Gevelsberg/Hagen/Sprockhövel. Nach Unfallfahrt auf den Autobahnen 46 und 1: Anwalt des 30-jährigen Lkw-Fahrers aus Polen äußert sich. Opfer außer Lebensgefahr.
- Ein Lkw-Fahrer hat auf der A1 und A46 mehrere Unfälle verursacht
- Dabei rammte er zahlreiche Fahrzeuge, 19 Menschen wurden bei mehreren Unfällen verletzt
- Bei dem 30-jährigen Fahrer könnte eine psychische Erkrankung vorliegen
- Sein Blutalkoholwert war wohl nicht sehr hoch
Nach der Irrfahrt eines polnischen Lkw-Fahrers am Samstag über die Autobahnen 46 und 1 hat eine Haftrichterin die Unterbringung des Tatverdächtigen in einer Psychiatrie angeordnet. Bei dem 30-Jährigen bestehe der Verdacht der Schuldunfähigkeit, wie die Staatsanwaltschaft Hagen am Montagvormittag auf Anfrage mitteilte. Der Lkw-Fahrer, der nun gutachterlich untersucht werde, habe Angaben gemacht, „die darauf schließen lassen, dass er psychisch erkrankt ist“, so Dr. Gerhard Pauli, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Einen Terroranschlag oder eine Amokfahrt „schließen wir aus“. Man gehe von einem Verkehrsunfall aus, der „durch das Verhalten des Fahrers provoziert wurde, aber keinen Hintergrund im politischen Raum hat“, so Pauli weiter. Die Ergebnisse von Alkohol- und Drogentests stünden noch aus.
Der Anwalt des polnischen Lkw-Fahrers, David Lakwa (Hagen), schilderte der „Westfalenpost“ am Montag den Zustand seines Mandanten bei der Verkündung des Unterbringungshaftbefehls am späten Sonntagnachmittag: „Er befand sich in einer schlechten psychischen Verfassung. Er schien desorientiert zu sein und konnte sich nicht daran erinnern, am Samstagabend mit seinem Lkw auf den Autobahnen A46 und A1 unterwegs gewesen zu sein.“
Nach dem Verkündungstermin, so Lakwa weiter, sollte der 30 Jahre alte Lkw-Fahrer in das LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie nach Lippstadt-Eickelborn gebracht werden. Eine ärztliche Untersuchung vor dem Termin hätte ergeben, „dass mein Mandant wegen einer akuten Psychose nicht gewahrsamsfähig ist“.
Bei welcher Spedition der Mann angestellt war und welche Waren der Lkw auf welcher Route aufnehmen oder abliefern sollte, konnte der Anwalt nicht sagen: „Die Ermittlungsakte hat mich bislang noch nicht erreicht.“
Dem Tatverdächtigen wird von der Staatsanwaltschaft im Rahmen der bisherigen Ermittlungen vor allem gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr zur Last gelegt, zudem gefährliche Körperverletzung. Der Lkw-Fahrer hatte sich am Samstag auf einer 60 Kilometer langen Chaosfahrt von Neuss bis nach Hagen nicht von der Polizei stoppen lassen und mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt. Der 30-Jährige war laut Polizeiangaben am späten Samstagnachmittag mit seinem Sattelzug im Bereich des Autobahnkreuzes Holz auf das Autobahnnetz aufgefahren und sorgte für zahlreiche Unfälle im Streckennetz mit rund 50 beteiligten Fahrzeugen, bis er schließlich auf der A 1 zwischen Volmarstein und Hagen-West zum Stehen kam. Er soll Stückgut geladen haben. Oberstaatsanwalt Pauli bestätigte am Montag, dass der Fahrer für eine Spedition fuhr.
Die Polizei ging am Sonntag von 19 Verletzten aus, welche auf der Irrfahrt des Truckers zu Schaden kamen. Sieben davon galten als Schwerverletzte, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Eine Person schwebte in Lebensgefahr. „Die lebensgefährlich verletzte Person ist mittlerweile außer Lebensgefahr“, sagte Anja Kynast, Sprecherin der Polizei Düsseldorf, am Montag auf Anfrage.
60 Kilometer lange Chaosfahrt von Neuss bis nach Hagen
Zur Person des 30 Jahre alten Lkw-Fahrers ist derweil noch nicht viel bekannt. Klar ist, dass er die polnische Staatsangehörigkeit hat. Wo er lebt, dazu konnte die zuständige Polizei in Düsseldorf noch keine Angaben machen. Offensichtlich war der Mann bislang bei den deutschen Behörden noch nicht auffällig geworden.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigte sich schockiert über den Vorfall. „Diese wahnsinnige Chaos-Fahrt hätte in einer Katastrophe enden können. Ich glaube, wir können von Glück reden, dass wir keine Toten zu beklagen haben“, sagte er der „Rheinischen Post“. Die Vorstellung, dass ein Lkw auf der Autobahn unkontrolliert Fahrzeuge ramme, sei der Schrecken jedes Autofahrers.
Mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt
Der 30-jährige Mann hatte am Samstagnachmittag bei seiner Irrfahrt schwere Unfälle auf der A46 und der A1 verursacht und mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt. „Wir haben hier keinen abschließenden Stand“, so ein Sprecher der Polizei in Düsseldorf. So ist aus Ermittlerkreisen von einem Fall zu hören, in dem Unfallopfer selbstständig die Autobahn verlassen hatten und ins Krankenhaus gefahren waren. Mehr zufällig trafen Beamte sie dort an, weil sie andere Unfallteilnehmer befragen wollten. Die Ermittler gehen zudem davon aus, dass sich auch über das Hinweisportal im Internet (https://nrw.hinweisportal.de) noch weitere Geschädigte melden könnten.
