Herne. Die Herner Medienpolitiker Thomas Nückel (FDP) und Alexander Vogt (SPD) über die Zukunft der Zeitung, Lokalradios, ihre Medienfavoriten und mehr.
Herne ist in NRW nicht die Medienhauptstadt, spielt durch zwei Medienpolitiker jedoch eine besondere Rolle: Thomas Nückel (FDP) und Alexander Vogt (SPD) sind in ihrer jeweiligen Landtagsfraktion medienpolitischer Sprecher. WAZ-Redakteur Lars-Oliver Christoph sprach mit den Landtagsabgeordneten über die Zukunft der Lokalzeitung, Lokalradio, staatliche Hilfen für Medien, gemeinnützigen Journalismus und vieles mehr.
Infektionen, Tote, Kontaktverbot, Kurzarbeit ... - kann man über das Coronavirus zumindest mit Blick auf die Medien etwas Positives sagen?
Thomas Nückel: Ja. Ich bin sehr überrascht, wie aktuell mittlerweile berichtet wird. Die Medien schwingen sich unter schwierigen Umständen zu Höchstleistungen auf.
Alexander Vogt: Viele Menschen stellen derzeit fest, wie wichtig klassische Medien gerade in so einer Krisensituation sind und was für einen wirklich guten Job sie machen. Sie erkennen, was sie an diesen Medien haben.
Ist das nur ein auf die Corona-Krise begrenztes Phänomen oder besteht auch die Chance zum Beispiel für Lokalzeitungen wie die WAZ Herne, neue Leser zu gewinnen?
Vogt: Die Chance besteht darin, dass Menschen erkennen, dass kritischer Journalismus einen Wert haben kann.
Nückel: Ich glaube nicht, dass die Zahlen steigen, weil die Menschen kritischen Journalismus wollen, sondern weil sie sich informieren wollen. Das wird aber nur eine Blase sein, wenn die Medienhäuser die Situation nicht nutzen, um interessante Modelle und neue Format zu entwickeln. Das Mediensterben zuletzt hatte auch damit zu tun, dass das Desinteresse bei den Nutzern größer geworden ist.
Die Tageszeitung ist ja nicht das allerneueste Modell. Wird es in zehn Jahren noch die gedruckte Ausgabe der WAZ Herne geben?
Nückel: In zehn Jahren ja, aber in 15 bis 20 Jahren nicht mehr oder nur noch als Nischenprodukt als Wochenendausgabe. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte …
Bitte sehr.
Nückel: Medienhäuser sollten ein Modell entwickeln, das dem der Streamingdienste ähnelt. Damit könnten sie auch junge Leser zurückgewinnen. Man bucht für einen bestimmten Betrag ein Grundangebot und kann sich dann dazubuchen, was einen interessiert. Das kann zum Beispiel der Lokalteil oder der Lokalsport sein, das Feuilleton der FAZ oder der Wirtschaftsteil der Süddeutschen. Das Komplettangebot ist aber leider ein Auslaufmodell.
Vogt: Das glaube ich nicht. Das Komplettangebot hat den Vorteil, dass der Leser nicht nur auf „seine“ Themen stößt. So setzt er sich auch mit weiteren relevanten Themen auseinander. Fest steht für mich aber: Der Verbreitungsweg insbesondere für lokalen Journalismus wird in Zukunft nicht mehr die Zeitung sein, sondern der Onlinebereich.
Welche gedruckte Zeitung nehmen denn die Medienpolitiker Nückel und Vogt heute noch in die Hand?
Vogt: Natürlich die WAZ. Ich habe die Herner Printausgabe abonniert und lese sie morgens beim Frühstück. Ich habe zusätzlich das E-Paper der WAZ, damit ich die volle Information habe, wenn ich unterwegs bin.
Nückel: Als mir mein Nachbar morgens immer noch die Zeitung auf die Fußmatte gelegt hat, habe ich morgens mit der WAZ angefangen. Seit er das nicht mehr tun kann, nehme ich sie aus dem Briefkasten und lese sie erst im Zug, zusammen mit der FAZ und – das wird sie vielleicht wundern – der taz. Ich tausche hier mit meinem Mitfahrer.
Herr Vogt, Sie und die SPD haben angesichts sinkender Auflagen eine staatliche Unterstützung für lokale Medien gefordert, weil diese systemrelevant seien. Warum ist die WAZ Herne wichtig für die Demokratie?
