Mülheim. Zum 15. Mal haben die Weißen Nächte in Mülheim stattgefunden. Das Fest hat den Charme einer großen Gartenparty – mit beeindruckendem Programm.
Auf den ersten Blick sieht alles aus wie eine normale, aber ziemlich groß geratene Gartenparty. Tische und Bänke wie im Bierzelt, dazu edel weiß verkleidete Stehtische. Es gibt Wein und Bier und irgendwo schnarrt ein Glücksrad. Doch wenn man den Blick hebt sieht man sofort: Man ist im Raffelbergpark. Das Theater an der Ruhr hat zu den „Weißen Nächten“ geladen.
Seit 2003 öffnet sich die Mülheimer Bühne auf diese Weise seinem Publikum, zeigt aktuelle Produktionen unter freiem Himmel, ergänzt das Theater mit Musik und muss für die Kunst auch mal Wind und Wetter trotzen. Der Abend ist sommerlich mild und die Menschen strömen in den Schlosspark. Man plaudert, trifft Freunde oder schaut am Stand der Volxbühne, dem „Ensemble der Generationen“, vorbei und hört die Musik aus der Produktion „Fremd 4.0“, gespielt von Musikern aus fünf Kontinenten.
Toma Liwa auf der großen Bühne: Verlust und Ängste
Später steht auf der großen Bühne am „See“ der Singer/Songwriter Tom Liwa mit seiner Band und gibt dem Abend eine andere Note. Seine Lieder sind nicht für den die schnelle Mitnahme gemacht. Man muss sich setzen und einlassen auf Text und Musik. „Wovor hat die Welt Angst“ ist eine Reise durch die eigenen Lebensetappen, durch Verluste, Ängste, Hoffnungen und Neuorientierungen des 58-jährigen Sängers.
Andere Songs setzen sich mit den seinen musikalischen Einflüssen wie Bob Dylan oder Neil Young auseinander. Sensibel und entspannt begleitet ihn seine Band mit Keyboard, Cello und Bass. Mit seinem eher dunklen Grundton, der bisweilen von einer gewissen Rotzigkeit und Komik aufgebrochen wird, hat sich Liwa seit über 30 Jahren als eigenständige Stimme auf den Konzertbühnen behauptet.
Einen gleichzeitig skurrilen, komischen und traurigen Schlusspunkt setzt er mit einem Lied über ein Kind, das mit seinem weißen Kaninchen zu einem Heiler geht. Seit Tagen habe das Tier nichts mehr gefressen, klagt es dem Weisen sein Leid. Der tastet das Kaninchen mit seinen sensiblen Fingern ab, findet das Batteriefach und setzt einen neuen Energiespeicher ein.
Mülheimer Ensemble wirbelt über die Spielfläche
Inzwischen ist es 20 Uhr, man geht zur großen Tribüne, wo heute Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ gespielt wird. Es ist bei den „Weißen Nächten“ immer ratsam, spätestens 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn zu kommen, um einen guten Platz zu ergattern. Doch diesmal reicht das nicht. Schon eine halbe Stunde vorher sind die Bierbänke dicht besetzt und immer mehr Menschen rücken nach. Also setzt man sich auf die Wiese bis dicht an die Spielfläche.
Helmut Schäfer, Dramaturg und Geschäftsführer des Theaters an der Ruhr, versucht, dem Problem das Positive abzugewinnen: „Besser zusammen zu rücken, als zu spalten.“ Dann endlich stürmt das Ensemble die Bühne. Und „stürmen“ ist hier wörtlich gemeint. Das Mülheimer Ensemble, verstärkt durch zahlreiche Gäste, wirbelt grell geschminkt und in grotesken Kostümen über die Spielfläche.
Theater ist ein Fest bei den Weißen Nächten
Fast im Stile eine Performance-Truppe drückt es aufs Tempo und spickt Dürrenmatts Text mit Splittern aus der Mülheimer Stadtgeschichte. Die Darstellerinnen und Darsteller halten das hohe Tempo. Wer nur am Rande der Spielfläche einen Platz gefunden hat, sieht sie nach ihren Szenen manchmal mal nach Luft schnappen oder sich die Maske vom Gesicht reißen, um einen tiefen Zug von der Zigarette zu nehmen. Theater ist eben auch harte Arbeit.
Weiße Nächte im Raffelbergpark
Inzwischen verändert sich das Licht, es wird dunkel und die Aufführung bekommt einen eigenartigen Zauber. Als dann der Schlussapplaus verklungen ist, geht man zurück durch den jetzt illuminierten Park. Die Fontäne sprüht, künstliche Nebel ziehen bisweilen über Wasser und Musik zwischen Soul und Electro-Swing verleitet zum Tanzen. Theater kann ein Drama sein, aber es ist auch ein Fest – zumindest bei den Weißen Nächten.