Herne. David (35) aus Herne erhielt drei Wochen vor der Hochzeit die Diagnose MS. Statt zu gehen, entschied sich seine Frau für eine gemeinsame Zukunft.
David M. ist sich sicher: „Ohne sie wäre ich heute nicht mehr.“ Mit „sie“ meint er seine Ehefrau Miriam. Das Ehepaar aus Wanne-Eickel hat einige Schicksalsschläge in den letzten Jahren erfahren müssen. Am tiefsten tritt die beiden die Diagnose „Multiple Sklerose“ (kurz: MS) von David. Drei Wochen vor ihrer Hochzeit ist das ein Riesenschock und gleichzeitig kommen Zweifel bei David auf. „Wenn du mich jetzt nicht mehr heiraten möchtest, dann kann ich das verstehen“, sagt der gelernte Spannungsmechaniker zu seiner damaligen Verlobten. Doch so schnell wird er seine Lebensliebe nicht mehr loswerden.
Das Anziehen bereite David solche Schmerzen, dass er die WAZ lieber zum Telefoninterview trifft. Schon das Sockenanziehen falle ihm schwer. „Ich will nicht immer so ein Klotz am Bein sein“, sagt David unter Tränen. „Das bist du nicht“, beruhigt ihn seine Ehefrau. „Sie ist das Beste, was mir passieren konnte“, schildert David. Im Gespräch fließen bei ihm viele Tränen, besonders dann, wenn es um Miriam geht. Man merkt, wie nahe ihm die Tatsache geht, dass er für seine Ehefrau zum Pflegefall wurde. „Jeder andere perfekte Deckel wäre längst abgehauen.“ So beschreibt es der Wanner.
„Er war erst gar nicht mein Typ.“
Seinen „perfekten Deckel“ habe er 2007 im Prater in Bochum gefunden. Doch eigentlich haben sie es dem Rapper Sido zu verdanken, dass sie heute zusammen sind. Mit einem Kumpel besucht der damals 18-Jährige ein Sido-Konzert und habe offen junge Frauen angesprochen, ob sie Single wären. Eine verweist auf ihre Freundin: Miriam. Im Prater treffen sie sich das erste Mal. Für David Liebe auf den ersten Blick. „Sie hat die Nase so gekräuselt wie so ein Kaninchen. Total süß.“ Miriam braucht noch ein zweites Date, um David besser kennenzulernen. „Er war erst gar nicht mein Typ“. Bei einem Date am Rhein-Herne Kanal funkt es dann. Neun Jahre später folgt der Heiratsantrag in Form eines riesigen Ferrero-Rocher-Ei. 2018 soll die Hochzeit folgen.
Zur Beziehung der beiden gab es viel Gegenwind. Arbeitskollegen von David hätten sich über Miriam, gelernte Industriemechanikerin, lustig gemacht. Eine Frau in der Industrie war Anfang der 2000er-Jahre noch eine Seltenheit. David hätte nur gelacht und gesagt: „Ihr werdet schon sehen, was ich für eine tolle Frau habe.“ Das habe sich am Ende bewahrheitet.
Schockdiagnose drei Wochen vor dem „Ja“-Wort
Drei Wochen vor der Hochzeit dann der Schock: David bekommt die Diagnose „Multiple Sklerose“ (MS). Das ist eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark umfasst. Motorische Störungen wie Lähmungen in Verbindung mit starken Schmerzen gehören zu Davids Alltag. „Das ist wie ein ständiger, anhaltender und wahnsinnig starker Muskelkater“, beschreibt er.
