Mülheim.
Für jeden Archivar wäre es ein Alptraum, aber es ist immer gut, wenn man eine Katastrophe einplant. Deshalb nahmen jetzt Dr. Kai Rawe, Leiter des Mülheimer Stadtarchivs, und Kulturdezernent Ulrich Ernst ein Notfall-Boxenset des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) entgegen.
„Vor dem Einsturz des Stadtarchivs in Köln hat man sich wenig Gedanken gemacht“, gesteht Dr. Claudia Kauertz, Leiterin der Archivberatungsstelle des LVR. „Doch es war der Anlass, sich mit der Möglichkeit eines solchen Szenarios auseinanderzusetzen.“ Seitdem arbeitet der LVR daran, die Archive der Region flächendeckend mit solchen Notfall-Boxen auszustatten.
"Menschenleben zu retten"
Die Notfallsets enthalten u.a. Sicherheitsstiefel, einen Schutzhelm, Taschenlampen und Overalls. Die wichtigsten Utensilien sind jedoch Plastikplanen, Beutel und Abdeckfolien. Denn in erster Linie ist das Notfallset auf Wasserschäden angelegt. „Bei einem Einsturz des Gebäudes oder einem Feuer geht es zunächst einmal darum, Menschenleben zu retten“, erklärt Archivmitarbeiter Markus Vieten. „Und auch bei einem Feuer haben wir es anschließend mit vielen Wasserschäden durch das Löschwasser zu tun.“
Doch schon vor Erhalt der Notfallboxen haben die Mitarbeiter des Stadtarchivs gemeinsam mit der Feuerwehr Notfallpläne ausgearbeitet. So wissen alle Beteiligten, was im Falle einer Katastrophe zu tun ist und welche Dokumente als erstes in Sicherheit zu bringen sind. „Natürlich hat alles, was wir hier aufbewahren einen unschätzbaren Wert“, so Kai Rawe. „Es gibt aber Urkunden, wie die der Grafschaft Broich oder des Klosters Saarn, das sind Unikate. Wenn die vernichtet werden, sind sie auf ewig verloren.“ Für solch einen Schaden könne auch keine Versicherung aufkommen.
Notfallsituationen wie ein Wasserrohrbruch
Aber was passiert mit Unterlagen nach einem Wasserschaden? Zunächst Einfrieren und später Gefriertrocknen ist des Rätsels Lösung. Denn neben der Feuchtigkeit selbst, ist ansetzender Schimmel der größte Feind alter Dokumente. Deshalb gibt es für den Notfall Absprachen mit größeren Gefrierhäusern in der Umgebung. Doch länger als zwei Jahre dürfen die Bücher oder Dokumente nicht eingefroren werden, da sie dann sonst Gefrierbrand bekommen könnten.
Das LVR bietet nun auch allen Archivmitarbeitern Schulungen an, wie die Materialien der Notfallboxen genutzt werden müssen. Dabei werden Notfallsituationen simuliert, wie etwa ein Wasserrohrbruch. Das Mülheimer Archiv ist das vorletzte Archiv, das ein solches Set erhält. Nur noch Remscheid fehlt – dann wird das Ziel einer möglichst flächendeckenden Ausstattung erreicht sein. Auch wenn Archivleiter Kai Rawe dankbar ist, nun für den Notfall gerüstet zu sein, sind er und seine Mitarbeiter sich einig: „Wir hoffen, dass wir die Deckel drauf lassen können!“