Vogt: Die WAZ Herne ist wie viele andere lokaljournalistische Angebote wichtig für die Demokratie, weil ohne sie ein ganz großer Teil von Kommunikation in unserer Stadt wegfallen würde. Das gilt für den Sportverein, der möchte, dass über seine Ergebnisse berichtet wird. Das gilt ebenso für Gemeinden und Kulturschaffende. Ohne Lokaljournalismus würde aber auch ein ganz wichtiger Teil von Kontrolle wegfallen. Ich denke beispielsweise an Ratssitzungen oder Sitzungen von Bezirksvertretungen, in denen über viel Geld der Stadt entschieden wird. Das bedarf der Öffentlichkeit und der Kontrolle. Deshalb ist lokaler Journalismus ein sehr starker Pfeiler der Demokratie.
Teilen Sie diesen Ansatz, Herr Nückel?
Nückel: Ja. Nur lokale Medien können kritische Öffentlichkeit herstellen. Soziale Medien können das zwar auch, aber nicht so punktgenau, sondern eher zielgruppenorientiert. Auch fürs gesellschaftliche Leben sind lokale Medien wichtig. Ohne sie wäre zum Beispiel weniger Kulturleben möglich.
Vogt: Mir ist generell wichtig, dass lokaler Journalismus professionell stattfinden muss. Diejenigen, die diesen Journalismus betreiben, müssen davon leben können, damit eine Unabhängigkeit gewährleistet ist. Wenn die Qualität stimmen soll, muss für Qualität auch bezahlt werden.
Und wie kann das Land dazu beitragen?
Vogt: Politik kann Rahmenbedingungen schaffen – auch für Verlage und lokalen Journalismus. Ein Punkt ist der Vertrieb und die Frage: Wie kommen eigentlich gedruckte Zeitungen an den Abonnenten? Dabei geht es um die Bedingungen für die Zeitungszustellung. Der nächste Schritt wäre die Finanzierung der Redaktionen. Wir müssen uns als Gesellschaft und Politik fragen: Wie gehen wir damit um, wenn Verlage nicht mehr genug Geld durch die beiden Säulen Werbung und Abos einnehmen? Wir müssen uns über eine dritte Säule Gedanken machen; das könnte beispielsweise ein staatsunabhängiges Stiftungsmodell sein.
Nückel: Ich glaube, wir brauchen noch mehr Säulen. Leider gibt es nicht den Königsweg zur Rettung der journalistischen Vielfalt. Wir brauchen auf jeden Fall Modelle, die das Vertrauen der Bürger in das jeweilige Medium stärken. Bei einer Staatsförderung für Inhalte würde das Vertrauen sehr schnell abnehmen. Was mich schon lange betrübt: Wir beobachten das Zeitungssterben seit Jahrzehnten, aber es hat kaum Proteste gegeben. Es gibt auch heute Menschen, die das nicht interessiert. Das liegt vielleicht auch daran, dass zu lange auf altbackene Konzepte gesetzt wurde.
Ihre Parteien haben auf Landesebene bereits Initiativen für einen gemeinnützigen Journalismus - ein über private Spenden finanziertes und nicht kommerzielles Modell – gestartet. Warum?
Vogt: Journalismus hat einen Wert. Und auch Journalismus kann gemeinnützig sein. Wichtig ist: Gemeinnütziger Journalismus darf professionellen Journalismus nicht verdrängen. Und der zweite Aspekt: Wenn eine Recherche stattgefunden hat, die gemeinnützig ist und dadurch steuerlich mitfinanziert wird, müssen wir darüber sprechen, wem diese Leistungen zur Verfügung gestellt werden. Das Ergebnis darf nicht nur bei einem Verwerter ankommen, also beispielsweise bei einer Zeitung ankommen, die allein davon profitiert.
Nückel: Ich habe für die FDP 2014 das Thema zum ersten Mal in ein deutsches Parlament eingebracht. Der Begriff gemeinnützig ist erklärungsbedürftig. „Nicht gewinnorientiert“ ist passender. Es kann durchaus etwas erwirtschaftet werden, wenn es für den gleichen Bereich – zum Beispiel für journalistische Recherche – wieder ausgegeben wird. Das gilt auch für jeden Sport- und Kulturverein. Es wäre wichtig, eine bundesweite Regelung für gemeinnützigen Journalismus hinzubekommen. Es gibt aber noch immer viele Vorbehalte – zum Beispiel beim Bundesverband der Zeitungsverleger.
Ich muss ausnahmsweise mal die Rolle des Verlegers einnehmen: Journalismus ist kein Selbstzweck, sondern es wird etwas recherchiert, um es zu veröffentlichen. Gräbt eine staatliche Unterstützung des gemeinnützigen Journalismus durch steuerliche Begünstigungen nicht den eh schon unter Druck stehenden Verlagen zusätzlich das Wasser ab?