Die Fahrt begann um 16.25 Uhr in Neuss und endete etwa eine Stunde später an der A1-Ausfahrt Hagen-West. Die ersten Notrufe im Ennepe-Ruhr-Kreis gingen um kurz nach 17 Uhr ein. Ein Großaufgebot der Feuerwehr, Polizei und des Rettungsdienstes im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis wurde alarmiert.
50 Fahrzeuge bei Unfällen beschädigt
In Gevelsberg und Schwelm wurde Stadtalarm ausgegeben. Die Kreisleitstelle im Ennepe-Ruhr-Kreis sprach zu dem Zeitpunkt von einer chaotischen Lage, mehreren Unfällen und vielen Verletzten. Es wurde das Stichwort Massenanfall von Verletzten ausgegeben. Später wurde klar: Auch in Hagen und Wuppertal wurden Einsatzkräfte alarmiert.
Der Lkw-Fahrer war auf mehreren Autobahnen unterwegs - und hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Bislang sind der Polizei 50 Fahrzeuge bekannt, die an den Unfällen beteiligt waren. Es bildeten sich Kilometer lange Staus, vor allem die Rückreise nach dem BVB-Heimspiel verzögerte sich für einige Fans zum Teil erheblich.
Lkw-Fahrer verursacht mehrere Unfälle
Was genau passiert ist, ist die wichtigste Frage an diesem Samstagabend. Fest steht: Der Lkw war zuvor bereits im Bereich Neuss aufgrund seiner unsicheren Fahrweise aufgefallen. Daraufhin habe die Polizei versucht, den Fahrer zu stoppen. Er sei nach Angaben der Autobahnpolizei Düsseldorf unbeirrt und teilweise in Schlangenlinien weiter in Richtung Wuppertal gefahren. Der Lkw-Fahrer soll die Autobahnen mehrfach gewechselt haben, auf der A46 und zuletzt auf der A1 unterwegs gewesen sein.
Laut der Autobahnpolizei Düsseldorf soll der Fahrer nicht nur polizeiliche Anhaltezeichen ignoriert haben, sondern mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit und in Schlangenlinien über die A46 in den Wuppertaler Raum gefahren seien. „Um Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer zu minimieren, wurde über den Verkehrsfunk eine Warnung verbreitet, verbunden mit der Aufforderung, die Autobahnen schnellstmöglich zu verlassen. Nach einem Wechsel auf die A 1 geriet der Lkw zwischen Volmarstein und Hagen-West in den Gegenverkehr und kam nach der Kollision mit anderen Fahrzeugen zum Stillstand“, teilt die Behörde mit.
Auch interessant
Die Polizei konnte den Fahrer, der mit einem polnischen Kennzeichen unterwegs war, am Unfallort festnehmen. Der Mann wurde zunächst in ein Krankenhaus gebracht.
„Der Lkw fuhr weiter und hat fünf andere Autos mitgenommen“
Unser Reporter hat vor Ort mit Augenzeugen gesprochen. Viele Menschen seien geschockt, stehen neben ihren demolierten Autos, sind in Rettungsdecken eingewickelt. Dort, wo der Lkw steht, ist ein Trümmerhaufen. Schaulustige stehen auf Brücken, am Straßenrand.
Morten Hämmerle berichtet, dass er nach einem Fußballspiel in Köln auf dem Nachhauseweg war, als der Lkw ganz dicht an ihn herangefahren sei. Dann habe er überholt und die Seite des Autos gestreift, der Spiegel sei weg gewesen. „Ich dachte erst, dass es ein normaler Unfall sei, aber der Lkw fuhr weiter und hat fünf andere Autos mitgenommen.“ Dann sei er schräg auf der Fahrbahn stehen geblieben, und dann sei schon Polizei dagewesen. Er und seine Mitfahrer hätten Glück gehabt, dass nichts Schlimmes passiert ist.
„Egal, was vor ihm ist, er hat alles einfach gerammt“
Zwei Männer erklärten im Gespräch mit dieser Zeitung, dass sie gesehen haben, wie der Lkw rechts, links gefahren sei und alle Autos mitgenommen habe. „Egal, was vor ihm ist, er hat alles einfach gerammt.“
Aufräumarbeiten auf der A1
Seit Sonntagmittag ist Autobahn 1 wieder komplett frei: Um 11 Uhr konnte die Strecke in Fahrtrichtung Dortmund wieder freigegeben werden, eine Stunde später auch in Richtung Köln.
Von Sonntagmorgen bis zum Mittag waren die Straßenwärterinnen und Straßenwärter der Autobahnmeisterei mit den Aufräum- und Reparaturarbeiten beschäftigt. „Bei dem Unfall ist beinahe die komplette Baustellenverkehrsführung für den Ersatzneubau der Brücke Nöhstraße zerstört worden“, sagt der Leiter der Autobahnmeisterei Hagen, Christoph Heer. „Hier ist unser Verkehrssicherer nun seit sieben Uhr mit zwei Sattelzügen und zwei Kränen angerückt, um die zerstörten Teile ab- und neue Gleitwände wieder aufzubauen.“ Auch die A46 war lange Zeit von Wuppertal-Varresbeck bis Kreuz Wuppertal-Nord gesperrt.
Zeugenaufruf: Polizei bittet um Videos und Fotos zur Unfallserie
Die Polizei informiert, dass auf der Internetseite des LKA NRW ein Hinweisportal für den Einsatz freigeschaltet ist und bittet Zeugen der Unfallserie darum, ihr möglicherweise gemachte Videos oder Fotos zur Verfügung zu stellen.