Herne. Die AfD konnte zur Europawahl bei jungen Wählern punkten. Was das Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) in Herne dazu sagt.

Die AfD holte zur letzten Europawahl bei jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren rund 17 Prozent der Stimmen und ist somit mit der CDU/CSU die stärkste Partei in dieser Altersgruppe. Die in Teilen rechtsextremistische Partei legte damit zwölf Prozentpunkte im Vergleich zur Europawahl 2019 zu. Welche Gründe stecken hinter dem Anstieg? Warum entscheiden sich immer mehr junge Menschen dazu, der AfD eine Stimme zu geben? Und sollte 16- und 17-Jährigen gar das Wahlrecht entzogen werden? Wir sprechen mit Sophia Bieniek (17) und Julian Löchter (19) vom Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) in Herne. Die Abiturientin und der Politikstudent können sich vorstellen, wieso die AfD bei jungen Wählern und Wählerinnen so gut abgeschnitten hat.

Am 9. Juni waren Europawahlen in Deutschland. Habt ihr gewählt und warum war euch das wichtig?

Julian: Natürlich, nur so hat man im politischen Prozess auch die Möglichkeit mitzugestalten.

Was sagt ihr zu der Wahlentscheidung von Menschen zwischen 16 und 24 Jahren?

Sophia: Für mich war das schwer zu schlucken. Ich saß da abends und dachte: Was ist das denn für eine Scheiß-Prognose, weil ich nicht glauben konnte, dass das die wirklichen Ergebnisse waren. Ich habe damit nicht gerechnet, obwohl man den Rechtsdrang in der Schule und im Klassenraum mitbekommt.

Was meinst du, wenn du von Rechtsdrang in der Schule sprichst?

Sophia: Es werden Sprüche und Meinungen von Schülern kundgegeben, wie sie vielleicht auch im AfD-Parteiprogramm stehen würden. Es gibt wirklich diese Leute, das ist nichts Utopisches. Du sitzt Tag für Tag neben diesen Menschen, die eine - für mich unvorstellbare - Lebenseinstellung haben.

Was sind das für konkrete Sprüche?

Sophia: An meiner Schule haben wir eine Podiumsdiskussion für die Oberstufe zur Europawahl organisiert und Politiker eingeladen. Ein Schüler hat in etwa gefragt, warum man nicht dafür wirbt, dass mehr deutsche Menschen Kinder bekommen, statt mehr Migranten nach Deutschland einreisen zu lassen, wenn doch so viele Arbeitskräfte fehlen. Das hat für ganz viel Kontroversität in diesem Saal gesorgt, was ich rückblickend beruhigend fand, weil es doch zeigt, dass die Leute sich kümmern, was passiert.

Sophia Bieniek aus Herne erzählt von ihrer Erfahrung bei einer Schuldiskussion.
Sophia Bieniek aus Herne erzählt von ihrer Erfahrung bei einer Schuldiskussion. © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Julian, was waren deine Gedanken zu den Wahlergebnissen?

Julian: Ich hatte damit leider schon gerechnet, weil sehr viel darauf hingedeutet hat, dass der Rechtsruck kommen wird. Dass die AfD auch hier in Herne so viele Stimmen bekommt, darüber war ich echt schockiert. Ich finde, wir sind eine multikulturelle Stadt und wir sind bunt.

Und warum ist die AfD besonders bei jungen Menschen so beliebt?

Sophia: Ich habe gehört, dass Parteien wie die SPD oder die Grünen nicht mehr gewählt werden, weil sie nicht in den sozialen Netzwerken vertreten sind. Die AfD macht aber sehr viel TikTok. Ich würde die Jugend nicht so einfältig einschätzen, dass sie sich von Videos beeinflussen lässt. Aber wenn, dann wäre das schon echt schade, weil die Zukunft der nächsten fünf Jahre dann auf etwas sehr Hohlem basiert.

Julian: Viele jungen Menschen wählen die AfD, weil sie unzufrieden sind. Weil sie eine Veränderung wollen und ihnen die Altparteien nicht mehr gefallen. Die AfD hat sich einen überzeugten Wählerstamm aufgebaut.

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Haben gesellschaftliche Entwicklungen auch einen Einfluss auf die Wahlentscheidung?

Sophia: Ja, vielleicht auch die Migrationswelle. Einige Leute möchten das vielleicht nicht einsehen, dass es für andere Menschen auch eine Möglichkeit gibt, hier zu sein. Das löst Frustration aus: „Ich werde bald arbeiten gehen, der aber wahrscheinlich nicht. Und der ist nicht mal Teil meiner Gesellschaft. Der hat also keinen Platz in meiner Welt.“

Julian: Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass die AfD immer versucht, die Stimmung unter Jugendlichen aufzugreifen. Mit Hinblick auf Gendern oder Klimaschutz zum Beispiel. Aber auch Migration spielt da eine Rolle. Ich habe in einer Stufe Abitur gemacht, die unheimlich bunt war. Ich hab das als Bereicherung empfunden, aber auch die Erfahrung gemacht, dass viele Jugendliche damit nicht mehr umgehen können, weil sie Migranten als Überdruss empfinden.

Nicht alle Schüler empfänden Migration als Bereicherung, sagt Julian Löchter.
Nicht alle Schüler empfänden Migration als Bereicherung, sagt Julian Löchter. © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Was glaubt ihr: Inwieweit wird die Wahlentscheidung von Freunden und Familie beeinflusst?

Sophia: Der Freundeskreis hat viel Einfluss, aber auch das Elternhaus. Kinder schauen sich ab, was ihre Eltern wählen. Hier zu differenzieren, ist ein großer Schritt, den man aber als Jugendlicher machen muss. Ich finde trotzdem, dass man das Wahlalter bei 16 belassen sollte.

Julian: Dass die Kleinstparteien 25 Prozent der Stimmen haben und dass Jugendliche auch den Wahl-O-Mat benutzen, spricht dafür, dass Jugendliche sich wirklich damit auseinandersetzen.

Also sollte das Wahlalter auch bei der Bundestagswahl auf 16 Jahre herabgesetzt werden, trotz der Europawahlergebnisse?

Sophia: Ich glaube, das wäre ein richtiger Schritt ist. Dass man sagt: „Wir legen das Vertrauen in die Zukunft. Trotz dieser Wahlergebnisse entziehen wir euch nicht das Wahlrecht.“

Glaubt ihr denn, dass sich die jungen Menschen der Konsequenzen ihrer Stimmabgabe bewusst sind? Gerade in Hinblick auf die Wahlergebnisse?

Julian: Nein, das glaube ich tatsächlich nicht. Die AfD gibt sich nach außen nicht so extrem, wie sie im Inneren ist. Junge Leute sind sich dann vielleicht der Konsequenz nicht so bewusst, weil sie einfach nur diese vielleicht populistischen Aussagen von Wahlplakaten gelesen haben.

Sophia: Es ist schwer zu verstehen, welche Auswirkungen die Wahl hat.

Wen habt ihr denn gewählt?

Sophia: Also was ich sagen kann: Ich verfolge, ob es die richtige Wahl war, aber im Moment glaube ich, dass es die richtige Entscheidung war.