Nückel: Eine Konkurrenz würde ich darin nicht sehen, weil Medien diese Recherchen ja für sich nutzen können – in der Regel unentgeltlich. Das ist bemerkenswert: Wir machen uns schon jetzt Gedanken darüber, welchen Missbrauch es durch gemeinnützigen Journalismus geben könnte. Natürlich wird es Fehler geben. Und wenn jemand Gewinne macht, muss eben die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Aus dem Kulturbereich weiß ich: Die Finanzämter prüfen das seeehr penibel …
Dem Lokalradio Ennepe Ruhr droht zum Jahresende das Aus, weil sich Westfunk – eine Tochter der Funke Mediengruppe (zu der auch die WAZ gehört) – aus der Betreibergesellschaft zurückzieht. Befürchten Sie ähnliche Entwicklungen für Radio Herne und andere Lokalradios im Ruhrgebiet, an denen Westfunk beteiligt ist?
Nückel: Bei Radio Ennepe Ruhr ist aus meiner Sicht das Problem, dass das Verhältnis der Beteiligten, also der Veranstaltergemeinschaft und der Betreibergesellschaft/Westfunk schon länger gestört ist. Die Chemie stimmt einfach nicht. Hinzu kommt: Der Ennepe-Ruhr-Kreis ist fürs Lokalradio ein schwieriges Gebiet, weil es aufgrund der Struktur sehr schwierig ist, lokale Werbung zu akquirieren.
Heißt: Radio Herne muss sich keine Sorgen machen?
Nückel: Zumindest nicht diese speziellen Sorgen. Es leiden aber natürlich alle Lokalradios darunter, dass derzeit dramatisch weniger Werbung geschaltet wird.
Vogt: Wir haben in NRW 44 lokale Radiosender. Die meisten Chefredakteurinnen und Chefredakteure sowie Veranstaltergemeinschaften spiegeln uns, dass es in der Corona-Krise dramatische Werbeeinbrüche gibt. Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, in dieser dramatischen Phase zu handeln und Hilfestellung zu leisten. Das hat der Deutsche Journalisten-Verband ebenfalls gefordert. Wir brauchen auch nach dieser Krise lokalen Journalismus, zu dem natürlich auch diese Radiosender beitragen.
Nückel: Es handelt sich hier um einen Schauantrag der SPD ohne Details, was genau passieren sollte. Nicht alle der 44 Lokalradios sind notleidend. Es gibt unterschiedliche Verhältnisse, was auch von Beteiligten so gesehen wird. Viele Werber sagen, dass Geschäft wird im Mai explosionsartig zunehmen, wenn die Läden wieder öffnen. Dann muss man sich die Lage genau anschauen.
Kritik am politischen Gegner – das kann jeder. Was hat Ihnen als Oppositionspolitiker an der Medienpolitik der schwarz-gelben Landesregierung besonders gut gefallen, Herr Vogt?
Vogt: Ich finde es positiv, dass die Landesregierung das von uns begonnene Konzept zur Vermittlung von Medienkompetenz in den Schulen aufgenommen und weiterentwickelt hat.
Und welche medienpolitische Initiative der SPD-Landtagsfraktion fanden Sie bemerkenswert, Herr Nückel?
Nückel: Ich finde die Anfragen der SPD zur Situation des Zeitungsmarktes in NRW gut. Im Vergleich zu anderen Staaten haben wir in Deutschland ja noch eine einzigartige Zeitungslandschaft. Einmal in der Legislaturperiode in NRW einen Blick darauf zu werfen, ist sehr wichtig.
Medien sind für Politiker ja nicht nur ein Quell der Freude. Wann haben Sie sich zuletzt so richtig über einen Bericht der WAZ geärgert?
Nückel: Ich ärgere mich viel häufiger über das, was nicht in der WAZ steht. Zum Beispiel: Als die FDP mit Jugendlichen in Herne eine riesige Veranstaltung mit 400 Teilnehmern über das Thema „Games“ hatten, ist niemand von der WAZ erschienen. Dagegen eine Veranstaltung der Herner Jusos mit 18 Teilnehmern – riesengroß in der WAZ.
Vogt: Durch den eigenen Blickwinkel hat man natürlich immer mal den Eindruck, dass die politische Konkurrenz mehr Raum bekommt in der Berichterstattung. Ich kann aber kein konkretes Beispiel nennen, bei dem ich mich besonders geärgert habe. Es gehört in der Politik dazu, dass man von Journalistinnen und Journalisten kritisiert wird. Das ist deren Job.