Herne. Die Herner Tanzcompagnie Renegade hat im Rahmen des Festivals Tanz NRW ihr neues Stück „Drang“ online vorgestellt.

„Drang“ nennt die in Herne gegründete Tanzcompagnie Renegade um Choreografin Malou Airaudo ihr neues Stück, das beim Festival Tanz NRW 2021 am Freitagabend Premiere hatte – online, wie das ganze Festival. Das in den Herner Flottmann-Hallen aufgezeichnete Werk basiert auf dem HipHop-Tanzstil Krump, die Musik stammt von Abel Korzeniowski, Max Richter, Moderat, Johann Johannson, Jan Hopkins und Reptilious & Senking.

Raumgreifende Bewegungen

Dumpf dröhnende Geräusche in einem großen hellen Raum mit hohen Fenstern, auf dem Boden liegen große, mit weißen Federn beklebte transparente Folien, zwei Tänzer in dunklen Hosen und T-Shirts nehmen den Raum in großen, weit greifenden Bewegungen in Besitz. Eine Frau gesellt sich dazu, zu hohen, hell-sirrenden elektronischen Klängen. Mehr und mehr füllt sich der Raum, zu dem ununterbrochenen Fluss neu einsetzender Minimal Music, aus dem sich ein helles Geigenthema hervorhebt.

Dabei hat jeder und jeder der inzwischen sechs Tänzerinnen und Tänzer seine eigene Körpersprache, deren Haltung er oder sie durch Mimik und Gestik zu einer Einheit mit der Bewegung verschmelzen lässt. Licht- und Schattenspiele akzentuieren die Bewegungen der Tänzer. Dieser sehr expressive, körperbetonte Tanzstil ist in sozialen Brennpunkten von Los Angeles aus dem HipHop entstanden und will Geschichten erzählen. Geschichten aus dem Alltag der Menschen in diesen Vierteln, Geschichten von Liebe, Hass, Vertrauen und Freundschaft. Von Einsamkeit und Gemeinschaft.

Kaum erträgliche Ruhe

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Auch abrupte Stille in einem erstarrenden Gruppenbild gehört zu diesem Stil, nur das schwere Atmen der Akteure ist noch hörbar. Die kaum noch zu ertragende Ruhe wird dann durch den gebrochenen Sprechgesang eines Tänzers unterbrochen, ein anderer singt weiter, ein Paar findet sich – das Leben geht wieder weiter seinen gewohnten Gang. Die Tänzerinnen und Tänzer gehen langsam durch den Raum, scheinen ihn dabei in sich aufzunehmen, ihren Platz darin in einer Aktion auszuloten und ein Teil davon zu werden.

Szene aus dem neuen Tanzstück von Renegade, „Drang
Szene aus dem neuen Tanzstück von Renegade, „Drang". Am Freitag war die Online-Premiere.   © Unbekannt | Denis Kooné Kuhnert

Kraftvoll pulsierender Sound

Die Akteure erzählen ihre Geschichten nach und nach nicht mehr nur körperlich, sondern auch zunehmend verbal. Von Respekt ist da die Rede, immer wieder, allen Menschen gegenüber; dunkle, warme Akkorde begleiten diesen eindringlichen Appell. Schreie dringen plötzlich in die Szenerie ein, Projektionen bewegen sich in Schattenformationen an den Tänzerinnen und Tänzern vorbei, die Welt scheint sich um sie zu drehen, um sie herumzuwirbeln: Sie sind ihr ausgesetzt in einer geradezu archetypisch-mystischen Totalität, surreal und real zugleich. Sich steigernde Trommeln beschwören eine kaum noch zu ertragende Spannung, die sich plötzlich in leidenschaftlich-temperamentvolle Bewegungen und Begegnungen zu einem kraftvoll-pulsierenden Sound auflöst.

Die Tänzer lassen sich nach und nach in den Flow ihres eigenen Körpers fallen, eine Tänzerin scheint ganz selbstvergessen in einem der weiß beklebten transparenten Folienumhänge zu verschwinden – eine Anspielung auf verwunschenen Schwäne aus Tschaikowskys Ballettklassiker „Schwanensee“? Sirrende Geräusche und dezente Trommeln machen klar, dass „etwas in der Luft liegt“, Tänzergruppen verfallen in Slow Motion, was ihren Bewegungen eine ungeahnte Zartheit und Intimität verleiht. Schließlich fassen William Hayibor Venous, Kwane Osei, Eva Pageix, Solomon Quaynoo, Francesca Zaccaria und Rymon Zacharei ihre Botschaft in einem Satz zusammen: „We are all together“ - im Boot des Lebens.

ZUM TANZSTIL KRUMP

Der in Los Angeles entstandene HipHop-Tanzstil Krump will Geschichten aus dem Alltag erzählen, mit unmittelbaren, sehr expressiven Ausdrucksmitteln, die auch vor Härten nicht zurückscheuen. Das lässt ihn oft aggressiv wirken, auf jeden Fall aber direkt.

Choreografin Malou Airaudo, Mitglied des Tanztheaters von Pina Bausch und ehemalige Professorin an der Folkwang Universität der Künste in Essen, entwickelt daraus ein Panorama an Geschichten rund um Nähe und Distanz, Einsamkeit und Liebe.