warmes Nest bauen.“

Ein gläubiger Mensch

Das will sie nun tun. Noch wird das Hospiz gebaut und renoviert. Im kommenden Herbst, so der aktuelle Plan, sollen die ersten einziehen. Judith Kohlstruck steht dann ein Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen zur Seite. Auch sie müssen, ebenso wie die Hospizleiterin, prüfen: „Wie viel Tod vertrage ich?“ Denn Menschen „sterben nicht nur lebenssatt im hohen Alter. Wenn etwa Mütter sterben und kleine Kinder zurücklassen, ist darin nur schwer ein Sinn zu sehen“, sagt Judith Kohlstruck.

Doch sie hat gelernt, damit umzugehen: „Ich bin ein gläubiger Mensch, und auch, wenn ich den Sinn nicht sehe, kann ich Dinge stehen lassen.“