Mülheim.. CDU verbessert sich stark. FDP baut ihr gutes Resultat noch weiter aus. Grünen-Ministerin unter fünf Prozent. Hannelore Kraft tritt Mandat an.
Die Niederlage der SPD fällt in Mülheim noch härter aus als im Landesschnitt. Die SPD verliert hier elf Prozentpunkte und, was kaum einer in diesem Umfang erwartet hat, Hannelore Kraft gewinnt zwar nach wie vor den Wahlkreis und zieht als Abgeordnete in den Landtag ein, aber sie verschlechterte sich noch mehr als die Partei.
„Zahlen, die uns beunruhigen müssen“, nannte der Mülheimer SPD-Vorsitzende, Oberbürgermeister Ulrich Scholten, so auch das Ergebnis und kündigte an, „thematisch reagieren“ zu wollen. Vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl am 24. September. „Dafür müssen wir richtig arbeiten“, sagte Scholten. SPD-Fraktionsmitglied Daniel Mühlenfeld warnte in dem Zusammenhang „all diejenigen, die mit diesem Ergebnis ein Präjudiz für die Bundestagswahl sehen“ und gab sich kämpferisch: „Jetzt erst recht!“ Hannelore Kraft kündigte unterdessen an, ihr Mandat in Düsseldorf antreten zu wollen.
Bürger waren Schlusslicht-Bilanz leid
Mit fast 70 Prozent lag die Wahlbeteiligung diesmal fast 7,5 Prozent höher als vor fünf Jahren. Im Rathaus, wo sich die Parteien gegen 18 Uhr versammelt hatten und die Ergebnisse auf Bildschirmen verfolgten, lichteten sich die Reihen schnell. Alles klar, hieß es bereits um 19 Uhr.
Die Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete der CDU, Astrid Timmermann-Fechter, glaubt, dass viele Bürger die Schlusslicht-Bilanz des Landes leid waren. „Ob Innere Sicherheit, Bildungspolitik, Schuldenabbau, Wirtschaftswachstum, Kinderbetreuung – überall lief es nicht gut. Dafür dann Stauland Nummer 1. Die Menschen wollen besser regiert werden.“ Dass auch der neue Spitzenkandidat Martin Schulz in NRW das Ruder nicht mehr herumreißen konnte, ist für die Kreisvorsitzende keine Überraschung: „Inhaltslose Politik.“ Astrid Timmermann-Fechter ist denn auch überzeugt, dass der deutliche Sieg im Kernland der SPD der CDU Richtung Bundestagswahl zusätzlichen Rückenwind geben wird. Allerdings gelingt es der CDU trotz deutlicher Zuwächse nicht, die SPD in Mülheim zu überflügeln.
Barbara Steffens (Grüne) spricht von einem „absolut niederschmetternden Ergebnis“, das noch umso frustrierender ausfällt, wenn man sieht, dass die AfD noch stärker abgeschnitten habe. In den letzten Wochen habe sich der Wahlkampf auf die Alternative Kraft und Laschet zugespitzt und die Grünen weder mit Personen noch mit Themen eine Rolle gespielt. „Wenn es eine Wechselstimmung gegen eine Regierung gibt, kriegt man das als kleinerer Partner nicht mehr gedreht, so sehr man sich auch anstrengt“, sagt die 55-jährige, die seit 17 Jahren dem Landtag angehört und seit sieben Jahren Ministerin ist. Sie wird ihr Landtagsmandat annehmen, strebt aber kein Amt mehr an. „Da gibt es andere, die nach vorne müssen“, sagt sie. Eine Mehrheitsbildung unter Beteiligung der Grünen (Jamaika-Koalition), die am Abend wiederholt in den Medien aufgeworfen wurde, schloss sie aus. Eine Vorentscheidung für die Bundestagswahl sieht Steffens in dem schlechten Abschneiden nicht. „Neues Spiel, neues Glück.“ Allerdings müsse man genau analysieren, warum man mit wichtigen Themen nicht durchgedrungen sei. „Wir müssen klarer machen, für was wir stehen und warum wir gewählt werden wollen.“
Rückenwind für Bundestagswahl
Mit einem Einzug in den Landtag hatte die Kreisvorsitzende der Partei Die Linke, Nina Eumann, gerechnet und war am späten Abend enttäuscht. „Wir haben unseren Stimmenanteil immerhin verdoppelt. Das zeigt, das Thema soziale Gerechtigkeit kommt bei den Menschen an.“ Für die Bundestagswahl gebe das Wahlergebnis auf jeden Fall Rückenwind, so Eumann.
Dass die Menschen einen Wechsel in der Politik wollen, liest der Kandidat der AfD, André Ufer, aus dem Resultat. Die AfD schneidet in Mülheim stärker ab als im Landesschnitt. Ufer glaubt, dass die AfD bei der Bundestagswahl in Mülheim ihren Stimmenanteil noch ausbaut.