Schon anderthalb Jahre vor der Diagnose habe er Schmerzen in den Knien und im Rücken gehabt. Bandscheibenvorfall lautet der erste Befund. Als er nach einer Weile wieder zum Arzt will, habe man ihn weggeschickt. Er solle ins Krankenhaus fahren. Dort begann dann ein „Untersuchungsmarathon“ mit anschließendem MRT. Das Ergebnis habe die beiden umgehauen. Drei Wochen vor der Hochzeit habe das dem Verlobungspaar den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Vorfreude der beiden wich der Sorge. David spricht im Interview nur grob von den Gefühlen, die er dort empfand. Er würde diese Zeit oft verdrängen, behauptet Miriam. Sie erinnert sich, dass David ihr unter Tränen gesagt habe: „Wenn du mich jetzt nicht mehr heiraten möchtest, dann kann ich das verstehen.“ Sie selbst habe erwidert: „So ein Quatsch!“ Und fügt hinzu: „In guten wie in schlechten Zeiten.“
Miriam saniert das gesamte Eigenheim
Das „Ja“-Wort geben sich beide am 20. Juli 2018 auf Schloss Berge in Gelsenkirchen. Gesundheitlich ginge es David an dem Tag nicht gut. Das Ehepaar erinnert sich an 36 Grad. „Bei MS macht Hitze alles schlimmer“, weiß er. Trotzdem blicken die beiden mit Freude zurück an ihre Feier.
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Anfang 2019 sei David dann auf der Arbeit gefallen. Aus der Höhe stürzt er auf die Knie und ist danach auf einen Rollator und kurz darauf auf einen Rollstuhl angewiesen. Konsequenz: Das gemeinsame Eigenheim wird umgebaut. Die Sternstunde für Miriam: Die gelernte Industriemechanikerin baut das ganze Haus um. Miriam baut eine Rampe, damit sich David frei bewegen kann, die Dusche muss angepasst werden und auch für kreative Lösungen ist sich Miriam nicht zu schade. „Als mein Treppenlift kaputt war, hat sie mich mit einem Hocker und einem Seil durch das Obergeschoss gezogen“, schildert er.
Miriam packt neben ihrer Vollzeitstelle alle Arbeiten alleine an, damit David das Leben zu Hause so leicht wie möglich hat. Für alles gäbe es schließlich eine Lösung. Das handwerkliche Geschick habe Miriam von ihrem Vater. Und ohne die Unterstützung beider Eltern sei vieles an Umbauarbeiten gar nicht möglich gewesen. „Wenn ich es nicht könnte, dann hätten wir echt viel mit der Krankenkasse kämpfen müssen“, stellt Miriam fest. „Er ist mein Kopf, ich seine Beine. Das sagen wir immer so.“ Eine Metapher, von der David denkt, dass sie perfekt zur Ehe der beiden passe: „Man repariert Sachen, statt sie wegzuwerfen und auszutauschen.“
„Man repariert Sachen, statt sie wegzuwerfen und auszutauschen.“
Einige Freunde hätten die beiden nach der Diagnose verloren. „Man hat gemerkt, wer die wahren Freunde sind“, weiß Miriam. Ihre beiden Trauzeugen sein aber in ihre Nähe bezogen und auch Davids Freunde, die er beim Online-Gaming kennengelernt hat, kommen einmal im Jahr zur „Dave-Con“ (Wortspiel aus seinem Namen und der Convention „Comic-Con“) zu ihm nach Hause.
Seiner Lebensliebe Miriam sei er für die Unterstützung unendlich dankbar. „Sie hat ihr ganzes Leben nur nach mir ausgerichtet.“ Von 6 bis 14 Uhr arbeite die 36-Jährige, danach komme sie nach Hause, koche, gehe einkaufen und mache noch den Haushalt. David sei bewusst, dass er auch manchmal anstrengend sei, ist aber umso dankbarer, dass sie bei ihm ist. Er sieht ihre Hilfe als nicht selbstverständlich. David selbst schaffe einfache Haushaltsaufgaben nicht mehr. Das lasse ihn hin und wieder zweifeln, ob es seine Frau ohne ihn nicht besser hätte. „Wenn ich aufgeben möchte, dann denke ich daran, wie sie ihre Nase kräuselt. Und dann ist alles vergessen. Sie rettet mir jeden Tag das Leben.“