Herne. Der Schriftsteller Fred Endrikat aus Wanne-Eickel hat auch einige vulgäre Texte geschrieben, die im Stadtarchiv lagern. Was ist davon zu halten?
Auch interessant
Fred Endrikat, Kabarettist und Schriftsteller aus Wanne-Eickel, hat Hunderte Texte verfasst, veröffentlicht und quer durch die Republik auf der Bühne vorgetragen. Was kaum jemand weiß: Im Stadtarchiv Herne schlummern, versteckt in seinem Nachlass, ein halbes Dutzend Verse, die zu seinen Lebzeiten wohl nie sein Haus verlassen haben. Alina Gränitz, Mitarbeiterin des Stadtarchivs, bringt den Grund auf den Punkt. Die Gedichte seien schlicht „pervers“. Fred Endrikat hatte ein sagen wir mal: gespaltenes Verhältnis zur Liebe.
Der Bergmannssohn Fred Endrikat, der in Wanne-Eickel aufwuchs, schmiedete bereits als Schüler Verse, trat schon als Jugendlicher in Wanne damit auf und stand vor dem Zweiten Weltkrieg schließlich mit seinem literarischen Kabarett in den kulturellen Zentren wie Köln, Hamburg, München, Magdeburg oder Berlin erfolgreich auf der Bühne. In der Tradition etwa von Joachim Ringelnatz präsentierte er seine heiteren, nicht immer ernstzunehmenden Lebensweisheiten in Szenen und Versen, gern auch mal aus dem Stegreif heraus, war dabei humoristischer Spötter, bot Schenkelklopfer, ohne groß gesellschaftskritisch zu sein und anzuecken. Sein Publikum liebte ihn, und auch so mancher Kritiker lobte ihn.
Herne: Verse aus dem Stadtarchiv sind Endrikat-Experte ein Rätsel
Heute ist Endrikat zwar nicht vergessen, aber er spielt in der Literatur kaum noch eine Rolle. „Er war kein großer Dichter, für die Entwicklung des Kabaretts war er aber von großer Bedeutung“, sagt der Wanne-Eickeler Germanist und Endrikat-Experte Joachim Wittkowski. Er kennt Endrikats umfangreiches Werk, hat dessen Nachlass gelesen und auch 2010 ein Lesebuch über ihn herausgegeben. Die Verse, die im Stadtarchiv schlummern, sind ihm aber ein Rätsel.
Da sind die Wörter „Titte“, „Eier“ und „Schwanz“ noch die harmlosen Wörter, munter dichtet Endrikat drauf los, erzählt launig, wer es da mit wem und und wie treibt. In seinen „Abschiedsworten an eine verflossene Braut“ wird er etwa äußerst vulgär, erniedrigt die von ihm angesprochene Frau in übelster Gossensprache. Diese Verse, bekennt Wittkowski, „kann ich nicht so recht einordnen“. Ob Endrikat – um in dessen Sprache zu bleiben – ein „geiler Bock“ gewesen sei? „Das ist wohl möglich“, sagt der 62-Jährige.
Historiker Ralf Piorr: Endrikat war ein Sexist
Auf jeden Fall habe Endrikat „nichts anbrennen lassen“, habe in seinem Berufsalltag „viel mit Frauen geschäkert“ und sei nicht zuletzt drei Mal verheiratet gewesen – „vielleicht nicht ganz zufällig“. Die wenigen vulgären Texte, so der 62-Jährige, der auch Lehrbeauftragter am Germanistischen Institut der Ruhr-Uni und Redakteur der Zeitschrift „Der Emscherbrücher“ der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel ist, passten jedenfalls nicht zu dessen umfangreichen Gesamtwerk, in dem auch nur gut ein Dutzend Verse ganz allgemein vom Thema Liebe handelten. Vielleicht, mutmaßt Wittkowski, habe Endrikat, der auch ein geübter Trinker gewesen sei, diese deftigen Texte für eine private Runde geschrieben. Notizen deuteten darauf hin, dass sie auf einem Junggesellenabschied präsentiert wurden. Öffentlich vor Publikum gemacht worden seien diese Verse aber wohl nie. Dass sie von Endrikat stammen, das gelte aber als sicher.
Für den Herner Historiker Ralf Piorr ist Endrikat, zumindest nach heutigem Maßstab, „ein Sexist“. Piorr und Wittkowski hatten vor zwei Jahren im Heimatmuseum Unser Fritz eine Endrikat-Ausstellung präsentiert. In der „Liebespoesie“ des „Humorarbeiters“ aus Wanne-Eickel, die im Stadtarchiv schlummert, seien Frauen schlicht Objekte des Mannes – und zwar Objekte der Begierde und Erotik. Darüber hinaus hätten Frauen für Endrikat an den Herd gehört. Damit, betont Piorr, sei Endrikat aber nicht allein gewesen: „Er spiegelt damit die Zeit wider.“
>> WEITERE INFORMATIONEN: Zur Person
Fred Endrikat wurde 1890 als das erste von sieben Kindern der Wanne-Eickeler Familie Endrikat in Nakel an der Netze geboren, als seine Mutter dort auf Verwandtenbesuch war. Die Familie lebte bis 1908 in Crange, dann in Holsterhausen. Eine Schlosserlehre in Recklinghausen brach er nach zwei Jahren ab, anschließend arbeitete er als Pferdejunge auf der Zeche Shamrock 3/4.
Schon in der Volksschule schrieb er erste Verse und trat bereits als Schüler auf. Nach dem ersten Weltkrieg lebte er zunächst als freier Schriftsteller in Hamburg, ab den 1920er Jahren trat er in zahlreichen Großstädten auf, darunter regelmäßig in München im „Simpl“ und in Köln im „Charlott“. Er starb 1942 mit 52 Jahren in München, dort liegt er auf dem Waldfriedhof begraben.