Auch Sieger können ihr Glück manchmal nicht fassen. Wenige Sekunden nach 18 Uhr bricht der Jubel in der ersten Etage im Rathaus aus, und das gleich in zwei Räumen: CDU und FDP jubeln über die ersten Prognosen, mancher ist allerdings auch schlicht sprachlos.
Der Gewinner CDU
„Wir haben es in den vergangenen Tagen an den Wahlständen gespürt. Die Zustimmung stieg stark an“, berichtet Christina Kaldenhoff.
Aber so deutlich? Die junge Ratsfrau gehört zu jenen am Abend, die von der Eindeutigkeit überrascht sind. Das gilt sogar für den Landtagsabgeordneten Heiko Hendriks. „Das ist fantastisch für uns und ein Desaster für SPD und Grüne.“ Für ihn steht fest: Der miserable Umgang mit der Inneren Sicherheit hat der SPD das Genick gebrochen.“
Für Fraktionschef Wolfgang Michels kommt hinzu, dass in der Bildungspolitik kaum noch etwas funktioniert habe, die Straßen und Brücken immer schlechter geworden seien, die Bürger gespürt hätten, dass das Land immer mehr Aufgaben auf die Städte abwälze, ohne zu bezahlen. Ratsherr Werner Oesterwind wird noch deutlicher: „Es war einfach eine schlechte Landespolitik in den vergangenen Jahren, dazu kamen unsinnige Regeln und Verbote. Irgendwann reicht es den Bürgern.“
Der Aufsteiger FDP
Die Mülheimer Liberalen sind stolz aufs zweistellige Ergebnis, und sehen nicht allein den Lindner-Effekt im Erfolg, sondern das Ergebnis harter Arbeit im Team: „Es ist ideal gelaufen. Wir haben uns 2014 zusammen mit Christian Lindner eine Strategie überlegt“, sagt Peter Beitz, stellvertretender Kreisvorsitzender, „und er hat geliefert.“ Zukunftsgewandt und optimistisch, so habe sich die FDP präsentiert, sagt Landtagskandidat Christian Mangen. „Es ist im Land ja nichts passiert in den letzten sieben Jahren – das ist beim Bürger so angekommen.“
Mit den Schwerpunkten Bildung, innere Sicherheit und Verkehr habe die FDP punkten können, und das vor allem bei den jungen Leuten. Einer davon ist Markus Schulz (24), seit 2011 in der FDP und seit vier Wochen Beisitzer im Mülheimer Parteivorstand. „Wir kommen gut an bei den jungen Leuten mit den Werten, die wir vertreten“, sagt er. Den Wahlerfolg misst auch er nicht allein Spitzenkandidat Linder (38) zu. Obwohl er sagt: „Lindner hat natürlich eine gewisse Aura, die bei jungen Menschen gut ankommt.“
Der Wahlverlierer SPD
„Oh Gott, oh Gott, oh Gott, was für eine Sch...“ Treffender als SPD-Fraktionschef Dieter Wiechering hätte man die derbe Wahlschlappe für die Sozialdemokraten nicht kommentieren können. Und auch beim Mülheimer Parteivorsitzenden saß der Schock tief. Ulrich Scholten sprach von „einem Schlag ins Kontor“, den man so nicht erwartet habe. Zumal „das Wahlergebnis nicht zur Leistungsbilanz“ passe. Viele problematische Themen habe die Regierung um Hannelore Kraft schließlich angepackt, zum Beispiel den Haushalt und die Wirtschaft. Dass die CDU mit der emotional aufgeladenen Sicherheitsdebatte die Menschen erreicht hat, sehen sowohl Scholten als auch Wiechering unter anderem als wahlentscheidend an. Der Parteichef kündigte Sonntag bereits an, über die Ausrichtung der Mülheimer SPD sprechen zu wollen. „Wir müssen zusehen, dass wir die Menschen wieder erreichen.“ Auch wenn Hannelore Kraft das Direktmandat geholt habe, seien die Ergebnisse „Zahlen, die uns wirklich beunruhigen müssen.“
Die Enttäuschung der Grünen
„Beschämend, beschämend“, wiederholt Grünen-Chef Peter Loef, als könnte er es noch nicht fassen. Er hatte mit einem schlechten Abschneiden gerechnet, nicht aber mit einer Halbierung, schon gar nicht mit der Option einer schwarz-gelben Regierung,. „Aber das wäre eine saubere Lösung. Dann sehen die Wähler, was sie davon haben.“ Von einer großen Koalition hält er nichts. „Die negative Stimmung war im Wahlkampf spürbar“, sagt Loef. „Einige haben gesagt, dieses Mal wählen wir die Grünen nicht.“ Dafür sieht er drei Gründe: die schwache Landesspitze, klassische grüne Themen drangen nicht durch und einige hätten auch taktisch gewählt. Parteigeschäftsführer Rainer Neumann kritisiert auch die altbackenen Plakatmotive. Einen Mangel an Engagement sieht Loef an der Basis nicht. Im Gegenteil. „Wir haben zum ersten Mal einen intensiven Haustürwahlkampf geführt“, sagt er und lobt die Grüne Jugend, die sich richtig ins Zeug gelegt habe.